Über den Parteitag der NPD

Apfel im Schlafrock

Nach 15 Jahren endet bei der NPD die Ära von Udo Voigt. Am Wochenende wurde Holger Apfel zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Mit dem Versprechen einer »seriösen Radikalität« versucht er, der rechtsextremen Partei ein moderateres Image zu verpassen.

Vor dem Kulturhaus Stadtgarten wurde viel über die Entwicklungen der vergangenen Tage gesprochen. »Die geistigen Brandstifter dieser Mord­serie sind heute hier in diesem Kulturhaus«, sagte Brandenburgs Bildungsministerin Martina Münch (SPD), die am Protest gegen den Bundesparteitag der NPD in Neuruppin teilnahm. Die Delegierten und Gäste des Parteitags wollten sich hingegen weder zur Gruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) noch zu den von der Gruppe verübten Morden an neun Migranten und einer Polizistin äußern. Die Fakten seien noch gar nicht alle bekannt, da sei wohl die Grenze zwischen radikal und kriminell verschwommen – lediglich diese Einschätzung ließ sich Udo Voigt auf der Pressekonferenz vor dem Beginn des Parteitags entlocken. Voigt dürfte am Samstagmittag ohnehin ganz andere Sorgen gehabt haben: die Wiederwahl zum Bundesvorsitzenden der NPD. Am späten Samstagabend musste er sich damit abfinden, dass seine Ambitionen gescheitert sind. Neuer Bundesvorsitzender der ältesten neonazistische Partei ist Holger Apfel. »Mit 126 zu 85 Stimmen« entschieden sich die Delegierten für ihn und seine »Vorstellung der ›seriösen Radikalität‹«, gab die NPD am Ende ihres »Parteitags der Einigkeit« bekannt. Von Einigkeit war unter den rund 400 Delegierten und Gästen, die sich am Wochenende versammelt hatten, allerdings wenig zu spüren. Schon in den Wochen vor dem 33. Parteitag wurde heftig gestritten. Seit Apfel, Landtagsfraktionsvorsitzender der sächsischen NPD, offiziell angekündigt hatte, gegen den langjährigen Bundesvorsitzenden der Partei anzutreten, war es zu Auseinandersetzungen gekommen. In Szeneportalen und Szenepublikationen wurde heftig über die beiden Kandidaten debattiert. Auch innerhalb der NPD kam es zum verbalen Schlagabtausch, wobei nicht vor Enthüllung intimer Details zurückgeschreckt wurde. So hielt der Vorsitzende des Berliner Landesverbands, Uwe Meenen, einer der Unterstützer Voigts, der Bundessprecherin der NPD-Frauenorganisation »Ring Nationaler Frauen« Ricarda Riefling, eine Affäre vor, nachdem diese zugesagt hatte, unter Apfel für den Vorstand zu kandidieren. Die Fronten verliefen quer durch die Partei: Offen militante Kader plädierten für oder gegen Apfel, vermeintlich moderate Aktivisten für oder gegen Voigt. »Einen knappen Vorsprung scheint Apfel zu haben«, sagte Fabian Virchow, Leiter der Forschungsstelle Rechtsextremismus an der Fachhochschule Düsseldorf vor dem Parteitag. Innerhalb der NPD mit ihren rund 6 800 Mitgliedern sei die Stimmung vor allem wegen der Unzufriedenheit mit Voigt wechselhaft, sagte Virchow. Die Ablehnung schlug Voigt im Tagungssaal entgegen. Erstmals während seiner 15 Jahre dauernden Amtszeit als Bundesvorsitzender musste er sich mit einem ernsthaften Gegenkandidaten messen, dessen Unterstützer zudem besser organisiert waren – angeführt von Udo Pastörs. Vor dem Parteitag hatte Pastörs dem neuen NPD-Internetportal »DS-Aktuell« mitgeteilt: »Ich bin davon überzeugt, dass die Delegierten erkennen, dass es ein ›weiter so‹ mit Udo Voigt nicht geben darf.