Russland nach den Parlamentswahlen

Manipulation allein reicht nicht

Bei den Parlamentswahlen in Russland konnte die Regierungspartei »Einiges Russland« nicht an ihre früheren Erfolge anknüpfen. Mehreren Parteien wird Wahlmanipulation vorgeworfen.

Für die Regierung ist das Ergebnis eine Enttäuschung. Gerade einmal die Hälfte der Stimmen konnte die Partei »Einiges Russland« bei den Wahlen zur Duma am Sonntag für sich verbuchen. Vier Jahre zuvor hatte es noch für eine Zweitdrittelmehrheit gereicht. Die Kommunistische Partei (KPRF) liegt bei knapp 20 Prozent, das »Gerechte Russland« erhielt etwas mehr als 13 Prozent und die Liberal-Demokratische Partei (LDPR) mehr als elf Prozent der Stimmen. Die liberale Jabloko-Partei erreichte mehr als drei Prozent, die »Pat­rioten Russlands« und die »Rechte Sache« bilden die unbedeutenden Schlusslichter der sieben zur Wahl angetretenen Parteien.
Trotz der Verluste wird das »Einige Russland« für die kommenden fünf Jahre – statt wie bislang für vier – die Führung im Parlament übernehmen. Die Unzufriedenheit mit dem Regime wächst jedoch zusehends, zum einen, weil viele sich durch die dreiste Ämterrotation des Führungsduos Putin-Medwedjew übergangen fühlten, aber vor allem, weil die Gängeleien durch die Bürokratie, Miliz und Politik überhandnehmen, ohne wenigstens durch »Sachleistungen« kompensiert zu werden. Die ökonomische Situation verschlechtert sich, wobei die Rhetorik des Kreml vermeintliche Verbesserungen und Erfolge beschwört.

Die Wahlkommissionen deckten zahlreiche Regelverstöße auf, allerdings vergleichsweise harmlose. So warf die Kommission in Chabarowsk den Kommunisten vor, von den Konterfeis Stalins und Che Guevaras ohne Zustimmung von deren Angehörigen Gebrauch gemacht zu haben, und beurteilte den Parteislogan »Zeit für einen Machtwechsel« als »extremismusverdächtig«.
Der Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission, Wladimir Tschurow, behauptete Ende November gegenüber der Tageszeitung Komsomolskaja Prawda, dass Wahlen nirgendwo in ganz Europa ähnlich transparent abliefen wie in Russland. Jegliche Unregelmäßigkeit werde sofort aufgedeckt und untersucht. Wenn dem so ist, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass all jene Verstöße, die der Wahlkommission keine Erwähnung wert sind, einen einkalkulierten Bestandteil des Wahlprozederes bilden. Ohne die vielen Fälle von Wahlbetrug hätte das »Einige Russland« noch schlechter abgeschnitten.

Fester Bestandteil der Wahlen war unlautere Wahlwerbung. In St. Petersburg verteilten die Sozialämter bereits vor der Wahl Essenspakete mit Symbolen des »Einigen Russland« oder von Putins »Volksfront« an Rentner. Viele Schulen und Krankenhäuser verpflichteten ihre Angestellten, am 4. Dezember, einem Sonntag, mit ihren Wahlscheinen zur Arbeit zu erscheinen. Im besten Fall winkte eine Prämie, im schlechtesten die Entlassung. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich, ob bei Behörden oder bei einem privaten Supermarkt, Betriebsausflüge zur gemeinschaftlichen Stimmabgabe in einem jener Wahllokale, in ­denen vertrauenswürdige Kader der »Partei der Macht« für Kreuze an der richtigen Stelle sorgten. Gelegentlich warben auf diese Art aber auch Vertreter der KPRF für ihre Sache. 2,6 Millionen Briefwahlunterlagen kamen zum Einsatz. Mobile Wahlbrigaden legten ihre Stimmzettel gemäß den erhaltenen Instruktionen so oft wie möglich in verschiedenen Wahllokalen vor.
Die unabhängige Wahlbeobachtungsorganisa­tion Golos (Stimme) veröffentlichte Beschwerden verprellter Wähler im Internet. Dort finden sich Tausende von Geschichten, die andernfalls wohl kaum in diesem Umfang an die Öffentlichkeit gelangt wären. Dafür bringt die Regierung offenbar wenig Verständnis auf. Am Freitag voriger Woche verurteilte ein Moskauer Gericht Golos zu einer Strafe von knapp über 700 Euro wegen Missbrauchs der Medienfreiheit aufgrund von Falschdarstellungen und Verbreitung von Gerüchten mit dem Ziel, einer Partei und deren Mitgliedern zu schaden. Begleitet wurde dies von ­einer Diffamierungskampagne im Stil des Kalten Krieges durch den russischen Fernsehsender NTV, schließlich wird Golos unter anderem aus den USA finanziert.