Der Trauermarsch von Neonazis in Remagen

Marschieren bis zur Revision

In Remagen (Rheinland-Pfalz) wollen Neonazis einen »Trauermarsch« etablieren, mit dem an ein Kriegsgefangenenlager der Alliierten erinnert werden soll. Die Demonstration ist Teil der Strategie, sich mit geschichtsrevisionistischen Themen zu profilieren.

Wenn Menschen den Namen der Stadt Remagen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg hören, denken wohl die meisten an die dortige Brücke, deren Einnahme durch die 9. US-Panzer­division im März 1945 die Fortdauer des Kriegs entscheidend verkürzte. Die rechtsextreme Szene vor Ort interessiert sich jedoch eher für das alliierte Kriegsgefangenenlager, das daraufhin eingerichtet wurde und zu den sogenannten »Rheinwiesenlagern« gehörte. Bereits das dritte Jahr in Folge wollen am Wochenende Neonazis durch Remagen ziehen und der deutschen Soldaten gedenken, die in diesen Lagern gestorben sind. Von einer Million Toten ist in den Aufrufen zu dem »Trauermarsch« die Rede, eine Zahl, die auf den kanadischen Publizisten und Geschichtsrevisionisten James Bacque und dessen Buch »Other Losses« zurückgeht. Seriöse Historiker schätzen die Zahl der Toten jedoch auf maximal 10 000.
Dieser lässige Umgang mit Opferzahlen ist nichts Ungewöhnliches in der extremen Rechten. Im Fall der Bombardierung Dresdens etwa bringen Geschichtsrevisionisten immer wieder Zahlen vor, die sich auf ein Vielfaches der wissenschaftlich belegbaren Zahlen belaufen. Auch in Bezug auf das strategische Vorgehen der Szene dient Dresden als Vorbild. Denn ähnlich wie in der sächsischen Landeshauptstadt versucht man in Remagen, ein historisches Thema für die Etablierung einer Demonstration zu benutzen, die zum festen Bestandteil im Kalender der Neonaziszene werden soll. Geschichtsrevisionistische Inhalte scheinen sich dafür besonders zu eignen. Nach wie vor versprechen sie hohe Teilnehmerzahlen.

Auch für die kommenden Jahre sind nach Angaben des Antifaschistischen Infobüros Rhein-Main bereits Demonstrationen angemeldet. Als Anmelder fungiert dabei Christian Malcoci, ein erfahrener Neonazikader aus Nordrhein-Westfalen. Federführend bei Planung und Durchführung ist jedoch das »Aktionsbüro Mittelrhein« um Sven Lobeck. Nicht zufällig ist Lobeck zugleich Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Koblenz. Denn die aus der »Aktionsfront Mittelrhein« hervorgegangene Kameradschaft stellt so etwas wie eine Schnittstelle zwischen NPD und der regionalen Neonaziszene dar.
Das Aktionsbüro operiert vor allem entlang des Rheins, ungefähr von Koblenz stromabwärts bis Bonn. Als Hauptquartier dient den Neonazis ein Hausprojekt in Bad Neuenahr-Ahrweiler, das »Braune Haus«. »Ihr Aktionsschwerpunkt liegt vor allem auf dem Hinterland«, meint Andreas Stein vom Antifaschistischen Infobüro Rhein-Main, »dort treten sie überaus sicher auf, verhalten sich aggressiv und gefährlich«. Wie gefährlich sie sein können, bekam im Oktober vergangenen Jahres ein Aussteiger der Neonaziszene zu spüren, der in Höhr-Grenzhausen in einen Hinterhalt gelockt und beinahe totgeprügelt worden war. Fünf Tatbeteiligte wurden kürzlich zu Gefängnisstrafen verurteilt. Zwei weitere erhielten Bewährungsstrafen. Einige der Täter stehen nach Angaben des Antifaschistischen Infobüros Rhein-Main dem Aktionsbüro nahe.
Auch wenn das Aktionsbüro fleißig Flugblätter in Remagen verteilt, besteht der Zweck der Demonstrationen in erster Linie nicht darin, die Bürger vor Ort zu überzeugen. »Es geht vor allem darum, sich in der bundesweiten Naziszene zu etablieren«, sagt Stein. Die Nazis möchten also Aktions- und Kampagnenfähigkeit beweisen. Dabei ist die Demonstration in Remagen nicht der erste Versuch, ein Thema dauerhaft in der Öffentlichkeit zu besetzen. So fand bereits ab 2003 eine Reihe von Aufmärschen an einem Denkmal für Angehörige der Waffen-SS in Marienfels statt. Nach der Entfernung des Denkmals – und dem Wiederaufbau im Garten des Neonazikaders Thorsten Heise in Thüringen – musste sich die örtliche Szene jedoch umorientieren. Das Thema »Rheinwiesenlager« hat für sie den Vorteil, dass es nicht so einfach verschwinden wird wie das Denkmal in Marienfels. Wie in den vergangenen Jahren erwartet das Antifaschistische Infobüro Rhein-Main auch in diesem Jahr etwa 300 Teilnehmer. Es kann also durchaus angenommen werden, dass sich die Demonstration in Remagen etabliert.

Dies geschieht auch, weil die Neonazis vor Ort kaum auf Widerstand stoßen. Während sich die Aktivitäten des lokalen »Bündnis für Frieden und Demokratie« im Wesentlichen auf Mahnwachen und Symbolpolitik beschränken, haben aktive Antifaschisten mit ihrer Kriminalisierung zu kämpfen. Erst im Oktober wurde in einem Berufungsprozess am Landgericht Koblenz ein Urteil gegen einen 23jährigen Antifaschisten bestätigt. Er soll einem Polizisten während der Gegendemons­tration im vergangenen Jahr eine Platzwunde am Kopf zugefügt haben. Kritiker des Urteils führen an, dass es dafür keinerlei Beweise gebe und selbst der verletzte Polizist aussagte, er habe dem Beschuldigten zwar Reizgas ins Gesicht gesprüht, aber nicht gesehen, dass dieser ihn geschlagen habe. Dennoch kam es zu einer Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung. Die Strafe beläuft sich auf 18 Monate Haft auf Bewährung und eine Zahlung von 1500 Euro Schmerzensgeld. Prozesse gegen mindestens sechs weitere Personen laufen noch. Diese Bedingungen erschweren es den Antifaschisten, Menschen zu Aktivitäten gegen die Neonazis und ihrer Demonstration zu motivieren.
So dürfte sich an der starken Neonazipräsenz in der Grenzregion zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz in naher Zukunft kaum etwas ändern. Auch das »Aktionsbüro Mittelrhein« dürfte weiter fleißig mit seinem zum Lautsprecherwagen ausgebauten VW-Bus durch die Republik touren und bei verschiedenen Demonstra­tionen der extremen Rechten logistische Unterstützung leisten. Die Zahlenkombination auf dem Ahrweiler Nummernschild des Kleinbusses wird von lokalen Antifaschisten als Verweis auf die Ermordung des Obdachlosen Dieter Klaus Klein am 31. Juli 1992 im Landkreis Ahrweiler durch Naziskins interpretiert. Die Zahlen entsprechen dem Tag und dem Monat der Tat. Ein weiterer Hinweis auf die Gewaltbereitschaft einer regionalen Neonaziszene, die versucht, sich im ruhigen Hinterland entlang des Rheins eine solide Operationsbasis und »national befreite Zonen« zu schaffen.