Weggemobbt

Der deutsche Staat kennt vor allem zwei Methoden, um finanzielle Ansprüche von Opfern des Nationalsozialismus abzuwehren. Entweder werden juristische Formalismen bemüht oder das Thema wird ausgesessen, bis die Betroffenen verstorben sind. Jahrzehntelang wurde Menschen, die in einem Ghetto der Nazis gearbeitet hatten, eine Rente verweigert, weil sie in der Regel nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden haben. Das »Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungsverhältnissen in einem Ghetto« von 2002 kam für die meisten zu spät. Die wenigen Überlebenden waren mit einer kafkaesken Bürokratie konfrontiert; viele konnten außerdem nicht nachweisen, dass sie die Arbeit, wie vom Gesetz verlangt, »aus eigenem Willensentschluss« ausgeübt haben.
Was aber machen deutsche Beamte, wenn sich einer ihrer Kollegen nicht der Tradition fügt, sondern die Interessen der Opfer durchsetzt? Sie versuchen, diesen Kollegen zu mobben. Solche Vorwürfe erhebt jedenfalls der 45jährige Richter Jan-Robert von Renesse, der seit 2006 am Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen für die Bearbeitung von »Ghettorentenfällen« zuständig war. Im Gegensatz zu anderen Richtern, die zumeist nach kurzem Blick auf die Aktenlage gegen die Kläger entschieden, war er mehrere Male nach Israel gereist und hatte die Opfer angehört, denn »es ist etwas ganz anderes, eine Akte vor sich zu haben oder einen Menschen«, so von Renesse. Seinen umfangreichen Studien ist es zu verdanken, dass das Bundessozialgericht 2009 die Hürden für die Rentenansprüche gesenkt hat. Er selbst ist indes seit dem Frühjahr 2010 nicht mehr zuständig für dieses Arbeitsgebiet, sondern in einem anderen Senat des Gerichts tätig. Die Gerichtspräsidentin behauptet, dass die Versetzung mit dem ausdrücklichen Einverständnis des Richters erfolgt sei. Ein Schreiben Renesses vom 12. November an den nordrhein-westfälischen Landtag lässt das angebliche Einverständnis in anderem Licht erscheinen: Von Renesse sieht sich wegen seines Vorgehens »massiven persönlichen Anfeindungen ausgesetzt«. Zudem seien Akten systematisch vernichtet worden. Im Landtag wird es nun unruhig, was aber nicht unbedingt der Sorge um den Lebensunterhalt der NS-Opfer geschuldet ist. Nach Aussage des CDU-Abgeordneten Peter Biesenbach steht vor allem »das internationale Ansehen der NRW-Justiz auf dem Spiel«.