Die Diskriminierung von HIV-positiven Menschen

Negation der Positiven

Zum diesjährigen Welt-Aids-Tag machen die Aids-Hilfen verstärkt auf die Diskriminierung von HIV-positiven Menschen im Erwerbsleben aufmerksam.

Eine HIV-Infektion gilt heutzutage als zwar nicht heilbare, aber immerhin behandelbare chronische Krankheit. Durch die Erweiterung von Therapiemöglichkeiten hat sich die Lebensqualität vieler HIV-Infizierter im vergangenen Jahrzehnt stark verbessert. Für die Betroffenen haben sich dadurch neue Perspektiven auf Teilhabe am gesellschaft­lichen Leben eröffnet, beispielsweise die Möglichkeit, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Damit gehen spezielle Probleme einher, etwa die Frage, wie Kollegen mit einer HIV-Infektion umgehen oder wie HIV-Positive überhaupt zu einer Anstellung gelangen.
Einer aktuellen Studie des Robert-Koch-Instituts zufolge leben mittlerweile 73 000 HIV-Positive in Deutschland. Dass deren Zahl in den vergangenen Jahren weiter angestiegen ist, ist jedoch nicht auf eine Zunahme der jährlichen Neuinfektionen zurückzuführen, sondern resultiert aus der verlängerten Lebenserwartung HIV-Infizierter. Bevor 1996 mit den »Kombinationstherapien« ein Durchbruch bei der Behandlung von Aids erzielt werden konnte, bedeutete eine HIV-Diagnose den sicheren baldigen Tod. Auch der 61jährige Stephan Zimmer* hatte sich nach seiner Diagnose vor 28 Jahren auf seinen Tod vorbereitet. Doch dank der verbesserten Behandlungsmethoden kann er trotz seiner Erkrankung leben.

Zimmer erinnert sich noch gut an die Reaktionen in den achtziger Jahren, als die ersten Aids-Fälle bekannt wurden und dieses seltsame Dahinsiechen große Ängste in der Bevölkerung auslöste. Immer noch werden Menschen, die sich vermeintlich abnorm verhalten, etwa homosexuelle Männer, Sexarbeiter oder Junkies, in den Statistiken als besonders gefährdete Risikogruppen ausgemacht. Vor diesem Hintergrund sei es nach wie vor eine weit verbreitete Ansicht, dass die Betroffenen selbst Schuld an ihrer Erkrankung seien, meint Claus Eschemann von der Berliner Aids-Hilfe (BAH). Insbesondere in manchen religiösen Kreisen werde Aids als »Strafe Gottes« für ein unmoralisches Leben betrachtet. Die Folge all dessen sei, dass HIV-Positive in allen Lebensbereichen ausgegrenzt würden. Dabei habe gerade die Diskriminierung im Erwerbsbereich gravierende Folgen für die Betroffenen. »Auch Positive müssen, wenn sie nicht gerade reich sind, am Arbeitsleben teilnehmen, um sich ihr Leben überhaupt finanzieren zu können«, sagt Eschemann.
Als es Zimmer wieder besser ging, wollte auch er wieder einem Beruf nachgehen. Zunächst engagierte er sich in einem südafrikanischen Aids-Hospiz. Mittlerweile lebt er in Berlin und arbeitet ehrenamtlich in der HIV-Prävention. Eine wirkliche Reintegration in das Erwerbsleben hat seine krankheitsbedingte Frühverrentung verhindert, die vorübergehend nötig war.
Um HIV-infizierten Menschen auf der Suche nach einer Arbeitsstelle oder einer beruflichen Neuorientierung zu helfen, hat die BAH im Mai dieses Jahres das Projekt »Step by Step« ins Leben gerufen. Dies geschah, weil viele Betroffene von den Leistungen des Sozialamts, Erwerbsminderungsrenten oder der Grundsicherung leben, da sie – sei es aus gesundheitlichen, sei es aus psychischen Gründen – ihre Erwerbstätigkeit aufgeben mussten. Doch mittlerweile ist wegen der besseren Behandlungsmöglichkeiten nur noch etwa ein Drittel aller Infizierten physisch nicht in der Lage, einer Arbeit nachzugehen. Arbeitgeber aber legen meist großen Wert auf die »Leistungsfähigkeit« von Stellenbewerbern, da die Lebensläufe von HIV-Positiven in den seltensten Fällen lückenlos sind, entsteht bei ihnen der Eindruck, diese seien ungeeignet. Gerade Personen, die wie Zimmer bereits verrentet waren und nun wieder erwerbsfähig sind, haben Probleme, eine Stelle zu finden.

