Verfassungsschutz reformieren!

Auflösung ist auch keine Lösung

Nur weil der Verfassungsschutz angesichts des Rechtsterrorismus versagt hat, heißt das nicht, dass man ihn einfach abschaffen kann. Die Konsequenz wäre eine weitere Politisierung der Polizei.

Wer die immer neuen Enthüllungen und Erkenntnisse zur Mordserie der Naziterrorbande verfolgt, der fragt sich zu Recht: Wo waren denn eigentlich die Sicherheitsbehörden? Wäre es nicht die Aufgabe des Verfassungsschutzes gewesen, sich ein klares Bild von der militanten rechtsextremen Szene zu machen und das Entstehen einer terroristischen Zelle frühzeitig zu erkennen? Taugt das Modell Verfassungsschutz überhaupt?
Meine Antwort ist klar: Ohne Verfassungsschutz wird man terroristische Strukturen nicht beobachten und bekämpfen können. Zumindest im Bereich des islamistischen Terrors hat der Verfassungsschutz eine Menge dazu beigetragen, Anschläge zu verhindern und diese Szene und ihre kriminellen Handlungen besser zu begreifen. Gegen Rechts hat das nicht geklappt, das ist die traurige Wahrheit. Aber daraus muss die Reform folgen, nicht die Abschaffung.
Als erstes muss – und das gilt übrigens auch für den polizeilichen Bereich – aufgeklärt werden, wo es hakte. Es gab offenbar einige Zeitpunkte, zu denen die Behörden hätten zugreifen können und zugreifen müssen, es aber nicht getan haben. Das muss restlos geklärt werden, und dann müssen die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden.

Ein wichtiges Thema sind die V-Leute. Sie sind wichtige Informanten im Kampf gegen Terrorismus. Ohne Informationen aus der Szene, ohne Einblick auch in die klandestinen Strukturen terroristischer Gruppen ist deren Bekämpfung viel schwieriger. Was man aber nicht braucht, sind V-Leute in den Führungsgremien rechtsextremer Organisationen und Parteien wie der NPD. Zur Informationsbeschaffung sind sie hilfreich, aber der Staat darf rechtsextreme Organisationen nicht mit ihrer Hilfe mittelbar steuern. Deswegen lassen sich auch V-Leute nicht umstandslos durch verdeckte Ermittler ersetzen. Nicht zuletzt geht es auch ums Geld: V-Leute für ihre Informationen zu bezahlen, wird wohl kaum zu vermeiden sein, aber der Verfassungsschutz darf sich nicht zum Hauptsponsor von Terrorbanden machen. Schließlich muss sich wohl auch im Umgang mit V-Leuten etwas tun: Nur wenn ihre Informationen richtig eingeordnet werden, können sie helfen. Blindes Vertrauen in falsche Berichte verhindert die Erkenntnis.
Blindheit ist auch das Stichwort für das zweite Problem des Verfassungsschutzes: die Sehschwäche auf dem rechten Auge. Offenbar hat sich da über die Jahre und Jahrzehnte in den Köpfen festgesetzt, dass es keinen rechten Terror gibt. Und was man nicht für möglich hält, das sieht man auch nicht. Deswegen müssen sich die Verfassungsschutzämter dringend ein klareres strategisches Bild vom Rechtsextremismus machen. Wer immer noch denkt, dass es auf dieser Seite des politischen Spektrums so schlimm schon nicht kommen werde, der ist vom braunen Terrortrio eines Schlimmeren belehrt worden. Und in den Fällen – Hinweise darauf gibt es ja leider auch –, in denen es zumindest teilweise eine ideologische Nähe zu den Neonazis gab, kann es nur eine Antwort geben: Wer kein klarer Demokrat ist, hat beim Verfassungsschutz keinen Platz!
Zur notwendigen Reform des Verfassungsschutzes gehört auch, die föderalen Strukturen zu überprüfen und vor allem, die Informationsweitergabe zu Polizei und Staatsanwaltschaft zu verbessern. Es hilft nichts, wenn am Ende viel gewusst und nichts getan wurde. Dass das ein großes Problem ist, hat sich in den vergangenen Wochen dutzendfach gezeigt.

Es gibt auch ein wichtiges rechtsstaatliches Argument, den Inlandsgeheimdienst nicht abzuschaffen: Ohne die verdeckt beschafften Informationen geht es nicht. Will man wirklich, dass das die Polizei übernimmt? Wir haben in der Bundesrepublik aus der Vergangenheit gelernt, dass die Kombination aus geheimer Aufklärung und exekutiver Befugnis ganz schnell in die Abgründe der Geheimpolizei führt. Eine Polizei, die heimlich agiert, wäre aber die logische Folge der Abschaffung des Verfassungsschutzes.
Wir brauchen das Wissen über die militante Szene und die terroristischen Zellen. Dass unser Verfassungsschutz eine klare Strategie gegen Rechts erst noch entwickeln muss, ist klar, ebenso, dass er besser mit der Polizei kommunizieren muss. Aber wenn man auf dem rechten Auge schlecht sieht, sollte man sich für eine bessere Brille entscheiden, nicht für die freiwillige Blindheit.

Der Autor ist Abgeordneter des Deutschen Bundestages und Sprecher für innere Sicherheit der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Er war von Juni 2001 bis Januar 2002 Bürgermeister und Justizsenator in Berlin