Merkel und die Euro-Krise

Sparen bis zum Kollaps

Beharrlich lehnt die deutsche Regierung alle Vorschläge ab, die auf eine schnelle Stabilisierung der Euro-Zone zielen. Das Risiko eines ökonomischen Zusammenbruchs mit globalen Auswirkungen wächst.

Das Ende kommt schneller, als man denkt. Zuerst geht eine italienische Großbank pleite, dann folgen französische Kreditinstitute. Innerhalb weniger Tage ereignet sich eine Kettenreaktion, in ganz Europa kollabiert der Handel zwischen den Banken. Kurz darauf kommt es zum Crash in der Euro-Zone.
Dass eine solche Krise unmittelbar droht, zeigte die kollektive Aktion von Notenbanken unter anderem aus China, Brasilien und den USA, die Ende November privaten Kreditinstituten unbegrenzte Mittel zur Verfügung stellten. Andernfalls wäre wohl der internationale Finanzhandel innerhalb von wenigen Tagen zusammengebrochen. Weil die Banken fürchten, dass nichts zurückgezahlt wird, leihen sie einander kaum noch Geld. Vor allem die Institute in den Schuldenstaaten sind von einem Bankrott bedroht. Viele Finanzunternehmen und Versicherungen bereiten sich daher auf einen möglichen Kollaps der Euro-Zone vor. So spielen britische Banken seit Wochen entsprechende Szenarien durch, ebenso viele US-Unternehmen.
Mittlerweile blickt die ganze Welt panisch nach Europa. Nur die deutsche Bundesregierung scheint über reichlich Zeit zu verfügen. Konsequent schmettert Bundeskanzlerin Angela Merkel seit Monaten alle Vorschläge ab, die auf eine schnelle Rettung zielen. Als EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso kürzlich forderte, endlich eine gemeinsame Anleihe aller Euro-Staaten einzuführen, wies Merkel dieses Ansinnen brüsk zurück. Solche Pläne seien »bekümmerlich« und »unpassend«, sagte sie. Mit den Euro-Bonds würde »der Druck auf die Schuldenstaaten, ihre Haushalte zu konsolidieren, sofort wegfallen«, ergänzte Wirtschaftsminister Philipp Rößler (FDP). Seine Aussage fasst das Konzept zusammen, dem die Bundesregierung seit Beginn der Schuldenkrise folgt. Unerbittlich will sie ein rigides Sparprogramm durchsetzen und sperrt sich gegen alle Versuche, den Druck auf marode Euro-Staaten zu mildern.

Wegen ihrer kompromisslosen Haltung ist die deutsche Regierung mittlerweile in fast ganz Europa verhasst. In Frankreich sprechen die oppositionellen Sozialisten von der »eisernen Kanzlerin« und stellen sie damit in die Tradition der nationalistischen Politik des deutschen Kaiserreichs. In Griechenland sind Vergleiche mit der deutschen Besatzung während der Nazizeit alltäglich. »Deutschland hat der Euro-Zone den Krieg erklärt«, kommentiert die konservative britische The Times. Was den Deutschen in zwei Weltkriegen nicht gelungen sei, erreichten sie nun mit Hilfe der Euro-Krise: die Hegemonie über Zentraleuropa. Der Times-Kommentator fragt: »Ist es etwa möglich, dass Deutschland den Euro gar nicht retten, sondern ihn in Wirklichkeit platzen lassen will?« Auf dem SPD-Parteitag in Hamburg kritisierte am Wochenende der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt, antideutscher Positionen sonst eigentlich unverdächtig, die »schädliche deutschnationale Kraftmeierei«, die bei den Nachbarn »Unbehagen und Besorgnis« auslöse.
Von solchen Vorwürfen will Bundeskanzlerin Merkel nichts wissen. Die klaren Vorstellungen ihrer Regierung hätten nichts damit zu tun, dass die Bundesrepublik Europa dominieren wolle. »Das ist abwegig«, sagte sie vergangene Woche. Vielmehr würde Deutschland nur seiner Führungsrolle nachkommen.
Wohin die Reise gehen soll, ließ Merkel zumindest in groben Umrissen erkennen. Demnach will die Bundesregierung auf dem EU-Gipfel in Brüssel Ende der Woche die europäischen Verträge ändern lassen, damit alle Euro-Länder eine »Schuldenbremse« nach deutschem Vorbild einführen. Die Euro-Stabilitätsregeln sollen strenger überwacht und durchgesetzt werden. Verstößt ein Staat gegen die disziplinarischen Vorgaben, treten automatisch Sanktionen in Kraft. Notorische Defizitstaaten sollen sogar vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt werden können.
Die deutsche Regierung begründet diese Forderungen stets mit dem Hinweis, dass man die Schuldenkrise nicht mit neuen Schulden bekämpfen könne. Die Schuldner gelten als die Schuldigen. Doch während die Bundesregierung vehement auf die Haushaltsdefizite andere Staaten verweist, erwähnt sie mit keinem Wort, woher diese Fehlbeträge eigentlich stammen: Sie sind die Kehrseite der deutschen Exportüberschüsse. Konsequenterweise müssten daher auch jene Staaten sanktioniert werden, die hohe Überschüsse erzielen. Diese Forderung hat Merkel aber in der Vergangenheit stets erfolgreich abgewehrt. Übrig bleiben nur die Vorgaben, die zu Lasten anderen Euro-Staaten gehen.

