Widerstand gegen den Walfang im antarktischen Ozean

Walkampf am Südpol

Dezember ist Jagdzeit für die japanische Walfangflotte. Die »Sea Shepherd Conservation Society« kämpft seit Jahren für den Schutz der Wale. Ihr Leiter Paul Watson gilt als Exzentriker und »Ökoterrorist«.

»Sie werden uns töten müssen, um uns aufzuhalten«, sagte Paul Watson vor zwei Wochen, am Anfang der achten Runde im jährlichen »Walkrieg« zwischen seiner Umweltschutzorganisation »Sea Shepherd Conservation Society« und der japanischen Walfangflotte. Als »illegale Belästigung und Terrorismus« bezeichnen die Walfänger die Vorgehensweise von Sea Shepherd.
Pünktlich zu Beginn der Walfangsaison im antarktischen Sommer will Sea Shepherd Anfang Dezember mit der »Operation Divine Wind« beginnen. Mit dem Namen »Divine Wind«, einer Übersetzung des japanischen Wortes »Kamikaze«, der Teil der aggressiven Selbstinszenierung in den Medien ist, will Watson, Kapitän, studierter Militärhistoriker und Leiter von Sea Shepherd, den Japanern Entschlossenheit signalisieren. »Vor tausend Jahren versuchte der Mongolenherrscher Kublai Khan zweimal, Japan zu erobern. Doch er scheiterte in beiden Fällen, weil seine Flotten von Taifunen zerstört wurden. Die Japaner glaubten, die zerstörerischen Winde oder ›kaze‹ seien von den Göttern, den ›kami‹ gesandt worden«, schreibt Watson auf der Homepage seiner Organisation. Dass die »Operation« nicht nur nach einem Mythos benannt ist, sondern auch nach den japanischen Kamikaze-Fliegern im Zweiten Weltkrieg, erwähnt Watson nicht.

An »Operation Divine Wind« beteiligen sich die drei Sea-Shepherd-Schiffe »Bob Barker«, »Steve Irwin« und »Brigitte Bardot« mit einer Crew aus 28 Freiwilligen aus 22 Ländern. »Wir werden versuchen, sie dieses Mal ganz zu stoppen«, sagte die Bordmanagerin der »Bob Barker«, Andrea Gordon, vor zwei Wochen in Sydney. Ihr Gegner, die Walfangflotte des staatsnahen japanischen »Walforschungsinstituts«, besteht dieses Jahr vermutlich aus einem Fabrikschiff und drei Harpunenschiffen. Doch zuerst müssen die Mitglieder von Sea Sheperd die japanische Flotte im riesigen, 50 Millionen Quadratkilometer umfassenden antarktischen Ozean finden. »Die ›Brigitte Bardot‹ wird unser Scout-Schiff sein. Sie ist ein Hochgeschwindigkeitstrimaran, der bis zu 30 Knoten erreichen kann«, sagt Watson der Jungle World. Falls nötig, wolle Sea Shepherd die japanische Walfangflotte drei Monate lang verfolgen.
Im vergangenen Jahr verfolgten die Schiffe der Umweltschützer die Walfangflotte über 3 000 Seemeilen durch die antarktische See. Sechs Wochen früher als geplant gaben die Walfänger Mitte Februar auf und lagen am Ende der Walfangsaison weit unter der geplanten Fangquote von über 1 000 Walen. »Die japanische Flotte hat nur 17 Prozent ihrer Fangquote erreicht und 870 Wale konnten gerettet werden«, jubelte Watson damals. Nach dem Rückzug der japanischen Flotte war – auch wegen der schweren Zerstörungen an japanischen Häfen durch den Tsunami Anfang März – zunächst unklar, ob und wie der japanische Walfang weitergehen wird. Im Zuge des jährlichen Treffens der International Whaling Commission (IWC) verkündeten die Japaner Mitte Juli, auch dieses Jahr wieder fischen zu wollen. »Ihre Fangquote besteht dieses Jahr aus 935 Zwergwalen, 50 Finnwalen und 50 Buckelwalen«, berichtet Watson.
Sea Shepherd will mit den Aktionen den Schutz der Wale im südlichen Polarmeer durchsetzen. Die IWC hatte 1994 das gesamte antarktische Meer südlich des 40. Breitengrads bzw. südlich des 55. Breitengrads im Indischen Ozean zum Schutzgebiet erklärt. Zuvor hatte sie 1986 in einem Mo­ratorium die Quoten für kommerziellen Walfang weltweit auf Null gesetzt. Das Moratorium der IWC bedeutet kein generelles Verbot, weil das »Internationale Übereinkommen zur Regelung des Walfangs« von 1948 den Walfang für den Eigengebrauch für indigene Minderheiten und zu »wissenschaftlichen Zwecken« gestattet. Überdies müssen alle zu Forschungszwecken gefan­genen Wale »soweit wie möglich verwertet« werden. Diese Gesetzeslücke nutzt Japan, das den Walfang in der Antarktis seit 1986 zu »wissenschaftlichen Zwecken« fortführt und das Fleisch als »Nebenprodukt« verkauft.

