Wahlen im Kongo

Junior macht weiter

Die Präsidentschaftswahlen in der Demokratischen Republik Kongo konnte der Amtsinhaber Joseph Kabila den vorläufigen Ergebnissen zufolge für sich entscheiden. Der Regierung wird jedoch Manipulation vorgeworfen, es kam zu gewaltsamen Ausschreitungen. Kabilas Herausforderer Etienne Tshisekedi ist aber auch kein un­bescholtener Politiker. Er diente einst dem kongolesischen Diktator Mobutu Sese Seko.

Die Spannung steigt fast stündlich in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo (DRK). Ursprünglich wurde das Endergebnis der Präsidentschaftswahl, die bereits am Montag vergangener Woche stattgefunden hatte, für Dienstag erwartet, es steht aber immer noch nicht fest. Die Ergebnisse der gleichzeitig abgehaltenen Parlamentswahl werden hingegen erst für Mitte dieses Monats erwartet.
Für die Verzögerungen sind nicht nur die von der Opposition vermuteten oder unterstellten Wahlmanipulationen verantwortlich, die bereits vor den Wahlen Gegenstand zahlreicher Auseinandersetzungen, Gerüchte und Polemiken waren, sondern auch tatsächliche organisatorische Pro­bleme bei der Auszählung. Das ist in dem riesigen Staat im Zentrum Afrikas mit über 70 Millionen Einwohnern nicht verwunderlich, in dem außer Fluglinien keine direkten Verbindungen zwischen manchen der bis zu 2 000 Kilometer auseinanderliegenden Landesteile bestehen. Die Urnen kamen aus Deutschland, die Wahlkabinen aus dem Libanon, die Broschüren mit den Erklärungen aus China und die Stimmzettel aus Südafrika.
Das Misstrauen wuchs bei vielen noch, als seit vergangenem Sonntag nach und nach erste Resultate der Präsidentenwahlen einzutreffen begannen. Der 40jährige amtierende Staatspräsident Joseph Kabila lag dabei in Führung. Am Dienstagvormittag blieb es bei dieser Tendenz. Nach Auszählung der Stimmen in zwei Dritteln der Wahllokale erhielt Kabila offiziell über 46 Prozent der Stimmen. Das Militär hatte ihn nach der Ermordung seines Vaters Laurent-Désiré Kabila im Januar 2001 als dessen Nachfolger eingesetzt, erst fünf Jahre später wurde er durch Wahlen im Amt bestätigt.

Kabilas wichtigster Gegenkandidat ist der 79jährige Etienne Tshisekedi, der nach aktuellem Stand gut 36 Prozent der Stimmen erhielt. Als Vorsitzender der Partei »Union für die Demokratie und den sozialen Fortschritt« (UDPS) verfügt der Jurist zugleich über viel Erfahrung in der kongolesischen Politik. Zunächst diente er unter »Marschall« Joseph-Désiré Mobutu als Innenminister. Mobutu hatte sich 1965 an die Macht geputscht und regierte den Kongo diktatorisch bis zu seinem Sturz im Jahr 1997. Vier Jahre vor seinem Putsch hatte Mobutu eine führende Rolle beim Mord an dem linksnationalistischen und antikolonialistischen Patrice Lumumba gespielt, dem ersten frei gewählten Premierminister des Kongo.
1967 nahm Tshi­sekedi an der Ausarbeitung der Verfassung unter dem Diktator Mobutu teil. Nach der amtlich verordneten »Afrikanisierung« der Namen im Jahr 1972 – die Mobutus Rolle als Interessenvertreter der früheren Kolonialmacht Belgien sowie Frankreichs und der USA durch nationalistische Folklore übertünchen sollte – benannte der Staatschef sich in Mobutu Sese Seko um. Bereits im Jahr zuvor hatte der Diktator den Kongo in »Zaire« umtaufen lassen, was nach seinem Sturz rückgängig gemacht wurde. 1980 hätte Tshisekedi nach dem Tod des Parlamentspräsidenten der Verfassung zufolge dessen Amt übernehmen sollen. Doch da Mobutu Tshisekedi allmählich als potentiellen Rivalen betrachtete und eine immer stärkere persönliche Abneigung gegen ihn entwickelte, ernannte er an seiner Stelle Nzondomio Adokpelingbo zum Parlamentspräsidenten.
Tshisekedi wurde zu einem Gegner Mobutus und gründete 1982 die UDPS als Oppositionspartei. Offiziell regierte damals die Einheitspartei »Volksbewegung für die Revolution«. Doch in Wirklichkeit hatten Mobutu und sein Clan alle Macht inne, während der Staatsapparat zerfiel, die Wirtschaft niederging und ganze Landesteile von der Außenwelt abgeschottet waren. Eine andere Partei neben der Staatspartei war jedenfalls nicht vorgesehen. Tshi­sekedi landete mehrmals im Gefängnis. In den frühen neunziger Jahren geriet das Mobutu-Regime unter den Druck der Demokratiebewegung, die das ganze französischsprachige Afrika unter dem Eindruck der Umbrüche im Ostblock erfasste. In dieser Krise wurde Tshisekedi zweimal kurzzeitig zum Premierminister ernannt.
Die Herrschaft Mobutus endete im Frühjahr 1997. Es wurde nicht durch Tshisekedi und andere tatsächliche oder vermeintliche Oppositionspoli­tiker entmachtet, sondern militärisch durch den Vormarsch der Truppen von Laurent-Désiré Kabila. Nachdem Kabila senior 30 Jahre lang eine Guerillabewegung im Osten des damaligen Zaire angeführt hatte, konnte er Anfang 1997 auf die Hauptstadt Kinshasa vorrücken. Unterstützt wurde er dabei auch durch die Armeen der östlich angrenzenden Nachbarländer, insbesondere der Ruandas. Die ruandische Armee war 1996 im Osten des damaligen Zaire einmarschiert, um die dorthin geflüchteten Milizen der »Hutu-Extremisten«, die im Frühjahr 1994 den Völkermord an den ruandischen »Tutsi« verübt hatten, zu bekämpfen. Mobutu unterstützte die »Hutu-Extremisten«. Ruanda nutzte die Gunst der Stunde, um diese Milizen zu schwächen, auch wenn Reste von ihnen noch heute unter dem Namen »Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas« (FDLR) existieren.

