Coming-out für Kuba

Es ist nichts Neues, dass Politikerinnen und Politiker versuchen, mit der digitalen Moderne mitzuhalten. Auch Mariela Castro, Leiterin des kubanischen Instituts für Sexualerziehung und Aktivistin für die Rechte Homo- und Transsexueller, bemüht sich seit Dienstag vergangener Woche ganz trendy per Twitter um Volksnähe. Dass nur etwa drei Prozent der kubanischen Bevölkerung überhaupt über einen Netzzugang verfügen, ist dabei das geringere Problem. Die Tochter von Raúl Castro wurde sofort mit einer freien Meinungsäußerung konfrontiert. Yoani Sánchez, eine kubanische Bloggerin, erdreistete sich, Mariela per Twitter zu fragen, wann die Kubanerinnen und Kubaner endlich auch ihre anderen Coming-outs haben dürften und wie es sein könne, dass man Akzeptanz nur auf einem Gebiet fordert, da Toleranz doch umfassend sei. Darauf twitterte Castro erbost zurück, Sánchez’ Toleranzbegriff spiegele nur alte Machtmechanismen wieder, und riet ihr zu studieren, um ihre »Leistungen« zu verbessern.
Studieren konnte Sánchez im realsozialistischen Kuba immerhin kostenlos, mit der Nutzung digitaler Medien zwecks freier Meinungsäußerung sieht es hingegen schlecht aus. Um ihr inzwischen mit verschiedensten internationalen Preisen ausgezeichnetes Blog »Generación Y« zu betreiben, ist sie auf die Hilfe von Freundinnen und Freunden aus dem Ausland angewiesen. Auf abenteuerlichen Wegen gelangen ihre Texte über die Ungerechtigkeiten und Absurditäten des kubanischen Alltags auf die Blogseite, die in Kuba aber niemand lesen kann. Die 36jährige Sánchez studierte Literaturwissenschaft, interessierte sich später aber für Informatik und gründete in Kuba nach ihrer Rückkehr von einem mehrjährigen Schweizaufenthalt unter anderem eine Zeitschrift für freie Meinungsäußerung. Sie gab außerdem den Anstoß für eine Reihe weiterer kritischer kubanischer Blogs.
Die meisten der vielen Preise, die sie für »Generación Y« und ihr sonstiges journalistisches Engagement verliehen bekam, konnte sie nicht persönlich entgegennehmen, da ihr die Ausreise verweigert wurde. Auf Twitter schrieb sie nun, dass ihr hier niemand eine Reise oder den Eintritt verweigern könne. Das bleibt zu hoffen, schickt sie die Nachrichten doch vom Mobiltelefon aus. Sánchez selbst schrieb auf ihrem Blog über das Ausmaß der Telefonüberwachung auf Kuba. Für die Nähe der Regierenden zur Bevölkerung braucht es manchmal nämlich gar kein Twitter.