Stricken statt streiken? Das Revival der Handarbeiten als politische Aktionsform

Let’s Stick Together

Stricken und Häkeln galten lange Zeit als Relikte der Hausfrauenkultur der fünfziger Jahre und der Anfänge der Ökobewegung in den Achtzigern. Heute erlebt das Crafting genannte Handarbeiten eine Renaissance als Kulturtechnik, Lifestyle und politische Aktionsform.

Man selbst hat es gerade mal auf ein paar Topflappen, Pulswärmer und Schals gebracht. Den Handarbeitsunterricht hat man als Zumutung betrachtet, und die Handarbeitslehrerin aus tiefster Mädchenseele verachtet. Heutzutage wäre man wohl gnädiger gestimmt und würde zumindest die Geschicklichkeit der Lehrerin anerkennen. Aber auf die Idee, sie als frühes Riot Girl des Handarbeitsaktivismus zu sehen, würde man auch nicht kommen.
Nadelarbeiten standen bis in die achtziger Jahre hinein auf den Lehrplänen deutscher Schulen, und nicht selten waren Handarbeitslehrerinnen heimliche Tyranninnen, die meinten, ihre Schülerinnen zu ordentlichen Hausfrauen abrichten zu müssen. Häkel- und Sticktechniken waren eine Maßnahme zur Erziehung und Disziplinierung weiblicher Teenager. Auch wenn man im Handarbeitsunterricht seinen Pulli mit Ökowolle aus dem Bioladen stricken durfte, wurde die Hausfrauentümelei der Fünfziger bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein im Fach Textilgestaltung konserviert. Entprechend misstrauisch blieb man. Daran haben weder die Versuche der Hippiebewegung, die Handarbeitskunst in den Siebzigern wiederzubeleben, noch die strickenden Atomkraftgegner in den Achtzigern, die selbstgemachte Pullover als Statement verstanden, wirklich etwas geändert.
30 Jahre später. Die digitale Revolution treibt ständig neue Blüten, und eine davon ist der neue weibliche Handarbeitsenthusiasmus, der sich in Foren, Blogs und auf Homepages im Internet bemerkbar macht und sich selbstbewusst im Kontext einer mit Alternativ-, Sub-, und Gegenkulturen verknüpften Do-it-yourself-Bewegung verortet. Internetportale haben den ansonsten im stillen Kämmerlein nähenden und strickenden Frauen Sichtbarkeit verschafft, Netzwerke entstehen lassen und nicht zuletzt aus der bislang bestenfalls als Liebhaberei gehandelten Beschäftigung ein Szenehobby gemacht. Als altmodisch gilt das neuerdings Crafting genannte Handarbeiten jedenfalls nicht mehr.
Über den Umweg des Internet ist die Handarbeit aus der häuslichen Sphäre in den öffentlichen Raum eingezogen und hat sich in der urbanen Alltagskultur etabliert. Man muss sich nur im Prenzlauer Berg oder in den gentrifizierten Teilen Neuköllns in Berlin umsehen, um zu wissen, dass Stricken das neue Yoga ist und Strick-Cafés, Handarbeitsläden sowie Stitch’n’Bitch-Gruppen den Gesundheitsetagen Konkurrenz machen. Legendär wurde das 2004 in New York eröffnete Strick-Café der Crafting-Pionierin Miriam Maltagliati, das als Prototyp gelten darf und dem zahlreiche urbane Stricktreffs in den USA und Europa folgten. Auch wenn Urban Knitting als konsum- und kapitalismuskritisch und Crafting als nichtentfremdete Arbeit definiert werden, ist das Selbermachen keineswegs eine billige Alternative zum Klamottenkauf. Mit der modischen und diskursiven Aufwertung eines ehemals als trivial belächelten Hobbys steigen sowohl die Ansprüche an das Material als auch die Preise. Das Handarbeiten wird sozusagen gentrifiziert.
Die in Wien lebende Textilkünstlerin Verena Schimak sieht die Neubewertung des Handarbeitens denn auch skeptisch: »Was mich beunruhigt, ist diese Debatte, die (die Third-Wave-Feministin; d. Red.) Debbie Stoller angestoßen hat, dass es auch ›critical crafting‹ ist bzw. sein soll, wenn man nur einen Schal strickt, weil man sich damit gegen die Konsumkultur stellt. Dass man nicht in einen Shop gehen muss, um sich diesen Schal zu kaufen, sondern etwas Individuelles machen kann. Aber andererseits ist Wolle sehr teuer. Die ganze Stricknadel- und Häkelnadelindustrie ist auch sehr teuer. Ich glaube, das ist eine Augenwischerei, weil es auch Konsumkultur ist, wenn man diese Wolle kaufen muss.«