Als »aggressive non-violence« beschreibt Watson das Konzept zivilen Ungehorsams von Sea Shepherd, dies schließe Gewalt gegen Sachen, aber nicht gegen Menschen ein. Zu den Aktionen von Sea Shepherd gehörte in den vergangenen Jahren die Blockade des Fabrikschiffs »Nisshin Maru«, die Behinderung der Harpunenschiffe, wobei auch Buttersäureflaschen und Fackeln geworfen wurden, sowie das Rammen von Walfängern und der Versuch, Schiffsschrauben mit Leinen zu blockieren. Die Walfänger setzten hauptsächlich Wasserwerfer, aber auch Blendgranaten und Schallkanonen ein. Die Auseinandersetzungen gipfelten 2010 in einer Kollision des Sea-Shepherd-Katamarans »Ady Gil« mit dem japanischen Schiff »Shonan Maru 2«, wobei der Katamaran schwer beschädigt wurde und zwei Tage später sank.
Kritik an seinem Konzept und Auftreten lässt Watson an sich abprallen. Anfang November wurde solche Kritik zum wiederholten Mal von der Organisation Greenpeace vorgebracht, mit der Watson in leidenschaftlicher Aversion verbunden ist. John Sauven, Geschäftsführer von Greenpeace, schrieb in der Huffington Post, die konfron­tative Strategie von Sea Shepherd sei kontraproduktiv. »Wir denken, dass wir den Kampf gegen den Walfang gewinnen, indem wir mit den Japanern direkt reden«, so der Stratege der Umweltschutzorganisation, aus der Watson 1977 ausgeschlossen wurde. Dieser reagiert mit Häme und Spott auf den Lobbyismus von Greenpeace. Die Organisation habe zwar 50 Millionen Dollar Spenden gegen den Walfang gesammelt, aber seit 2006 kein Schiff mehr in die Antarktis geschickt. »Wir haben Greenpeace gebeten, ein viertes Schiff zu schicken, um den Walfang effektiver verhindern zu können, aber sie haben abgelehnt«, klagt Watson gegenüber der Jungle World.
»Wir sind keine Protestorganisation, wir intervenieren«, lautet sein Credo. »Es gibt viele, die meine Crew und mich dafür verurteilen, dass wir das Gesetz in die eigene Hand nehmen, aber das ist mir egal. Ich tue, was ich tue, weil es das Richtige ist. Ich bin ein Krieger und es liegt in der Natur des Kriegers, gegen eine Übermacht zu kämpfen«, schrieb er 1994 in seiner Autobiographie.
Pünktlich zum Beginn der Kampagne von »Operation Divine Wind« kam kürzlich die Dokumentation »Bekenntnisse eines Ökoterroristen« des Kameramanns und Sea-Shepherd-Mitglieds Peter Brown in die Kinos. Darin gibt das langjährige Crew-Mitglied nicht nur Auskunft über das Leben an Bord der Schiffe (das als großes Abenteuer präsentiert wird), seine Meinung zu Frauen (zäher als Männer) und zur veganen Crew (ständig schlecht gelaunt, aggressiv und deswegen bessere Aktivisten), sondern erzählt auch freimütig von Watsons fragwürdigem strategischen Umgang mit Menschen und Medien.

