Kamerad Wohlleben, die NPD und der Naziterrorismus

Der nette Nazi von nebenan

Während seiner NPD-Mitgliedschaft unterstützte Ralf Wohlleben die NSU. Die NPD sucht die Distanz.

In der NPD geht die Angst um. Die Partei befürchtet, dass Verstrickungen mit dem »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) entdeckt werden könnten. Im Dresdener Landtag weist die NPD-Fraktion jegliche Nähe von sich und versucht die Aufmerksamkeit auf mögliche Verstrickungen des Verfassungsschutzes (VS) zu lenken. Am Dienstag voriger Woche nahmen Polizeibeamte jedoch den langjährigen NPD-Kader Ralf Wohlleben in Jena fest. Der Generalbundesanwalt Harald Range wirft dem Thüringer vor, Beihilfe zu sechs Morden und einem versuchten Mord geleistet zu haben. Der Verdacht befeuert die Debatte um ein neues NPD-Verbotsverfahren. »Noch gibt es viele Lücken«, räumt der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, ein, versichert aber: »Wir werden noch weitere Beziehungen zur NPD ent­decken.«

Die rechtsextreme Partei betont, sie habe mit dem Trio des NSU, bestehend aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, nichts gemein. Das Bundesvorstandsmitglied Ricarda Riefling sagte, Zschäpe sei kein Vorbild, sondern eine Verräterin. Die Durchsuchung von Wohllebens Wohnhaus im Jenaer Burgweg am Donnerstag vor zwei Wochen wurde von der Partei fast ignoriert. Der Burgweg ist eine betuliche Straße mit Einfamilienhäusern und gepflegten Vorgärten. Nach der Razzia scheint sich der Verdacht erhärtet zu haben, dass Wohlleben dem Trio im Untergrund geholfen hat. Vor ungefähr zehn Jahren soll er ihm eine Schusswaffe und Munition besorgt haben. Wohlleben kannte die drei aus Jena. Mitte der neunziger Jahre gehörte Wohlleben mit Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe, Holger Gerlach und André Kapke zur örtlichen Sektion des »Thüringer Heimatschutzes« (THS). Der Generalbundesanwalt wirft Wohlleben auch vor, für das Trio den Kontakt zu Gerlach neu geknüpft zu haben. Gerlach wurde bereits vor Wohlleben als mutmaßlicher Helfer des NSU verhaftet. Nach der Durchsuchung hatte Wohlleben der Presse noch erzählt, nichts mit den Taten zu tun zu haben.

Seit der Inhaftierung ist nicht nur die Thüringer Szene aus NPD und Kameradschaften aufgeschreckt. In Thüringen ist Wohlleben nicht bloß ein Neonazi unter anderen. Der VS bezeichnet ihn als einen der »führenden Neonazis« des Landes. Seit Jahrzehnten ist der 36jährige Familienvater in der Szene aktiv. Seine langjährige Nähe zur NPD versuchte der Thüringer Landesvorsitzende Frank Schwerdt in einer Presseerklärung zu relativeren: »Herr Wohlleben ist bereits seit September 2010 nicht mehr Mitglied der NPD und hat nach meiner Kenntnis auch keinen Kontakt mehr zur Partei.« Stefan Heerdegen von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus in Thüringen (Mobit) sagt, Wohlleben sei wegen parteiinterner Streitereien gegangen. Gehackte E-Mails der NPD, die verschieden Zeitungsredaktionen im Februar zugespielt wurden, offenbaren jedoch, dass Wohlleben nach seinem Austritt nicht alle Kontakte abgebrochen hat. Im November 2010 fragt ihn ein NPD-Mann per Mail, ob er Fotos eines Fackelaufmarsches auf der Internetseite des »Aktions­büros«, einer »informellen Netzstruktur für den nationalen Widerstand in Thüringen«, veröffentlichen wolle. In einer anderen E-Mail beschwerte Wohlleben sich über einen alten Weggefährten und bezeichnete ihn als »Drecksack«. Mit Unterbrechungen gehörte Wohlleben von 1999 bis 2008 dem NPD-Landesvorstand an. Von 2002 bis 2006 war er stellvertretender Landesvorsitzender. In Jena leitete er bis 2010 den Kreisverband der NPD. »Wohlleben ist ein politischer Überzeugungstäter, der sehr aktionistisch ausgerichtet ist«, sagt Herdeegen.

Wohlleben hat sich schon früh der rechtsextremen Szene zugewandt. Er war bereits Mitglied der »Anti-Antifa Osthüringen«, einem Vorläufer des THS. Eine Aufnahme zeigt Wohlleben 1996 in Erfurt zusammen mit Mundlos. Mit weiteren Mitgliedern des THS wie Böhnhardt und Kapke protestierte er damals im Erfurter Gericht gegen ein Verfahren gegen Manfred Roeder. Der Geschichtsrevisionist Roeder hatte die Wehrmachtsausstellung mit Farbe beschädigt. Im Gericht entrollte der Nazitrupp ein Transparent: »Unsere Großväter sind keine Verbrecher.« Damals trugen die Beteiligten noch Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel. Nun vermuten die Ermittler, dass Wohlleben die Verbindungen zu seinen drei Kameraden nie gekappt hat. Als das Trio 1998 wegen der Vorwürfe von Sprengstoffvergehen untertauchte, soll Wohlleben ihnen geholfen haben. Er selbst blieb in der Legalität, wurde allerdings wegen Körperverletzung und Nötigung verurteilt. Vom THS ging er zur NPD. Das Kameradschaftsmilieu verließ Wohlleben jedoch nie. Diese Zusammenarbeit, schrieb er selbst 2005 im Internet, sei »für beide Seiten effektiv, ja sogar notwendig«. 2002 baute er in Jena-Lobedal mit Kameraden die ehemalige Gaststätte »Zum Löwen« zu einem »nationalen Wohn- und Schulungsobjekt« um. In diesem »Braunen Haus« fanden über Jahre NPD-Parteitage, Kameradschaftstreffen, Vorträge und Liederabende statt. Immer wieder meldete Wohlleben Demonstrationen an, organisierte den »Thüringentag der nationalen Jugend« oder das »Fest der Völker«, bei dem rechtsextreme Redner und Rechtsrockbands aus ganz Europa auftraten. Von Beruf ist Wohlleben Informatiker, für die rechtsextreme Szene fungierte er als Webmaster und offerierte Speicherplatz für Internetseiten. Als 2006 sein Server gehackt wurde, waren ein Drittel der rechtsextremen Seiten Thüringens nicht zu erreichen.
Im Burgweg in Jena sind die Anwohner verärgert – wegen des öffentlichen Interesses. Zu Wohllebens politischen Aktivitäten wollen sich die Nachbarn nicht äußern. »Man kannte sich halt vom Sehen«, sagt eine Nachbarin, die Wohllebens seien ganz normale Leute. Höflich, mit zwei niedlichen Kindern. »Was erwarten Sie? Dass wir sagen, dass der Wohlleben nachts immer heimlich Hakenkreuze an die Wände geschmiert hat?« blafft ein Mann die Journalisten an. »Das Schlimmste ist der Schaden, der Jena nun entsteht«, sagt der Nachbar.