« Nicht gerade zurückhaltend erläuterte der Landtagsfraktionsvorsitzende der NPD in Mecklenburg-Vorpommern in dem Interview, seiner Ansicht nach hätte Voigt schon 2009 gehen sollen. »Ich war damals der Auffassung, dass Udo Voigt Verantwortung für die Vorkommnisse in der Betrugsaffäre Kemna hätte übernehmen müssen.« Diese Anfeindung kam nicht überraschend: 2009 hatte Pastörs selbst gegen Voigt kandidiert, nun unterstützte er den Gegenkandidaten und bewarb sich mit dessen Wohlwollen um das Amt des stell­vertretenden Parteivorsitzenden. In der Debatte um den Vorsitz spielten Voigts Gegner immer wieder auf die Affäre um Erwin Kemna an. 2008 war bekannt geworden, dass Kemna, der langjährige Bundesschatzmeister der NPD und enge Vertraute Voigts, rund 740 000 Euro aus der Parteikasse veruntreut hatte. »Wie von mir vorausgesagt«, sagte Pastörs, »haben wir seitdem weder politisch, personell noch organisatorisch Fortschritte gemacht. Es muss Schluss sein mit der Führungslosigkeit, mit dem Stillstand. Die Partei fordert Führung!« Auf dem Portal erhielten allerdings auch Apfels Gegner Gelegenheit, sich zu äußern. Thorsten Heise, Rechtsrockunternehmer, Kameradschaftskader und Mitglied des Bundesvorstands, sagte, er kenne Apfels Stärken und Schwächen, »die ihn für das Amt unbrauchbar machen«, und klagte über einen »verwässerten Kurs« des »Apfel-Pragmatismus«. Apfel hatte seine Kandidatur für den Posten des Bundesvorsitzenden einen Tag nach der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus bekanntgegeben, dort war Voigt als Spitzenkandidat der NPD angetreten. Obwohl er darauf verzichtete, einen Namen zu nennen, wusste jeder, dass es um Voigt ging, als Apfel kritisierte, man mache sich zu wenig für eine »seriöse Radikalität« stark. Nur eine NPD, die gegenwartsbezogen und volksnah auftrete, werde die Wähler besser erreichen. Diese Vorhaltungen trafen. Im Interview mit »DS-Aktuell« griff Voigt sie auf und konterte, bei »Kamingesprächen« wollte man wohl nicht »die mögliche Nachfolge« regeln. 1996 hatte Voigt die Parteiführung übernommen und gemeinsam mit seinem einstigen politischen Ziehsohn Apfel begonnen, eine Hinwendung der NPD zu aktuellen Themen durchzusetzen. Ziel dieser politischen Ausrichtung war es, die Menschen mit ihren alltäglichen Sorgen und finanziellen Ängsten zu erreichen. Zugleich öffneten sie sich den freien Strukturen, die der Partei die Erschließung personeller Netzwerke und subkultureller Milieus ermöglichten. Dieser Kurswechsel brachte der NPD einen Mitgliederzuwachs, bescherte der Partei nach über 30 Jahren den Einzug in einige Landtage und sicherte ihr den Anspruch auf staatliche Parteifinanzierung. Im Gespräch widmete sich Voigt auch Apfels Parole von der »seriöse Radikalität«: »Ich bin sehr darauf gespannt, auf dem Parteitag zu hören, was er denn nun wirklich inhaltlich anders machen will, oder ob er nationale Politik nur in einer anderen Verpackung will.« Und er spottete, dass er die »Überschriften der Systemmedien« schon kenne: »Apfel verkauft ­alten Wein in neuen Schläuchen!