Räumung des »Occupy«-Camps in L. A.

»Zehn, neun, acht...«

Ein Bericht von der Räumung des »Occupy«-Camps in Los Angeles.

Zwei Monate lang belagerten die Anhängerinnen und Anhänger von »Occupy L. A.« das Rathaus von Los Angeles, im Herzen der Innenstadt, direkt gegenüber dem Hochhaus der Bank of America. Heute ist der letzte Abend. Die Graffiti, das Trommeln und der Geruch von Haschisch, das alles soll nicht länger stören, das Camp wird geräumt. Dabei sei das Verhältnis zur Polizei bis dahin »weitgehend friedlich« ­gewesen, sagt der Gewerkschafter Scott Shuster, der von Anfang an dabei ist. Heute bringt er sein Zelt vorsorglich in Sicherheit. Man weiß ja nie.
Pater Edwin Bacon von der katholischen All Saints Church in Pasadena hält zu den Besetzerinnen und Besetzern, deswegen ist er hier. »Ich bin besorgt über die soziale Ungerechtigkeit in unserem Land«, sagt er, »wir sind alle eine Familie.« Die »Occupy«-Bewegung bekam in den vergangenen Tagen Unterstützung vom US-amerikanischen Klerus: Rabbiner und Imame, Pfarrer und Nonnen demonstrierten in einigen Städten Seite an Seite für eine bessere Welt.
Die Räumung soll am 28. November, Punkt 00.01 Uhr beginnen. In den Stunden zuvor strömen immer mehr Menschen in den Park vor dem Rathaus. Kurz vor Mitternacht ist die Innenstadt von Los Angeles zu einer einzigen Fußgängerzone geworden, Tausende von Menschen blockieren die Straßen. Der Verkehr stockt. Feuerwehr und Sanitäter stehen bereit. Fernsehreporter bereiten die Live-Übertragung vor. Aus Lautsprechern erklingt der Song »What’s going on?« von Marvin Gaye. Drei Helikopter erleuchten die Straßen mit Scheinwerfern. Die Menge zählt die Sekunden ab: »Zehn, neun, acht … «.
Eine Minute nach Mitternacht geben die Einsatzleiter das Signal. Unter dem wachsamen Auge von Commander Andrew Smith fahren zuerst Streifenwagen und Motorräder vor. Mobile Einsatztruppen schwärmen aus, sie tragen Schutzhelme und halten ihre Hartgummiknüppel bereit. Den Beamten sieht man deutlich an, wie nervös sie sind, sie bilden eine Linie, marschieren auf die Besetzerinnen und Besetzer zu, und kesseln sie systematisch von allen Seiten ein. Die Menschen singen und rufen, aber auch sie halten sich zurück. Die Polizei will Stärke zeigen und lädt die mattschwarzen Pump Guns, eine Sonderanfertigung für das LAPD. Mehrere Stunden lang bewegt sich nichts, die Menge ist zu groß, ein hartes Zugreifen hätte unüberschaubare Folgen. Gegen Sonnenaufgang gibt Commander Smith den nächsten Marschbefehl: »Frühstück!«
Die Demonstrierenden jubeln. Doch nur 24 Stunden später beginnt der nächste Einsatz. 1 400 Mann marschieren innerhalb von zehn Minuten auf und kesseln die Demonstrantinnen und Demonstranten im Park ein. »Sie sind diagonal durch den Park gestürmt«, erzählt Abimael Rivera, so sei es der Polizei gelungen, die Demonstrierenden voneinander zu trennen und das Gelände in leichter zu kontrollierende Sek­toren zu unterteilen. Dann greifen sie zu. Rivera rennt zwischen zwei vorrückenden Cops durch, dann ist er frei. Er hat Glück. 292 Menschen werden bei der Räumung verhaftet. Als am 30. November die Sonne aufgeht, ist alles vorbei. Zurück bleiben trostlose Überreste einer eigen­artigen Protestbewegung. An die 30 Tonnen Müll räumt die Stadtverwaltung weg – leere Zelte, zerbrochene Flaschen, zertrampelte Teddybären und kaputte Gitarren. Viele fragen sich, was »Occupy L. A.« nun eigentlich gewesen sei: eine Party oder ein Protest? Und wie soll es weiter­gehen? Pater Bacon ist optimistisch: »Die Besetzung, die Zeltstädte, das war nur der erste Schritt. Ich glaube, die Bewegung wird sich weiterentwickeln und am politischen Prozess teilnehmen.«