Wie Neonazis über die Mordserie des NSU diskutieren

Von Anders zu Zschäpe

Vier Monate nach den Terroranschlägen in Norwegen diskutieren deutsche Neonazis angesichts der Enthüllungen um den »Nationalsozialistischen Untergrund« erneut über rechtsextremen Terror und dessen Folgen für die »nationale Bewegung«.

Als Anders Breivik in Norwegen 77 Menschen ermordet hatte, fiel es deutschen Neonazis nicht schwer, sich davon zu distanzieren. Auch wenn seine Tat und sein Hass auf Muslime und Linke nicht grundsätzlich auf Ablehnung stießen, eignete sich der Attentäter – in rechtsextremen Foren schnell als prozionistischer Freimaurer und »Anhänger der Holocaust-Lüge« gebrandmarkt – nicht als Identifikationsfigur. Der aktuelle Fall um die Zwickauer Terrorzelle hat einen ungleich höheren Stellenwert für die hiesige Szene. Denn die Verantwortlichen für die Mordserie sind als ehemalige Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes (THS) nachweislich aus der deutschen Neonaziszene hervorgegangen. Mit ihrem Selbstverständnis als »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) teilten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Ideologie der Kameradschaften und großer Teile der NPD. Nun erhält die extreme Rechte so viel öffentliche Aufmerksamkeit wie schon lange nicht mehr, und die szeneinterne Debatte um eine Positionierung gegenüber den Ereignissen ist in vollem Gange.

Dass die Mordserie nicht erst seit den aktuellen Enthüllungen von Neonazis wahrgenommen wird, belegen etwa folgende Zeilen aus dem Lied »Dönerkiller« von der in rechtsextremen Kreisen beliebten Band »Gigi und die braunen Stadtmusikanten«, erschienen im Jahr 2010 auf dem indizierten Album »Adolf Hitler lebt«: »Bei allen Kebabs herrschen Angst und Schrecken. Der Döner bleibt im Halse stecken, denn er kommt gerne spontan zu Besuch, am Dönerstand, denn neun sind nicht genug.« Die ebenfalls rechtsextreme Band »Eichenblatt«, die Szenekennern zufolge aus dem direkten Umfeld des THS stammt, widmete gar explizit dem Terroristen-Trio eine Hommage. Im Lied »5. Februar«, eine Referenz auf den Tag, an dem die drei 1998 in den Untergrund gingen, heißt es: »Ihr hattet wohl keine andere Wahl. (…) Zurück könnt ihr jetzt wohl nicht mehr. (…) Die Kameradschaft bleibt bestehen (…). Der Kampf geht weiter, für unser deutsches Vaterland!« Von den Sicherheitsbehörden wird derzeit untersucht, ob es direkte Verbindungen der Bands zu den Tätern während ihrer Zeit im Untergrund gegeben hat. Nach aktuellem Stand gilt das jedoch als unwahrscheinlich. Allerdings verdeutlicht es, dass zumindest Teile der Neonazi-Szene die Mordserie mit Begeisterung verfolgt hatten und die Existenz der Zelle bekannt war.
Dass sie gerade jetzt bekannt wurde, ist nach Ansicht mancher NPD-Kreise kein Zufall. Der Zeitpunkt sei mit dem Wochenende ihres Bundesparteitags abgestimmt gewesen, um der Partei zu schaden, vermutet man etwa auf dem NPD-Internetportal »DS-Aktuell«. Die Partei, deren Verbot nun nach dem Willen von Bundesregierung und Opposition ein weiteres Mal angestrebt werden soll, hatte an jenem Wochenende die alte Garde um Udo Voigt abgewählt und Holger Apfel, den Vorsitzenden der sächsischen Landtagsfraktion, zu ihrem Bundesvorsitzenden gemacht. Dieser möchte die NPD mit seinem Konzept der »seriösen Radikalität« aus der braunen Schmuddelecke führen und wählbarer machen (vgl. Jungle World 46/2011). In diesem Sinne ist wohl Apfels ebenfalls auf »DS-Aktuell« veröffentlichte Stellungnahme zum NSU zu verstehen: »Nach allem, was bis heute bekannt ist, zeugen die abscheulichen Morde des Zwickauer Killer-Trios nicht nur von einer extrem hohen kriminellen Energie, sondern auch von einer Abartigkeit, die einen fassungslos macht.« Für Apfel, der trotz seiner Bekenntnisse zur Gewaltlosigkeit weiter enge Kontakte zu militanten Kameradschaften pflegt, ist die NSU nur ein vom Verfassungsschutz aufgebauter »Popanz«. Die NPD sei das Opfer einer Kampagne, mit der versucht werde, endlich das gescheiterte Verbotsverfahren durchzusetzen, heißt es auf der Internetseite.