« Die Vorhaltungen des 40jährigen Apfel, ihm fehle der »nötige Schwung« und er bediene »rückwärtsgewandte Klischees«, bezeichnete der 59jährige Voigt als »Unsinn«. Auf dem Parteitag wollten Apfel und dessen Unterstützer die Erfolge der NPD nicht kleinreden. Die Delegierten lasteten Voigt jedoch die Enttäuschung der Erwartungen der vergangenen zwei Jahre als Führungsschwäche an. Vor allem die Misserfolge bei den diesjährigen Landtagswahlen, wie beispielsweise der knapp verpasste Einzug in den Landtag von Sachsen-Anhalt, das Ausbleiben des erhofften »Achtungserfolgs« in Bremen oder die deutlichen Verluste bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl sind innerhalb der Partei ein Thema. Führenden Kadern bereitet vor allem Sorge, dass der Aufbau der Partei im Westen der Republik kaum vorankommt. Dass die NPD weiterhin in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern vertreten ist, werteten die Delegierten indes allein als Erfolge von Apfel und Pästörs. Noch am Samstagnachmittag bemühte sich Voigt, wohl wissend, dass es um sein Amt ging, darum, die Vorhaltungen, die ihm vor dem Parteitag gemacht wurden, zu entkräften. Seine Rede dauerte fast eineinhalb Stunden, die Teilnehmer des Parteitags erreichte er dennoch nicht. Eine große Erwiderung von Apfel und Pastörs erfolgte zumindest im Beisein der Presse nicht. Von der Personaldebatte waren die Vertreter der Medien zuvor per Parteitagsbeschluss ausgeschlossen worden. Noch in deren Anwesenheit forderte Pastörs die Mitglieder auf, »radikale Ideen sympathisch in die Bevölkerung zu tragen«, und Apfel verkündete, dass »seriöse Radikalität« nicht »weichgespülte NPD« bedeute. Schon auf »DS-Aktuell« hatte er bekanntgegeben: »Für Träger einer Weltanschauung versteht es sich von selbst, dass es bei der ›seriösen Radikalität‹ nicht um inhaltliche Anpassung und die Aufweichung unserer Grundsätze geht.« Die Mehrheit der Delegierten dürfte die Losung verstanden haben: Den Schein, aber nicht das Sein der Partei will Apfel ändern. Apfel sei »kein moderater Neonazi«, sagt Virchow. »Er ist sich aber sehr bewusst, dass die Themen, die für die Szene bedeutend sind, für die Wähler unerheblich sind.« Miro Jennerjahn, Rechtsextremismus­experte der Landtagsfraktion der Grünen in Sachsen, kennt Apfels Agieren. »Seine Fassade ist ein bürgerliches Image, um wählbar zu erscheinen. Hinter seiner Fassade ist er eng mit der militanten Szene verbunden«, sagt Jennerjahn. Anfang der Woche offenbarte das interne Internetforum des »Freien Netzes« diese Nähe. Auch die Wahl des Vorstandes bestätigt erneut, dass Apfel die militanten Kräfte eingebunden wissen will. Seinen Personalvorschlägen folgten die Delegierten weitgehend. Pastörs, Karl Richter und Frank Schwert wurden stellvertretende Parteivorsitzende. In den Vorstand gelangten unter anderem auch Riefling und Patrick Wischke. Riefling hält in Niedersachsen seit Jahren die Kontakte zwischen Partei- und Kameradschaftsszene. In Thüringen führte Wischke eine Kameradschaftsstruktur im »Thüringer Heimatschutz« an, jenem Netzwerk, aus dem die Mörder der NSU kommen. Er selbst wurde im Jahr 2000 nach einem Sprengstoffanschlag auf einen türkischen Imbiss in Eisenach festgenommen. Zwei Jahre später wurde er wegen Anstiftung zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion verurteilt. Der neue Bundesvorsitzende der NPD mimte unmittelbar nach dem Parteitag schon den erfahrenen Vorsitzenden: Trotz heftiger Anfeindungen erklärte Apfel, »alle« seien eingeladen, sich »konstruktiv« in die »heimattreue Partei« einzubringen.