Findet den Film »Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod« von Álex de la Iglesia infernalisch

Spaniens Bloodlands

Álex de la Iglesia arbeitet in seinem neuen Film »Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod« vor allem optisch radikal den spanischen Bürgerkrieg auf.

Um Schmerzen, und zwar heftige, geht es in Álex de la Iglesias Film mit dem leicht faden Titel »Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod«. Die Originalfassung trägt den Untertitel »Balada Trista de Trompeta«. Das trifft es etwas besser. Lange wurde einem im Kino nicht mehr so der Marsch geblasen wie in Iglesias Film. In furiosem Tempo und furiosen Bildern erzählt er Spaniens Geschichte seit dem Bürgerkrieg bis hinein in die siebziger Jahre. 1937 beginnt die Geschichte, im Zahlendreherjahr 1973 fährt sie fort.
Das Personal bleibt nach dem Zeitsprung mehr oder weniger gleich, nur ein bisschen älter ist es geworden: Oben thront General Franco, unten verdrischt man sich.
Weinen und Lachen – manchmal beides gleichzeitig – sind die dramaturgischen Prinzipien dieses Films, und das in ganz plastischem Sinne: Der Krieg und seine Folgen werden anhand des spanischen Clowngeschäfts erzählt. Dass der Job des Possenreißers vererbt wird, dass es im klassischen Zirkus vor allem den traurigen, dummen August und den schönen, geliebten, lustigen Clown gibt, sorgt für den nötigen Drive.
Zweigeteilt ist auch die Welt zu Anfang des Films: Auf der einen Seite stehen die Faschisten unter dem Kommando Francos, auf der anderen die Verteidiger der Republik. Der kleine Wanderzirkus soll geschlossen werden, nun müssen selbst die Zirkusartisten an die Waffen. Der diensthabende Clown (Santiago Segura), Vater des kleinen Javier, schnappt sich das Hackmesser und zerlegt die Soldaten Francos, bis die Körperteile fliegen. Dennoch geht die Schlacht, wie bekannt, verloren. Wer übrig bleibt, wird zur Zwangsarbeit verdonnert. Clowns, Seiltänzer und Konsorten errichten ein riesiges Kreuz, das Monumento Nacional de Santa Cruz del Valle de los Caídos – 150 Meter hoch, 40 Meter breit –, an dem die verdienten Gefallenen aus Francos Sauhaufen beerdigt sind.
Javier (Jorge Clemente), der schon den Angriff auf den Zirkus miterleben musste, besucht dort später seinen Vater unter den vielen Zwangsarbeitern, führt eine Explosion herbei – und knallt am Ende selbst durch.
Dann sind viele Jahre verflossen. Nun, im Jahre 1973, sind die Haare lang und die Hosen eng. Spanien ist modern geworden, doch Franco sitzt noch immer am längeren Hebel. Unter der Oberfläche des prosperierenden Urlaubsparadieses ist die Spannung groß.
Witze machen ist Familiensache. Javier (als Erwachsener: Carlos Areces) ist ins Geschäft des Vaters eingestiegen. In der Rolle des traurigen Clowns, der die Späße der anderen auszuhalten hat, tritt er einem Ensemble von Artisten bei.
Am wichtigsten ist Hauptclown Sergio (Antonio De La Torre). Ihm gehören die Herzen des Publikums, der Zirkus ist in hohem Maße von ihm abhängig.
Gleichzeitig ist er ein unverbesserlicher Sadist. Seine schöne Freundin, die Artistin Natalia (Carolina Bang), erlebt dies jeden Tag. Nichtsdestotrotz sind die anschließenden Liebesszenen des Paares ergreifend: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Das könnten die beiden ruhig so weitermachen, wenn nicht der gleichermaßen wahnsinnige Javier ins Spiel käme. Als er sich in Natalia verliebt, beginnt eine grausame Dreiecksgeschichte.
Der verrückte Zirkus ist eine Parabel auf die Geschichte Spaniens, auf die historische Abfolge von Leid, Totschlag und Dummheit. Als seien sie in einen Wettbewerb getreten, wer wem die größeren Schmerzen zufügen kann, traktieren sich Javier und Sergio bis ins Verderben. Rasend vor Mordlust und Verzweiflung bekämpfen sie einander in der Hoffnung auf die große Liebe.
Ihr Kampf um und mit Natalia lässt offenkundig werden, was die gesellschaftlichen Veränderungen mühsam verdecken. Hier tobt ein Bürgerkrieg unter der Haut jedes einzelnen, es geht ganz sprichwörtlich heiß her: Es ist vielleicht die drastischste aller Szenen in diesem Film, wenn sich Javier – in Ermangelung von Schminke – das Clownslachen mit einem Bügeleisen ins Gesicht brät. Und dies ist beileibe nicht die einzige Entstellung dieser Art.
Krasse Farben, hohe Geschwindigkeit, ex­tre­mes Benehmen: Selten wurde Gewalt dermaßen in visuellen Terror transformiert wie hier. In Sergio und mehr noch in Javier bricht die Tierhaftigkeit der Gesellschaft ein ums andere mal durch und Regisseur Iglesia lässt sich ein ums andere Bild dafür einfallen.
Dann kommt der Showdown zwischen den Leichen der von Zwangsarbeitern einbetonierten Faschisten. Während Natalia ihre Nummer mit Bändern in schwindelnden Höhen aufführt, ermorden sich die Männer gegenseitig.
Wie kommt man dazu, so einen infernalischen Film zu drehen? »Ich mache diesen Film, um einen Schmerz in meiner Seele zu lindern, der sich nicht so leicht entfernen lässt wie etwa Ölflecken aus der Kleidung. Ich gehöre zu einer Generation, die mit einer wunderbaren, aber auch sehr traurigen Vergangenheit zurechtkommen muss«, sagt Regisseur Iglesia.
Ein echter Schweinefilm. Iglesia ist für derlei Drastisches bekannt. Etwa für seine Komödie »Ein ferpecktes Verbrechen« – hoch leben die vertauschten Sachen! –, die von einem zum Tier gewordenen Kaufhausangestellten handelt. Weitere Filme des 46jährigen Basken heißen »Acción Mutante« oder »El Día de la Bestia«: Ersterer ist eine Science-Fiction-Komödie rund um eine Guerilla-Truppe, die aus Genmanipulierten, Behinderten und Kommunisten besteht. Anschläge auf Prominente und Vertreter der Upper Class gehören zu ihrem Geschäft.
Letzterer handelt von einem Priester, der der Ansicht ist, dass der Antichrist zu Weihnachten in Madrid geboren wird. Dies versucht er mit allen Mitteln und zwei Kumpels zu verhindern.
Splatter, Horror und Geschwindigkeit sind konsequenterweise auch die prägenden Stilzutaten von »Mad Circus«. Seit früher Kindheit arbeitet Iglesia an dem Stoff, den er in seinem Film ausbreitet. 1973 war der Regisseur acht Jahre alt. El Lute, der Ausbrecherkönig, hielt die Polizei auf Trab, der rechtsgerichtete Ministerpräsident starb durch eine Autobombe, im Fernsehen tobte täglich eine Clownsfamilie herum. »Das alles vermischt sich in meiner Erinnerung zu einer seltsamen Halluzination«, sagt der Regisseur.
Die Halluzination heißt Kunst, und sie ist beeindruckend. Sie beschreibt Politik. Und wie diese in den Menschen wirkt.

Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod (F/SP 2010). Regie: Álex de la Iglesia. Darsteller: Carlos Areces, Carolina Bang, Santiago Segura, Antonio de la Torre. Start: 8. Dezember