Die UN-Klimakonferenz in Durban

Wir brauchen die Kohle

Auch nach der UN-Klimakonferenz in Durban wird sich der weltweite Kohlendioxidausstoß kaum verringern. Wichtiger als eine Begrenzung der Erderwärmung scheint das jeweilige nationale Wirtschaftswachstum zu sein.

Viel Hoffnung hatte niemand in die UN-Klimakonferenz im südafrikanischen Durban gesetzt. Und so fiel es den Unterhändlern nicht schwer, wie Politiker nach einer verlorenen Wahl ihre Ergebnisse positiv zu deuten. Von einem »historischen Meilenstein« sprach die südafrikanische Konferenzpräsidentin Maite Nkoana-Mashabane. Die EU habe »alles erreicht«, sagte EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard. »Es sieht immer so lange unmöglich aus, bis es getan wurde. Und es wurde getan«, erklärte schließlich die Leiterin des UN-Klimasekretariats, Christiana Figueres.
Im vorigen Jahr wuchs der globale CO2-Ausstoß um sechs Prozent – so schnell wie nie zuvor. Der seit Beginn der Klimaverhandlungen in den neunziger Jahren angestrebte Übergang zu einer Verminderung der Emissionen ist nicht in Sicht. Nicht erst seit dem gescheiterten Gipfel von Kopenhagen im Jahr 2009 tritt die Klimadiplomatie auf der Stelle. Von Fortschritten für den Klimaschutz kann auch nach der jüngsten Konferenz keine Rede sein.

Nach zweiwöchigen Verhandlungen einigten sich die Delegierten auf ein Konsenspapier mit dem Namen »Durban Platform«. Darin steht im wesentlichen, dass nun neue Verhandlungen für Klimaschutzpläne aufgenommen werden sollen. 2015 will man sich geeinigt haben, 2020 soll der neue Vertrag in Kraft treten. Alle Staaten der Erde sollen dann rechtsverbindlich verpflichtet sein, ihren C02-Ausstoß zu verringern. Bislang galt eine solche Verpflichtung nur für jene Industriestaaten, die das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll unterzeichnet haben. Dessen Geltung wurde in Durban bis 2017 verlängert. Um welche Mengen die Kyoto-Staaten ihre Emissionen künftig senken sollen, ließ man offen – genaue Zahlen sollen bis Mai 2012 nachgetragen werden. Japan und Kanada stiegen aus der Verlängerung des Kyoto-Abkommens aus, Schwellenländer waren ohnehin nicht erfasst. Und so sind künftig nur noch die Verursacher von 15 Prozent der weltweiten Emissionen mit Reduktionspflichten belegt. »So kann das Kyoto-Protokoll global gesehen zwischen 2,2 und 3,2 Prozent der Emissionen mindern«, sagt Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. »Das ist in etwa so viel, wie der Ausstoß Chinas binnen eines Jahres wächst. Also ist damit nichts gewonnen.«
Michael Kühn, Klimawandel-Referent bei der Welthungerhilfe, glaubt, dass die Ergebnisse von Durban auf eine »globale Erderwärmung von drei bis vier Grad bis 2100« hinauslaufen. »Das ist definitiv eine schlechte Nachricht für die Entwicklungsländer des Südens«, meint er. Im vergangenen Jahr hatten sich die 194 Mitgliedsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention darauf geeinigt, die Erderwärmung langfristig auf weniger als zwei Grad gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen. Indigene Bevölkerungsgruppen und Inselstaaten halten dies bereits für zu viel. Das Zwei-Grad-Ziel sei in Durban zu »Makulatur« geworden, sagt Eberhard Brandes vom WWF.