In die Kunstszene hat das textile Gestalten schon seit längerem Einzug gehalten. Die den Young British Artists zugerechnete Konzeptkünstlerin Tracey Emin stickte Mitte der Neunziger in ihrer Arbeit »Everyone I have ever slept with 1963–95« die Namen ihrer Liebhaber auf die Innenwände eines Zelts. Während des grünen Strickbooms in den Achtzigern begann die aus Köln stammende Künstlerin Rosemarie Trockel, sich mit der Kulturtechnik des Handarbeitens zu beschäftigen, und stickte Playboy-Bunnys, das Wollsiegel oder Hammer und Sichel und griff damit den Maskulinitätskult im Kunstbetrieb ebenso an wie das ehrpusselige Frauenbild der Alternativkultur. Mit dem Image der Harmlosigkeit des Handarbeitens spielen auch die Anfang der Sechziger entstandenen Stoffskulpturen der Japanerin Yayoi Kusama, die Möbel und andere Haushaltsgegenstände mit phallusartigen Stoffwülsten polsterte. Bunte Stoffskulpuren fertigt auch die Spex-Autorin und Künstlerin Andrea Pritschow, die aus bunter Wolle lebensgroße Penisse häkelt und auf ihre Arbeiten vor allem im Internet aufmerksam macht.
Im Kontext von Street Art und Do-it-yourself-Bewegung arbeiten Künstler und Gruppen, die mit Knitted Graffiti – oder, ironisch gewendet, Granny Graffiti – den öffentlichen Raum markieren. Stricken als subversiven Akt praktizieren etwa die Anhänger der Yarn-Bombing-Bewegung, die ihren Ausgang in Texas nahm und inzwischen auch in deutschen Großstädten Ableger gefunden hat. Ähnlich wie beim Guerilla Gardening geht es hier um die Aneignung und Gestaltung urbaner Räume. Laternenpfähle werden mit flauschigen Pulswärmern ausgestattet, Treppengeländer mit bunten Strickblüten aufgehübscht, Bronzeskulpturen im Park mit rosa Wollpullunder gewärmt. Die Guerilla-Stricksachen begegnen einem bislang aber zumeist nur auf Fotos im Internet oder in Arte-Reportagen.
Für die Kulturwissenschaften hat sich mit der Renaissance des Handarbeitens ein weites Forschungsfeld mit Bezügen zu Kunst, Mode, Pop und Gender Studies aufgetan. Elke Gaugele, die als Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in Wien im Studiengang Moden und Styles lehrt und zu den Gründerinnen der Gruppe Critical Crafting Circle gehört, geht davon aus, dass die Crafting-Community im Kontext des Third-Wave-Feminismus und der Antiglobalisierungsbewegung entstanden ist und historisch an die Praktiken des Selbermachens der Riot Grrrls anknüpft. Dass der neue Strick- und Häkel-Boom aus dem Punk kommt, wer hätte das gedacht! Aber eine Häkelnadel ist keine Gitarre und ein Topflappen kein Popsong. Welches Potential also hat das neu gelabelte Hobby der Großmüttergeneration? Gemeinsam mit anderen Theoretikerinnen, Aktivistinnen und Künstlerinnen der Gruppe Critical Crafting Circle hat Elke Gaugele den Reader »Craftista! Handarbeit als Aktivismus« herausgegeben, der sich aus genderkritischer Perspektive mit der Rolle textiler Techniken in der Geschichte und Gegenwart beschäftigt. Die Herausgeberinnen betonen das aktivistische und feministische Potential des Urban Knitting als Teil der Selbstermächtigung und des Community Building, geben allerdings auch zu bedenken, dass es sich um ein Wohlstands­phänomen der weißen, gebildeten Mittelklasse handelt, das zudem mehrheitlich weiblich definiert ist.
Eine Ausnahme machen fünf Tübinger Sportstudenten, die zum Ende ihres Studiums auf die Idee kamen, Mützen selbst zu häkeln und im Internet zu vertreiben. Nicht nur Farben und Muster der Mütze kann man wählen, sondern auch entscheiden, welcher der fünf Jungs die Mütze häkeln soll.

Critical Crafting (Hg.): Craftista! Handarbeit als Aktivismus, Ventil, Mainz 2011, 254 Seiten, 14,90 Euro