Die »Zeitgeistbewegung« bei den »Occupy«-Protesten

Reif für den Zeitgeist

Die »Occupy«-Bewegung entspricht voll und ganz dem »postideologischen« Common Sense großer Teile der Gesellschaft. Kein Wunder also, dass sich die krudesten Sekten und Milieus dort wiederfinden.

»Wir möchten ein Forum für alle Bürger schaffen, um offen zu diskutieren, wie wir in Zukunft anders wirtschaften können, damit nicht die Gewinnmaximierung einiger weniger auf Kosten der Allgemeinheit geht. Echte Demokratie zum Wohle aller. Wir sind das Volk und möchten endlich mitreden. Wir möchten friedlich demons­trieren – denn wir wollen einen friedlichen Wandel. Eines unserer Anliegen ist es, ein neues globales Bewusstsein zu schaffen. Ohne Ideologie durch unterschiedliche politische Lager hinweg. Wir sind alle Menschen und wir müssen alle umdenken.«
In diesen Sätzen aus der Selbstdarstellung, die im Oktober auf der Homepage des Berliner »Occupy«-Camps zu lesen war, kommt die Grundeinstellung der neuen Bewegung, so heterogen sie auch sein mag, sehr gut zum Ausdruck. Es geht ihr nicht um politische Interessen, die es gegen andere Interessengruppen durchzusetzen gilt. Im Diskurs der »Occupy«-Bewegung wird vielmehr von einem globalen Bewusstseinswandel, an dem alle irgendwie teilhaben sollen, schwadroniert. Zugleich werden die Interessen der Allgemeinheit beschworen und »das Volk« wird zum Mitreden aufgefordert. Das sind dann wohl die vielzitierten 99 Prozent. So vage wie die Ziele sind auch die Aktionen dieser Bewegung, die auch schon mal »Meditationen für ein friedvolles Wirtschaftssystem« auf ihrer Website bewirbt.

Dass sich in einer solchen Szene Verschwörungstheoretiker und Esoteriker aller Couleur finden, kann kaum verwundern. Sie müssen die Bewegung nicht unterwandern, sondern einfach nur an ihren Bewusstseinsstand anknüpfen. Eine dieser Gruppierungen nennt sich »Zeitgeistbewegung«. Sie wurde 2007 von dem in den USA lebenden Peter Joseph gegründet, propagiert eine Abkehr von jeder Politik und Ideologie und will mit technischen Mitteln das nebulöse Ziel einer »ressourcenbasierten Wirtschaft ohne Geld« erreichen. Joseph stammt aus dem politischen Umfeld des rechtslibertären Politikers Ron Paul. Der Name seiner Bewegung leitet sich von dem Film »Zeitgeist« ab, der 2007 von Joseph kostenlos ins Internet gestellt und schnell weltweit populär wurde. Darin werden Verschwörungstheorien über die Anschläge vom 11. September 2001 mit zünftigem Bankenbashing vermischt. In einem Milieu, in dem »Loose Change«, ein weiterer weltweit zirkulierender verschwörungstheoretischer Film über 9/11, als Aufklärung, und die Duisburger Querfront-HipHop-Truppe »Die Bandbreite« als kritische Band gilt, können die Anhänger Jo­sephs auf reges Interesse stoßen.
Schon seit Jahren tummelt sich durchaus nicht nur am Rande eines subkulturellen Milieus eine politische Szene, die sich selbst »Freigeistler« nennt und regelmäßig Festivals organisiert. Auf der als Alternative zur Loveparade organisierten Fuckparade in Berlin haben sie Filmkopien von »Loose Change« verteilt und für verschwörungstheoretische Projekte wie »Infokrieg« und »Schall und Rauch« geworben. Neben der angeblich »unterdrückten Wahrheit« über die Anschläge von 9/11 wird dort auch über den Klimaschwindel und die inszenierte Bankenkrise lamentiert.
Mit den »Occupy«-Protesten wurde die »Zeitgeistbewegung« erstmals auch in Deutschland von einer größeren Öffentlichkeit wahrgenommen und bekam sogar ein Gesicht: Wolfram Siener, der sich als Blogger aus dem Rhein-Main-Gebiet vorstellte, schaffte es als Sprecher der Frankfurter »Occupy«-Bewegung ins Fernsehen und wurde sogleich als »Gallionsfigur« (Taz) bzw. »charismatische Führungsfigur« (Der Spiegel) der Protestbewegung »gefeiert wie ein Popstar« (Der Spiegel). Die Medien hatten ihren Ansprechpartner und versäumten nicht zu betonen, dass Siener nicht dem Klischee des radikalen Linken entspreche. Doch als Sieners Verbindung zur »Zeitgeistbewegung« bekannt wurde, gab es auch unter den »Occupy«-Aktivisten deutliche Kritik, so dass der Anführer in spe bald wieder in der medialen Versenkung verschwand. Dies macht deutlich, dass es falsch wäre, die gesamte »Occu­py«-Bewegung als zeitgeistgesteuert zu bezeichnen. Viele Aktivisten sehen in »Zeitgeist« auch nur eine weitere Organisation, die sie vereinnahmen möchte.

