Die Regierungskoalition in Berlin

Immerhin die Autobahn!

SPD und CDU haben sich in Berlin auf eine Regierungskoalition geeinigt. Politische Ideen sucht man vergebens.

Lustig wäre es, in diesen Tagen durch Berlin zu ziehen, den Menschen das Foto eines eher unauffälligen Herrn im gehobenen mittleren Alter vorzulegen und zu fragen, um wen es sich handeln könnte. Vielleicht würden manche auf den örtlichen Sparkassenleiter tippen, andere auf irgendeinen Abteilungsleiter im Bürgeramt und sicher einige auf den netten Onkel von nebenan, der den Kindern manchmal Geschichten vorliest. Auf die richtige Lösung aber käme vermutlich niemand: Frank Henkel, der Spitzenkandidat der Berliner CDU und zukünftige Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters in der Hauptstadt.
Es ist schon seltsam: Da wählen die Berliner zu etwa 70 Prozent Parteien, die dem linken Spektrum zugerechnet werden – was immer das heutzutage auch heißen mag –, setzen die FDP auf Augenhöhe mit der Tierschutzpartei und stabilisieren die CDU bei einem Prozentwert, der bei ihr vor wenigen Jahren noch Untergangsphantasien ausgelöst hätte, und dann wechselt die Regierung von Rot-Rot auf Rot-Schwarz – und niemanden interessiert es weiter.
Das einzige Thema, das so etwas wie politische Leidenschaft auslöste, war die Verlängerung einer Autobahn. Damit hat man nun eine Maßeinheit für politische Weitsicht. Die Grünen etwa sind nicht willens oder fähig, weiter als 3,2 Kilometer zu denken – exakt so lang ist das umstrittene Ausbaustückchen, das sie für unverhandelbar erklärt hatten und mit dem sie Klaus Wowereit (SPD) den Vorwand gaben, die Koalitionsverhandlungen abzubrechen. Betonköpfe gegen Betonpolitik, dit is Ballin! Das Nein der Grünen zum Autobahnausbau war noch kurz vor der Wahl von Volker Ratzmann in Zement gegossen worden. Danach wurde er trotzdem von seiner Fraktion zum Vorsitzenden gewählt, gegen den Willen des linken Flügels. Dieser fand zwar für seine Kandidaten keine Mehrheit, nahm dies aber nicht zum Anlass, über deren Eignung nachzudenken. Stattdessen stampfte man so lange mit den Füßchen, bis Ratzmann zurücktrat und eine grüne Supernanny gerufen werden musste. Seither sind alle in Selbsterfahrungsgespräche vertieft. Ob die Fraktion bis zur nächsten Wahl einen vollständigen Vorsitz hat, bleibt abzuwarten. Zumindest wird sie seine Funktion dann tanzen können.
So bleiben die aufregendsten politischen Ereignisse seit der Wahl, dass ein Berliner Pirat sein Profilbild auf Facebook, ein anderer aber nicht sein Kopftuch gewechselt hat. Die Agonie der Regierungsbildung gab für die Hauptstadtpresse weniger her. Wo es keine politischen Ideen gibt, kann man über nichts diskutieren. Die auffälligste Entscheidung der angehenden Koalition war ausgerechnet ein neuer Ressortzuschnitt, der Wissenschaft und Forschung verschiedenen Senatsverwaltungen unterstellt. Dass Forschung von Wissenschaft ungefähr so sauber abzutrennen ist wie V-Leute von der NPD – geschenkt. Es wollten eben beide Partner etwas mit Wissenschaft. So macht man es schließlich auch bei kleinen Kindern: Im Streitfall einfach teilen. Die Mühe, wenigstens eine Scheinbegründung zu finden, macht sich in der Berliner Politik längst niemand mehr. Aber am Ende werden die Berliner sagen können: Es war nicht alles schlecht – immerhin die Autobahn haben sie gebaut.