»Die Medien wollten Gewalt, aber sie bekamen keine«, berichtet Brown über die Sea-Shepherd-Kampagne gegen den Walfang der US-amerikanischen Makah-Indianer 1994. Um Aufmerksamkeit zu erhalten, habe Kapitän Watson dann jedoch erneut Fernsehteams eingeladen, eine Ak­tivistin in einem Boot dicht vor die Piers fahren und von den aufgebrachten Ureinwohnern mit Steinen bewerfen lassen, um diese vorzuführen. Seitdem begleiten Sea Shepherd immer wieder Vorwürfe, rassistisch zu sein. Die Zusammenarbeit mit der französischen Schauspielerin und Tierschützerin Brigitte Bardot zeigt, dass solche Kritik nicht aus der Luft gegriffen ist. Bardots Mann ist ein Funktionär des rechtsextremen französischen Front National. Sie selbst hat sich in der Vergangenheit mehrfach rassistisch geäußert. So beklagte sie in einem ihrer Bücher, dass »mein Land von einer Flut an Ausländern überrannt wird, vor allem Muslime«. Dennoch hat Sea Sheperd ein Schiff nach ihr benannt.
2008 ließ Watson zwei Aktivisten auf hoher See ein Schiff der Japaner »entern«, um mit ihrer anschließenden Festnahme einen diplomatischen Skandal zwischen Japan und Australien zu provozieren. Zu sehen ist das in der Fernseh­serie »Whale Wars«, die seit 2008 über die Expeditionen von Sea Shepherd und Watson berichtet. Reißerisch werden die Aktivisten dort in einer militaristischen Sprache als »Soldaten« bezeichnet, die sich »im Krieg befinden«. In einer Parodie auf »Whale Wars« wurde Watson in einer »South Park«-Folge als »Medienhure« bezeichnet.
Seiner Exzentrik und seinen Kritikern zum Trotz scheint es, als hätte Watson mit seiner unversöhnlichen Haltung Erfolg. Ökonomisch lohnt sich der Walfang für die Japaner immer weniger. Das Budget der Walfänger beträgt jährlich etwa 30 Millionen Dollar, ein Drittel davon sind staat­liche Subventionen, der Rest soll durch den Fleischverkauf gedeckt werden. Wegen fehlender Einnahmen aus dem Verkauf durch nicht er­füllte Fangquoten und der sinkenden Nachfrage habe das japanische Walfangprogramm mittlerweile 200 Millionen Dollar Schulden angehäuft, so Watson. Dieses Jahr werden dem Institut zusätzlich zur jährlichen Subventionierung nochmals etwa 27 Millionen US-Dollar zur »Verbes­serung der Sicherheit« gezahlt, wie japanische Behörden ankündigten. »Wir sind entschlossen, das Programm fortzuführen«, versicherte der japanische Landwirtschafts- und Fischereiminister Nobutaka Tsutsui vor einem Monat. Die japanische Zeitung Yomiuri berichtete, die Regierung habe bekräftigt, eine Kapitulation vor Sea Shepherd sei »nicht im nationalen Interesse Japans«.
Während die japanische Flotte ihre Fangquoten immer weniger erfüllen kann und mit steigenden Schulden zu kämpfen hat, wird Sea Shepherd nach eigenen Angaben »von Jahr zu Jahr stärker«. »In den vergangenen fünf Jahren hat sich unser Spendenaufkommen von unter zwei Mil­lionen auf zwölf Millionen erhöht«, sagt Watson.
»Dieses Jahr wird es mit Sicherheit die bislang intensivste Kampagne geben. Wir haben in den vergangenen drei Monaten am Schiff gearbeitet und freuen uns, bald in See stechen zu können«, sagte die Sea-Shepherd-Aktivistin Andrea Gordon vor zwei Wochen in Sydney. »Alle drei Schiffe werden starten, sobald die Walfangflotte Japan verlässt«, so Watson. Das geschah in den Jahren zuvor bereits am 17. November, 2010 jedoch erst am 2. Dezember.