Über Versuche, die arabischen Aufstände zu konfessionalisieren

Glauben und Macht

Saudi-Arabien und der Iran wollen die Revolten in der arabischen Welt konfessionalisieren.

Wenn der Vorsitzende des oppositionellen Syrian National Council, Burhan Ghalioun, den Iran und die Hizbollah scharf verurteilt, ist das nur verständlich. Schließlich unterstützen beide mit allen Mitteln ihren Verbündeten in Damaskus. Das Regime Bashar al-Assads bezeichnet sich als Teil einer »Achse des Widerstands«, auf offiziellen Konterfeis präsentiert sich der syrische Präsident zusammen mit seinem iranischen Kollegen Mahmoud Ahmedinejad und Hassan Nasrallah, dem Generalsekretär der Hizbollah, als künftiger »Befreier« der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem.
Doch alle drei sind Anhänger der schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Geht es für unzählige Demonstranten auf den Straßen Syriens um die Befreiung von einer brutalen Tyrannei, eskaliert zugleich ein seit Jahrhunderten schwelender, konfessionell begründeter Konflikt. Denn nach Lesart sunnitischer Regimes und ihrer Anhänger wurde mit den Rebellionen im Nahen Osten vor allem ein neues Kapitel im Kampf zwischen Schiiten und Sunniten um die regionale Vorherrschaft eröffnet.
Die Golfstaaten unter Führung des erzreaktionären Saudi-Arabien wittern in der Syrien-Krise ihre Chance, den seit der iranischen Revolution im Jahr 1979 stetig wachsenden Einfluss »der Schiiten« in der arabischen Welt endlich einzudämmen. Weitgehend hilflos mussten sie nicht nur den Aufstieg der Hizbollah im Libanon verfolgen, sie empfanden 2003 selbst den Sturz des ihnen feindlich gesinnten Saddam Hussein als Niederlage, denn mit seiner Herrschaft endete auch die jahrzehntelange Unterdrückung der Schiiten im Irak. Nun fürchten die Golfmonarchien einen wachsenden Einfluss des Iran nach dem Abzug der US-amerikanischen Truppen. Dass der Iran über Atombomben verfügt und somit endgültig zur dominierenden Regionalmacht aufsteigt, wollen sie mit allen Mitteln verhindern, notfalls auch militärisch.
Diesem Ziel hat sich derzeit alles unterzuordnen. So üben die Golfstaaten Druck auf die Hamas aus, die als einzige bedeutende sunnitische Organisation mit dem Iran alliiert ist. Sie soll dieses Bündnis lösen und ihr Hauptquartier aus Damaskus verlegen. Zugleich hört man sowohl vom Vorsitzenden der tunesischen al-Nahda-Partei als auch aus den Reihen der ägyptischen Muslimbrüder ganz ungewohnte Töne: Es sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, das Friedensabkommen mit Israel in Frage zu stellen. Der Kampf gegen den Iran und seine Alliierten in der arabischen Welt hat nun sogar Vorrang vor dem heiligen Krieg gegen den jüdischen Staat. Offenbar ist man am Golf zu dem Schluss gekommen, dass jede weitere militärische Eskalation im israelisch-palästinensischen Konflikt derzeit nur dem Iran in die Hände spielen würde, weshalb man versucht, an dieser Front für Ruhe zu sorgen.
Sollte es gelingen, die Konflikte im Nahen Osten weiter zu konfessionalisieren, könnte dies für Israel sogar kurzfristig von Vorteil sein. Syrien, dem Libanon und dem Irak, also den arabischen Ländern mit sunnitischen und schiitischen Bevölkerungsgruppen, stünden dann aber wohl noch blutigere Zeiten bevor, konfessionell aufgeladene Bürger- und Stellvertreterkriege, die solange anhalten dürften, wie die Geschicke der Region maßgeblich von zwei verfeindeten theokratischen Regimes, dem Iran und Saudi-Arabien, bestimmt werden.