Daran dürfte auch der 2010 in Cancún beschlossene und nun eingerichtete Grüne Klimafonds (GCF) wenig ändern. Den Entwicklungsländern sollen dadurch ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern aus den Industriestaaten zufließen, damit sich der globale Süden an die bereits stattfindende Erderwärmung anpassen kann. Doch noch ist völlig unklar, woher das Geld kommen soll – die Rede ist von Abgaben auf Schiffsdiesel oder Flugtickets. Der deutsche Umweltminister Norbert Röttgen brachte sein Land als Sitz für den Fonds ins Gespräch – quasi als Belohnung dafür, dass Deutschland in diesem Jahr 1,8 Milliarden Euro für internationale Klimaprojekte ausgegeben hat.
Die Schuld am Stocken der Verhandlungen schob Röttgen den USA und den »BRIC-Staaten« (Brasilien, Russland, Indien und China) zu. »Es gibt nur ganz wenige Länder, die einer Einigung im Wege stehen«, sagte er. Von der chinesischen Regierung verlangte er »Taten statt Worte«. Zuvor hatten sich die EU und ärmere Länder zu einem rund 120 Staaten umfassenden Bündnis zusammengeschlossen, um den Druck auf die USA, Indien und China zu erhöhen. Von einer »erfreulichen Allianz der Europäer mit den am meisten verwundeten und verwundbaren Staaten, den am schlechtesten entwickelten Ländern«, nämlich den kleinen Inselstaaten und Ländern Afrikas, sprach Röttgen und griff auch die USA an. Dort gebe es »nicht den Hauch einer Erwartung, dass ein substantieller Beitrag« mehrheitsfähig sei.
Die BRIC-Staaten ließen die Angriffe nicht auf sich sitzen. Die chinesische Regierung verwies darauf, dass Spanien, Österreich oder Italien ihre Reduktionszusagen bis 2012 um zweistellige Prozentbeträge verfehlen werden. Und die indische Regierung erinnerte an die »historische Schuld« der Industriestaaten am Klimawandel und pochte auf das Recht der Entwicklungsländer auf eine nachholende Entwicklung.
Während vor dem Konferenzzentrum Klimaschützer den Diplomaten vorwarfen, »Hunderte Millionen Menschen auf der ganzen Welt zu Hunger, Durst, Unsicherheit, Vertreibung und Tod« zu verurteilen, kamen sowohl die BRIC-Staaten als auch die USA der EU am Ende weit entgegen. Sie erklärten sich bereit, an den nun bis 2015 laufenden Verhandlungen teilzunehmen. Bis 2020 brauchen sie ihren CO2-Ausstoß jedoch nicht einzuschränken.
Für Tadzio Müller von der Gruppe Gegenstrom ist es »scheinheilig«, mit dem Finger auf den »Universalbösewicht« China zu zeigen: »Die EU kann sich nur deswegen als Klimaretter aufspielen, weil vor allem die Volkswirtschaften Deutschlands und Englands weitgehend deindustrialisiert worden sind«, sagt Müller. Die Industrien seien jedoch nicht verschwunden, sondern nur gewandert. »Viele der Güter, die früher vor Ort erzeugt wurden, werden jetzt in China hergestellt. Und das hilft dem Klima nicht«, meint er. Demzufolge müsste rund ein Drittel der chinesischen CO2-Emissionen der EU angerechnet werden. »Man kann die Position eines Landes bei den Klimaverhandlungen direkt daran ablesen, wie groß der Anteil seiner Wirtschaftleistung ist, der in der Industrie erzeugt wird«, sagt Müller. Deswegen sei es Unfug, etwa die Haltung der USA, die sich Reduktionsverpflichtungen verweigern, als besondere Borniertheit der jeweiligen Regierung zu deuten. Jede Reduktion der Emissionen bedeute eine Reduktion des Wirtschaftswachstums, das wolle man nicht.
Größere Chancen für den Klimaschutz sieht Müller in der Protestbewegung. So sei es der Anti-Kohle-Bewegung in Deutschland gelungen, die Hälfte aller geplanten Neubauten von Kohlekraftwerken zu verhindern. Und erst kürzlich hätten Aktivisten in den USA den Bau der Keystone-Pipeline vorerst gestoppt. Darin sollte Erdöl, das besonders klimaschädlich aus kanadischem Ölsand extrahiert wird, in die USA geleitet werden.