Tshisekedi blieb in der Opposition und lehnte eine Beteiligung an der 1997 unter Kabila senior gebildeten »nationalen Einheitsregierung« ab. Ebensowenig nahm er 2006 an der Präsidentschaftswahl teil, die den inzwischen fünf Jahre regierenden Sohn Kabilas im Amt legitimieren sollte. Stattdessen rief er damals zum Boykott der Wahl auf. Joseph Kabilas damaliger Gegenkandidat in der Stichwahl war der Warlord Jean-Pierre Bemba. Dieser sitzt heute in Den Haag in Haft und muss sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Kriegsverbrechen und Vergewaltigungen verantworten.
Sich im Jahr 2006 herauszuhalten, hat Tshisedeki politisch genutzt und zu einem oppositionellen Image verholfen. Auch die dramatische wirtschaftliche Situation großer Teile der Bevölkerung spielt ihm in die Hände: 90 Prozent der Bevölkerung haben entweder keinen Arbeitsplatz im »formellen«, gesetzlich geregelten Wirtschaftssektor oder sind chronisch unterbeschäftigt. ­Allerdings existiert ein riesiger informeller Sektor. Das große Land ist sehr reich an Rohstoffen, die jedoch zum Teil durch Milizen, die mehr oder weniger auf eigene Faust wirtschaften, im Zusammenspiel mit ausländischen Firmen ausgebeutet werden.
Neben seiner Reputation als Oppositionspolitiker, der für die Misere nicht verantwortlich gemacht wird, nutzt Tshisekedi auch der »ethnische Faktor«. Wie in vielen afrikanischen Staaten beeinflusst dieser erheblich die Wahrnehmung der Politik durch relevante Teile der Bevölkerung. Tshisedeki wird als Repräsentant der Bevölkerungsgruppen im Westen der DRK und der alteingesessenen Bevölkerung in der zehn Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt Kinshasa wahrgenommen, die mehr oder minder unkon­trolliert wächst. Kabila hat seine soziale Basis eher in den Bevölkerungsgruppen, die im Osten des Landes und besonders in den beiden Provinzen Nord- und Süd-Kiwu leben.
Die Anhänger Tshisekedis und anderer im Westen der DRK verankerter Oppositionsparteien agitierten in den vergangenen Wochen häufig gegen Kabila mit der Behauptung, er sei in Wirklichkeit gar kein Kongolese, sondern geborener Ruander und heiße in Wahrheit Hippolyte Kananbe. Diese Unterstellung spielt darauf an, dass Ruanda nach 1997 lange Zeit militärisch im Osten der DRK präsent war.
Neben solchen Behauptungen benutzt die Opposition den Vorwurf einer Manipulation der Wählerlisten. Dieser ist nicht von der Hand zu weisen. Seit der letzten Wahl vor fünf Jahren erhöhte sich die Zahl der volljährigen Wahlberechtigten offiziell von 25,7 auf nunmehr 32 Millionen. Doch die Zahl der registrierten Stimmberechtigten stieg in den Ostprovinzen, die als Wählerbasis Kabilas gelten, um 20 bis 30 Prozent, während es in Kinshasa im äußersten Westen des Landes nur einen Anstieg von elf Prozent gab, obwohl die Metropole durch die anhaltende Landflucht wächst.

Zwei Tage vor der Wahl am 28. November kehrten Kabila und Tshi­sekedi von ihrer Tournee durch die Provinzen nach Kinshasa zurück. Doch der Herausforderer Tshisekedi wurde acht Stunden lang am Flughafen festgehalten. Daraufhin rief er seine Anhänger für den Sonntag, an dem kurz vor der Wahl politische Kundgebungen eigentlich verboten waren, zu öffentlichen Versammlungen auf. Diese wurden von der Polizei attackiert. In den 48 Stunden vor der Wahl starben bei Auseinandersetzungen mindestens 18 Menschen. Zugleich rief Tshisekedi seine Parteigänger mindestens einmal explizit zu Gewalt und zum Stürmen von Gefängnissen auf.
Bereits am vergangenen Sonntag flohen mindestens 3 000 Personen aus Kinshasa über den Fluss nach Brazzaville, der Hauptstadt des Nachbarlands Kongo-Brazzaville. Es dürfte erst der Anfang gewesen sein. Beide Hauptstädte trennt nur der Kongo-Strom. Der Innenminister der DRK, Raymond Zéphirin Mboulou, begab sich vor Ort auf die andere Flussseite, wo er jedoch beruhigend kommentierte: »Wir sind nicht in einer erklärten Krisensituation.«
Auch in Brüssel, wo viele Bürger der DRK leben, und in Paris fanden in den Tagen vor und nach der Wahl Demonstrationen gegen die Regierung Kabilas statt. Dabei kam es in Brüssel am Montagabend dieser Woche zu erheblichen Ausschreitungen. Am Rande einer nicht genehmigten ­Demonstration lieferten sich einige Hundert Anhänger Tshisekedis Auseinandersetzungen mit der Polizei im Stadtteil Ixelles. Autos wurden angezündet und Scheiben eingeworfen.