Von einem geheimdienstlichen Konstrukt und einer groß angelegten Verschwörung gegen den »nationalen Widerstand« geht man auch auf dem rechtsextremen Internetportal »Altermedia« aus, dessen Betreiber Axel Möller und Robert Rupp­recht erst kürzlich vom Landgericht Rostock zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden sind – unter anderem wegen Volksverhetzung und des Aufrufs zu Straftaten. Das Portal ist wegen seiner NPD-kritischen Haltung besonders bei den militanteren »Freien Kameradschaften« beliebt. Die Betreiber, die sich im Forum als »Schriftleitung« zu Wort melden, sehen in der NSU-Affäre eine »Faschingsscharade, die bei jeder Karnevalsfeier vom Publikum ausgepfiffen worden wäre«. Die dem NSU zugeschriebenen Morde stünden in einer Reihe mit anderen Fällen, in denen sich der Verdacht einer rechtsextremen Täterschaft später nicht bestätigt hätte. In Anspielung auf die Debatte um ein neues NPD-Verbotsverfahren empfehlen sie den staatlichen Behörden, »von den wirklichen Nazis« zu lernen. Diese »verboten Parteien wie SPD und KPD erst, nachdem sie einen Anlass gefunden hatten, den man auch als überzeugend verkaufen konnte, nämlich den Reichstagsbrand«.

Nach Ansicht des Forums Altermedia und vielen seiner User handelte es sich bei dem Trio um gewöhnliche Kriminelle, die vom Verfassungsschutz instrumentalisiert worden seien. Aktivisten, die der Bezeichnung als »Nationalsozialistischer Untergrund« gerecht werden wollen, hätten ihre Zeit nicht mit »türkischen Kleinhändlern« und »politischen Niemanden« vertrödelt, sondern sich um Repräsentanten des Systems gekümmert, heißt es. Der User »Reichsbürger« etwa ist sich sicher: »Dieser Dönerpolizistenbanküberfallmord wurde inszeniert, um ein mediales Trommelfeuer auf die Bundesbürger abzufeuern, damit diese auch weiterhin auf den Knien rutschend durch die Weltgeschichte stolpern können.« Dass die ganze Angelegenheit Teil einer größeren Verschwörung ist, ist auch für »F. Heusinger« keine Frage: »Besser hätte es gar nicht kommen können für die Juden und ihre Demokraten. Mitten in dieser durch jüdische Gier und demokratistischen Opportunismus verursachten größten Wirtschaftskrise aller Zeiten treten die ›Naziterroristen‹ auf den Plan.«
Differenzen treten unter den Neonazis vor allem auf, wenn es darum geht, ob eine Distanzierung von den Mordanschlägen notwendig sei. In dieser Frage lässt die »Schriftleitung« von Altermedia keine Zweifel offen. Ihr falle es angesichts »Hunderter von Morden, bei denen die Opfer Deutsche sind und die Täter Ausländer, ohne dass auch nur ein Politiker oder eine Zeitung, geschweige denn die Potentaten irgendwelcher Zentralräte ein Wort des Bedauerns oder des Wunsches nach Aufklärung und unnachsichtiger Bestrafung der Täter erheben würden, nicht im Traume ein, den Opfern auch nur eine einzige Krokodilsträne zu widmen«. Es mache ihr »daher überhaupt nichts aus, diesen ins Grab hinterher zu rufen, dass es für ihre Gesundheit eben besser gewesen wäre, wenn sie ihren Dönerhandel in Istanbul abgewickelt hätten und nicht hier«. Holger Apfels Verurteilung der Morde löste bei vielen Neonazis gar Empörung aus, so bei User »Eugen Mollknoll«: »Mich würgt es im Hals, wenn ich sehe, wie kriecherisch-angepasst und völlig unreflektiert sich die Apfelfront zu dem Thema äußert. Und das schon in der ersten Woche nach der Wahl«.
Für Gesprächsstoff sorgte auch ein von dem rechtsextremen Modelabel »Reconquista« nur wenige Tage nach den Enthüllungen auf den Markt gebrachtes T-Shirt, auf dem ein Dönerspieß vor zwei gekreuzten Messern mit der Aufschrift »Killer Döner – Nach Thüringer Art« zu sehen ist. Im Altermedia-Thread zum Thema meldeten sich einige User zu Wort, die die Meinung vertraten, dass es kontraproduktiv sei, sich in dieser Weise zu den Morden zu bekennen. Derlei Bedenken seien etwas für »Leute mit Schwächekomplexen, die ein wenig vom Geist der Umerziehung angekränkelt sind«, hieß es daraufhin von Seiten der »Schriftleitung«, die damit der Haltung der Mehrzahl der Diskussionsteilnehmer Ausdruck verlieh. Offensichtlich will man es sich nicht nehmen lassen, die Angelegenheit sowohl als antinationale Geheimdienstverschwörung darzustellen, als auch die Ermordung von Migranten gebührend zu zelebrieren.