What on earth is a »Schuldensünder«?

Der Zeitplan von EU-Gipfeltreffen wird mittlerweile auf die Öffungszeiten der Börsen abgestimmt. Offenbar erwarten manche Politiker, dass »der Markt« dieses Entgegenkommen mit einer entsprechenden Rücksichtnahme auf ihre Terminplanung honoriert. Doch die Rating-Agentur Standard & Poor’s wollte die Ergebnisse der Sitzung des Europäischen Rats nicht abwarten. Am Montag drohte sie mit der Herabstufung der Kreditwürdigkeit von 15 der 17 Staaten der Euro-Zone, Zypern und Griechenland wurden nur ausgenommen, weil sie bereits als Bankrotteure gelten. Die EU-Politiker reagieren nun wie Streber, denen der Lehrer, dem sie immer brav die Aktentasche hinterhergetragen haben, überraschend sagt, dass ihre Versetzung gefährdet sei. »Ungerecht« findet das Jean-Claude Juncker, Premierminister Luxemburgs und Vorsitzender der Euro-Gruppe. »Wir sind auf dem Wege, der Schuldenkrise Herr zu werden, wir konsolidieren, wir reformieren«, aber die doofen Amis wissen das nicht zu würdigen. Tatsächlich senkt eben diese Sparpolitik die Kreditwürdigkeit, das »wachsende Risiko einer ökonomischen Rezession in der gesamten Euro-Zone« wird von Standard & Poor’s als ein Grund für die drohende Herabstufung angeführt. Aber auch die hohen Schulden werden genannt.
Wenn man zu viele Schulden macht, nörgeln die Rating-Agenturen, doch wenn man spart, sind sie auch nicht zufrieden. Für Gerechtigkeit sind sie nun einmal nicht zuständig. Vielmehr ist es ihr Job, den Investoren mitzuteilen, wie hoch das Risiko einer Anlageform ist. Die Trefferrate ihrer Prophezeiungen ist gering, dass eine Rezession die Zahlungsfähigkeit mindert, weiß jedoch sogar ein Analyst. Folglich muss er die Anleger warnen, ohne Rücksicht auf die Befindlichkeit der EU-Politiker. Auch für die Wirtschaftspolitik sind die Agenturen und »die Märkte« nämlich nicht zuständig. Sie wollen es nicht einmal sein, denn die in der bürgerlichen Gesellschaft übliche Arbeitsteilung, die der Regierung die Rolle des ideellen Gesamtkapitalisten zuspricht, hat sich für die Bourgeoisie bewährt. Problematisch wird es, wenn die Regierung eines ökonomisch bedeutenden Staates nicht kapieren will, dass der ideelle Gesamtkapitalist dem einen oder anderen Einzelkapitalisten auch mal auf die Füße treten muss. Noch problematischer wird es, wenn diese Regierung mächtig genug ist, anderen Staaten ihre Politik aufzuzwingen, und sich zu einer Mission berufen fühlt. Mit einem rational kaum noch zu erklärenden Fanatismus bekämpft die Bundesregierung die »Schuldensünder«, obwohl die desaströsen Folgen dieser Politik offensichtlich sind. Im Rest der Welt, der die Kreditaufnahme nicht als Verstoß gegen die Gebote Gottes betrachtet, fragt man, wie etwa der Nachrichtensender CNBC: »What on earth is a ›Schuldensünder‹?«