Vielen Menschen ist zudem nicht bewusst, dass es einen Unterschied zwischen einer HIV-Infektion und der Krankheit Aids gibt. Deshalb ist die Fehlannahme weit verbreitet, HIV-Positive litten unter einer akuten Erkrankung und seien häufiger krankgeschrieben als nicht infizierte Menschen. Doch aus einer Infektion lasse sich nicht auf die Leistungsfähigkeit einer Person schließen, erklärt Eschemann. Im Gegenteil: Ihm zufolge trägt ein festes Arbeitsverhältnis zur Stabilisierung der Betroffenen bei, so dass diese »weniger anfällig für Folgekrankheiten wie Depressionen« sind.
Auch Thomas** ist HIV-positiv und versucht, nachdem er seinen Job als Maler aufgeben musste, sich als Fotograf selbständig zu machen. Zudem engagiert er sich als »Botschafter« für die aktuelle Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum heutigen Welt-Aids-Tag. Diese richtet sich mit Plakaten im Stadtbild gegen die Diskriminierung und Stigmatisierung der Betroffenen. Ähnliche Bemühungen gibt es seitens der Aids-Hilfen, nicht nur in Deutschland. Die Aids-Hilfe in der Schweiz etwa, der in diesem Jahr 40 Diskriminierungsfälle im Erwerbsbereich gemeldet wurden, fordert ein besonderes Antidiskriminierungsgesetz.

Für Deutschland gibt es keine Zahlen zur Diskriminierung von HIV-Infizierten am Arbeitsplatz. Allerdings liegt eine Studie aus Großbritannien zur Erwerbstätigkeit von HIV-Positiven vor, deren Ergebnisse sich Eschemann zufolge weitgehend auch auf Deutschland übertragen lassen. Im Rahmen der Studie des National Aids Trust aus dem Jahr 2009 wurden 8 369 homosexuelle und bisexuelle Männer, von denen 1 830 HIV-positiv waren, über ihre Situation am Arbeitsplatz befragt. 62 Prozent der befragten HIV-Infizierten hatten sich am Arbeitsplatz als positiv geoutet. Jeder fünfte von diesen gab wiederum an, schon einmal deswegen diskriminiert worden zu sein, insbesondere durch Ausgrenzung, Mobbing oder den Bruch der Schweigepflicht in Bezug auf die Infek­tion. Fast jeder zehnte Geoutete führte eine Kündigung auf seine HIV-Infektion zurück.
Allerdings gibt es, anders als in Deutschland, in Großbritannien ein Gesetz, das HIV-Positive vor Diskriminierung schützen soll. Hierzulande fordern die Aids-Hilfen eine ähnliche Regelung, HIV und Aids sollen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz explizit als Diskriminierungsmerkmale genannt werden. Diese Änderung ist eigentlich überfällig: Bereits im Juni 2010 sprach die Internationale Arbeitsorganisation der Uno eine entsprechende Empfehlung aus.
Die Aids-Hilfen erhoffen sich von einer solchen Regelung, dass die Betroffenen in die Lage versetzt werden, illegitimen Kündigungen rechtlich etwas entgegenzusetzen. Auch die Frage nach einer HIV-Infektion in Bewerbungsgesprächen soll dadurch als rechtswidrig eingestuft werden. Bisher gibt es dafür keine ausreichende Handhabe, obwohl selbst nach geltender Gesetzeslage HIV-Positive über ihre Erkrankung nur informieren müssen, wenn sie sich auf die Eignung für die Arbeit auswirkt, etwa bei bestimmten medizinischen Tätigkeiten, bei denen eine akute Infektionsgefahr für Dritte besteht. »Warum sollte ich meinem Arbeitgeber sagen, dass ich HIV-positiv bin?« fragt sich auch Zimmer, der sich eine gesetzliche Nachbesserung wünscht. »Ich sag ihm doch auch nicht, dass ich zwei Kronen in meinem Gebiss habe.« Ein offener Umgang mit der Krankheit durch die Betroffenen wäre damit natürlich nicht ausgeschlossen, betont Ute Hiller, die Geschäftsführerin der BAH. Ihres Erachtens ist dies für viele Betroffene auch ein Schritt zu mehr Selbstvertrauen.

* Name von der Redaktion geändert
** Vollständiger Name der Redaktion bekannt