Auch die unermüdlich wiederholte Warnung, Euro-Bonds und Garantien der Europäischen Zen­tralbank (EZB) würden eine Inflation herbeiführen, mutet grotesk an. Nicht nur die OECD geht davon aus, dass die gesamte Euro-Zone bald in eine tiefe Rezession geraten wird. Die britische Tageszeitung Guardian verglich unlängst die Sparpolitik Merkels mit den Maßnahmen der US-Regierung unter Präsident Herbert Hoover zu Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929. Seine restriktive Geldpolitik hatte damals die Krise erst richtig eskalieren lassen.
Einiges spricht für diese historische Analogie: Mit ihrer sturen Politik hat die Bundesregierung eine sich selbst verstärkende Dynamik in der Euro-Zone ausgelöst. Die harten Sparauflagen führen immer mehr Länder in die Rezession, weshalb eine Kapitalflucht in die vermeintlich sicheren Euro-Staaten stattfindet. »Deutschland saugt wie ein Magnet Geld an«, analysierte Theodor Weimer, Vorsitzender der Hypo Vereinsbank, kürzlich in der Welt, und sei »kurzfristig der große Krisengewinnler«. Die Zinsen auf deutsche Staatsanleihen müssten deutlich steigen, damit sich andere Ländern überhaupt wieder refinanzieren könnten.
Doch davon will die Bundesregierung nichts hören. Stattdessen nutzt sie die starke ökonomische Rolle Deutschlands für eine perfide Strategie. Ohne ihre Zustimmung läuft in der EU nichts mehr. Und diese Macht setzt sie ein, um ihre Vorstellungen für ein künftiges Europa zu diktieren.
Dabei ist klar, dass die meisten Länder noch Jahre brauchen werden, bis sie ihren Haushalt ausgeglichen haben – falls dies überhaupt je gelingen kann. Bis dahin sind sie aber darauf angewiesen, Hunderte Milliarden Euro alter Schulden durch neue Kredite abzubezahlen. Allein Italien muss in den nächsten Monaten 330 Milliarden Euro leihen, und zwar zu einem Zinssatz, der für das Land nicht mehr tragbar ist. Ohne die Einführung von Euro-Bonds habe die gemeinsame Währung daher keine Chance, glaubt nicht nur der französische Finanzexperte und ehemalige Regierungsberater Jacques Attali. »Wenn Deutschland nicht nachgibt, wird der Euro Weihnachten nicht überleben«, sagte er dem Focus. Auch die meisten Chefvolkswirte führender internationaler Banken halten den Zerfall der Währungsunion für ein mögliches Szenario.
Die Bundesregierung spielt indes bewusst mit der Gefahr, dass die Euro-Zone scheitern könnte, denn nur so lassen sich Vorgaben durchsetzen, deren Folgen an die eines Krieges erinnern. Zumindest in der südlichen Euro-Region werden auf unabsehbare Zeit Zonen der sozialen und wirtschaftlichen Depression geschaffen.

Dabei weiß vermutlich auch Merkel, dass am Ende nur eine gemeinschaftliche Finanzpolitik den Währungsraum retten kann. Allerdings will sie zuvor die Bedingungen festlegen, unter denen diese Maßnahmen stattfinden können. Die französische Wochenzeitung Le Canard Enchainé zitiert dazu den französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy: »Das Tauschgeschäft ist eher einfach. Das Ende des EZB-Dogmas gegen absolute Einhaltung der Haushaltsdisziplin.« Setzt sich Merkel durch, dann wird die Finanzpolitik im Euro-Raum nach deutschen Vorstellungen gestaltet werden. Vielleicht wäre Merkel dann auch zu Konzessionen in Hinblick auf die Euro-Bonds und die Politik der EZB bereit. So könnte sie beispielsweise dem Vorschlag zustimmen, dass der Internationale Währungsfonds eine zentrale Rolle übernimmt. Die Notenbanken der Euro-Länder könnten in einen Spezialfonds einzahlen, um damit marode Staatsanleihen zu finanzieren. Faktisch würde über diesen Umweg das Geld der EZB eingesetzt, um staatliche Defizite in der Euro-Zone zu decken.
Falls es dann einen gemeinsamen Währungsraum in seiner bisherigen Form überhaupt noch gibt. Denn wenn Merkel ihre Vorschläge nicht in der gesamten Euro-Gruppe durchsetzen kann, dann würden Deutschland und Frankreich wohl zunächst mit finanzstarken Ländern wie Österreich, den Niederlanden und Finnland eine entsprechende Vereinbarung schließen. Das Ergebnis wäre eine faktische Teilung des Euro-Raums in eine nördliche und südliche Zone.
Wie auch immer die Überlegungen der Bundesregierung im Detail aussehen: Vielleicht gibt es noch ausreichend Spielraum, um ihre Pläne durchzusetzen. Ebenso ist es möglich, dass die Euro-Zone vorher auseinanderbricht. Die Konsequenzen wären in beiden Fällen fatal.