Rundum zufrieden mit der Konferenz in Durban war hingegen der Welt-Kohle-Verband (WCA). Diesem war es gelungen, die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid im Tiefengestein (CCS) als »Clean Development Mechanism« (CDM) im Rahmen des Emissionshandels zu etablieren. Künftig können CCS-Projekte mit Fördergeldern für den Klimaschutz subventioniert werden. Dafür hatten die WCA und ihre nationalen Mitgliedsverbände jahrelang geworben. »Der Beschluss verdeutlicht die endgültige internationale Akzeptanz von CCS als legitimer, kohlenstoffarmer Technologie, wie Wind- und Sonnenenergie«, sagte der WCA-Unterhändler Benjamin Sporton.
Tatsächlich kommt der Beschluss für die CCS-Industrie zur besten Zeit. Sie braucht dringend Referenzprojekte für die teure und umstrittene Technologie. Erst Anfang Dezember hatte Vattenfall den Plan aufgegeben, in Deutschland ein angeblich »CO2-freies« Kohlekraftwerk zu bauen. Für das 1,5 Milliarden Euro teure Kraftwerk im brandenburgischen Jänschwalde habe es keine ausreichende Unterstützung gegeben. »Wir müssen leider feststellen, dass es in der deutschen Bundespolitik derzeit keinen hinreichenden Willen gibt, ein CCS-Demonstrationsprojekt in Deutschland möglich zu machen«, bedauerte Tuomo Hatakka, der Vorsitzende von Vattenfall Deutschland. Das Kohlendioxid des von der EU mit 180 Millionen Euro subventionierten Kraftwerks sollte in unterirdischen Salzkavernen in Brandenburg und Schleswig-Holstein verpresst werden. Umweltschützer glauben nicht, dass diese Form der Speicherung sicher ist. In den vergangenen zwölf Monaten musste die CCS-Industrie weltweit insgesamt zwölf Rückschläge hinnehmen. In verschiedenen Ländern waren Vorhaben wie in Jänschwalde an Finanzierungsproblemen, ungeklärten Umweltfragen und dem Widerstand der lokalen Bevölkerung gescheitert.
»CCS-Projekte über den Clean Development Mechanism zu finanzieren, stellt ein Experiment dar, das wir nicht akzeptieren dürfen«, sagte der EU-Abgeordnete Kriton Arsenis. »Wir missbrauchen damit die Entwicklungsländer, die auf das Geld zur Klimafinanzierung angewiesen sind, um mit einer Technologie zu experimentieren, von der man noch nicht weiß, ob sie sicher und fehlerfrei funktioniert.«
Ohnehin ist der CDM-Handel, bei dem hypothetische Einsparungen im globalen Süden gegen reale Emissionen gehandelt werden, umstritten. »Der Beschluss aus Durban zeigt, wie schwach das CDM-Instrument ist«, sagt Chris Methmann von der Klima-AG bei Attac. »Es gibt dabei keine Nettoeinsparung von CO2, es geht nur um den Technologietransfer.«
Tatsächlich kommt es oft vor, dass Kraftwerke vor allem im globalen Süden absichtlich ineffizient gebaut werden, damit ein Investor, der dort »klimaschonende« Technologien nachrüstet, möglichst viele »CO2-Kreditpunkte« bekommt. So eröffnete der deutsche Stahlkonzern Thyssen-Krupp im vergangenen Jahr nahe Rio de Janeiro ein neues Stahlwerk, das ausschließlich für den Export nach Deutschland und in die USA produziert. Der Kohlendioxid-Ausstoß von Rio de Janeiro steigt durch das Werk nach Angaben des Portals »Klimaretter« um 75 Prozent – trotzdem wird der Bau von der UN als Klimaschutzprojekt im Rahmen des CDM gefördert, da in einigen Verarbeitungsprozessen besonders energieeffiziente Technologien zum Einsatz kommen.
Methmann hält nichts von solchen marktwirtschaftlichen Instrumenten. »Wenn man schon verhandeln will, sollte man nicht die Emissionen zählen, die hinten rauskommen, sondern die Technologie beschränken, die sie erzeugt.« Ihm schwebt eine Art »Nichtverbreitungsvertrag« für fossile Energieanlagen vor. »Aber das ist natürlich noch weniger realistisch als alles andere.