Doch gewichtiger ist die Übereinstimmung in vielen Grundannahmen, mit denen die »Zeitgeistbewegung« den Common Sense vornehmlich junger Menschen ausdrückt, die eine gewisse Unzufriedenheit mit gesellschaftlichen Verhältnissen verspüren, aber weder bereit sind, sich theoretisch mit der Verfasstheit von Staat, Kapital und Nation auseinanderzusetzen, noch sich kollektiv dagegen zu wehren. Die Erfahrung, gemeinsam für soziale Forderungen zu kämpfen, fehlt heute immer mehr Menschen. Darin liegt auch der Grund für die Attraktivität der »Occupy«-Bewegung. So vereinzelt, wie sie oft in ihren Jobs, in den Arbeitsagenturen und in ihrem Alltag agieren, zelebrieren sich die jungen Menschen auch in ihrer Rolle als Protestler. In der »Occupy«-Bewegung geht es gerade nicht darum, gemeinsame Interessen zu formulieren und eine Durchsetzungsmacht zu entwickeln. Die Camper und Besetzer gerieren sich vielmehr als protestierende Ich-AG, die ganz individuell ihre Befindlichkeiten ausdrücken möchte. Zwei Berliner Protestcamper haben ihr Anliegen mit einem Schild vor ihrem Zelt gut auf den Punkt gebracht. »Dominik und Saskia sind empört«, steht da. Eine andere Demonstrantin zeigte ein Plakat mit der Aufschrift: »Ich bin so empört, dass ich sogar dieses Schild gemalt habe.«
Die »Zeitgeistbewegung« ist aber nur ein Profiteur dieser empörten Ich-AGler ohne Theorie und kollektive Praxis. Ein Großteil des Klientel der Piratenpartei kann ideologisch und kulturell ebenso in dieses »postideologische« Milieu eingeordnet werden wie die Fangemeinde des Wikileaks-Gründers Julian Assange. Natürlich sind es nicht unbedingt dieselben Menschen, aber die verschiedenen Empörten teilen einen bestimmten Blick auf die Gesellschaft. Die Ablehnung aller Ideologien und der Politik im Allgemeinen gehört dazu. Dabei sind es vor allem in der emanzipatorischen linken Bewegung in langen Auseinandersetzungen durchgesetzte Praktiken, die unter Ideologieverdacht gestellt werden. So wie viele Assange-Fans die Vergewaltigungsvorwürfe der schwedischen Frauen konsequent ignorieren und die Piratenpartei in Sachen Frauenquote noch hinter der CSU rangiert, so wird auch die Forderung der Abgrenzung nach rechts unter Ideologieverdacht gestellt. Auch in der »Occupy«-Bewegung wird immer wieder betont, dass die Kategorien rechts und links keine Rolle mehr spielten. Davon profitieren vor allem die Rechten aller Schattierungen. Gab es noch vor 15 Jahren heftige Auseinandersetzungen darum, ob ein Mitarbeiter der Jungen Freiheit (JF) als Zuhörer an Veranstaltungen linker Gruppen überhaupt teilnehmen dürfe, so saß nun auf einer von der von Jürgen Elsässer herausgegebenen verschwörungstheoretischen Querfrontzeitschrift Compact organisierten Veranstaltung in Berlin mit Karl Feldmeyer ein ge­legentlicher JF-Autor auf dem Podium, wo er dem CSU-Rechtsaußen Peter Gauweiler seinen besonderen Respekt zollte. Nach ihm ergriff dann auch Bastian Menningen für »Occupy«-Berlin das Wort. Natürlich problematisierte er weder die Beteiligung eines JF-Autors an der Veranstaltung noch die rechtspopulistische Veranstaltung an sich. Vielmehr war man sich auf dem Podium einig in der Ablehnung des Euro und der EU.

Angesichts einer solchen politischen Konstellation kann es nicht darum gehen, den »Politikantenstadl der diversen zumeist trotzkistischen Parteien und Gruppen« in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen, wie es Peter Jonas in seinem Beitrag (44/2011) tut. Denn dabei dominiert die Vorstellung, dass die Ablehnung von Parteien und Großorganisationen wie Gewerkschaften durch die »Occupy«-Bewegung schon fast anarchistisch, auf jeden Fall aber sympathisch sei. Dabei wird übersehen, dass es ein großer Unterschied ist, ob eine solche Ablehnung aus einer rätekommunistischen oder anarchistischen Position heraus erfolgt oder ob damit einer diffusen Ablehnung von Ideologien und Parteien, ja von Politik an und für sich, das Wort geredet wird. Linke Gewerkschafter berichteten, dass ihnen von den »Occupy«-Aktivisten in Frankfurt am Main verboten wurde, ihr Banner zu zeigen, während junge Männer mit dem Aufnäher »Stolz, ein Deutscher zu sein« auf der Jacke in Hörweite gestanden und über das Politikverbot für die Roten gefeixt hätten.
Eine emanzipatorische linke Intervention in die »Occupy«-Bewegung müsste in erster Linie in der grundsätzlichen Kritik ihrer gesellschaftspolitsichen Vorstellung bestehen. Wenn aber, wie von einigen Aktivsten aus der »Interventionistischen Linken« in der Anfangsphase der »Occupy«-Bewegung, den radikalen Linken empfohlen wird, zu schweigen und zuzuhören, ist sie schon fast im Zeitgeist angekommen.