Über den FSV Zwickau

Ein attraktiver Verein

Beim Fünftligisten FSV Zwickau versuchen Neonazis, Kameraden zu rekrutieren. Dieser Trend geht über Sachsen hinaus.

Mit dem FSV Zwickau ging es sportlich in den vergangenen 20 Jahren genauso abwärts wie mit der demographischen Entwicklung der sächsischen Industriestadt: Aus dem Club, der 1976 sogar im Halbfinale des Europapokals der Pokalsieger stand, der zwischen 1994 und 1998 in der Zweiten Bundesliga kickte und dort 1996 sogar realistische Chancen hatte, erstklassig zu werden, ist mittlerweile ein Fünftligist geworden. Und von den 120 000 Einwohnern zu DDR-Zeiten sind auch nur noch 93 000 dageblieben. Soweit, so normal.
Doch im Moment geht es mit dem FSV Zwickau wieder aufwärts. Zuletzt wurde der Liga­konkur­rent Wacker Gotha auf seinem eigenen Platz mit 6:0 weggefegt, mit satten acht Punkten Vorsprung vor dem Zweitplatzierten geht der FSV als alleiniger Aufstiegsfavorit in die Winterpause.
Ein attraktiver Verein also. Als Ende November in dem neu als Heimspielstätte genutzten Sojus-Sportpark ein 3:0-Heimerfolg über FC Erzgebirge Aue II gefeiert wurde, war auch in der Kabine die Stimmung euphorisch. »Sieg!« wurde immer wieder von den Spielern skandiert, jemand nahm das auf Video auf, der Verein stellte es sogar auf seine Website. Und überdeutlich zu hören war, wie plötzlich nach einem »Sieg!« ein »Heil!« gerufen wurde (siehe auch Jungle World 49/11).
Während des Spiels, bei dem etwa 2 000 Zuschauer anwesend waren, darunter nur sehr wenige aus Aue, war es nach Zeugenaussagen zu Gesängen und Rufen gekommen. Das berüchtigte »U-Bahn-Lied« wurde angestimmt: »Wir bauen eine U-Bahn von Aue bis nach Auschwitz«. Auch »Terrorzelle Zwickau – olé, olé, olé« oder »N – S – U« soll gerufen worden sein. Drei Terroristen des Netzwerks »Nationalsozialistischer Untergrund« hatten schließlich jahrelang in Zwickau gelebt.
Erst langsam offenbart sich, dass es rund um den FSV Zwickau schon über einen längeren Zeitraum hinweg rechtsextreme Umtriebe gab – durchaus mit Verbindungen zur Terrorzelle NSU. Kader aus Ostthüringen und aus Westsachsen, die früher zum Teil im »Thüringer Heimatschutz«, der politischen Heimat des Zwickauer Terrortrios, aktiv gewesen waren, sollen nach Informationen aus Antifa-Kreisen beim FSV Zwickau gesehen worden sein. Zuletzt habe es Mitte November nach einem FSV-Heimspiel gegen den 1. FC Lok Leipzig ein »Stelldichein« führender Kader gegeben, berichten Zeugen.
Ein großer Fanclub des FSV ist der »A-Block«, benannt nach dem Block, den die Fans im alten Westsachsenstadion einnahmen, wo noch bis November die Heimspiele stattfanden.
Beobachter sagen dem »A-Block«-Club nach, ein Sammlungsort rechter Fans zu sein. Doch bislang seien es, wie eine Einschätzung aus der Szene lautet, eher »Dorfnazis und Alltagsrassisten« gewesen, die sich bei diesem Teil der FSV-Fans einfanden. Mittlerweile jedoch sei dieser Personenkreis begehrtes Objekt organisierter Nazikader, die hier künftige Kameraden rekrutieren wollen.
Das erinnert an frühere Versuche organisierter Neonazigruppen, gezielt auf Fußballfans zuzu­gehen. Der verstorbene Nazikader Michael Kühnen hatte in den achtziger Jahren den »Kampf um die Stadionkurve« ausgerufen. Auch nach Kühnens Tod funktionierte das noch. Der Naziaussteiger Gabriel Landgraf erzählte einmal in einem Interview mit dem Fußballmagazin Rund, wie er 1999/2000 in die Szene geraten war: »Als Jugendlicher war ich als Hertha-Fan fast immer bei den Spielen. Im Block kannte man sich untereinander. Dort bin ich das erste Mal mit Neonazis in Kontakt getreten.« Die »Nigger«-Rufe im Stadion, das Werfen mit Bananen nach schwarzen Spielern, die Beleidigung des Schiedsrichters als »Judensau« und das in einem Fußballstadion nicht strafrechtlich verfolgte Heben des rechten Arms zum »Hitlergruß« hätten sein Abdriften in die rechte Szene befördert. Auch das »U-Bahn-Lied« habe er gesungen.
Der Zwickauer Verein entschuldigte sich zunächst erschrocken, als die Vorwürfe laut wurden, rechtsextreme Parolen seien gegrölt worden: Das sei »faschistische Gesinnung«, man empfinde »Scham«, gerade vor dem Hintergrund der aktuell bekanntgewordenen »Opfer brauner Gewalt«.
Sogar die Fans des »A-Blocks« gaben eine Stellungnahme heraus: Ja, einen »gänzlich unbelehrbaren Stimmungsmacher« habe es während des Spiels gegeben, den man aber eigenhändig aus dem Block entfernt habe. Ansonsten sei man unpolitisch und wehre sich bloß gegen das Verbot, »Thor Steinar«-Kleidung zu tragen – ein zum Erkennungszeichen von Neonazis avanciertes Modelabel. Während des Spiels gegen Aue hatten die »A-Block«-Fans mit Erlaubnis der FSV-Führung ein Transparent hochgehalten, auf dem stand: »Wir kleiden uns neu ein für unseren Verein.« In der Stellungnahme der »A-Block«-Fans heißt es zu den Vorwürfen wegen ihres Bekenntnisses zu »Thor Steinar« in bemerkenswertem Deutsch: »Wir verwehren uns dagegen, uns als Nazis aufgrund einer Textilie bagatellisieren zu lassen.«
Im Stadion war auch eine norwegischer Fahne aufgehängt worden: Ob sie ein Gruß an den Oslo-Attentäter Anders Breivik war oder in Anlehnung an die Firma »Thor Steinar« gezeigt wurde, deren Kleidung oft mit dieser Fahne verziert ist, bleibt offen. Für den Verein jedenfalls erklärte der FSV-Geschäftsführer Jörg Schade: »Das ist doch nur die Staatsflagge.« Wichtig ist dem Verein stattdessen dies: »Die 2 000 Besucher des Spiels müssen wir vom Generalverdacht befreien, Neonazis zu sein.«
Was die Führung des FSV Zwickau nicht sieht, nicht sehen möchte oder was sie vertuschen will, ist, dass sich in ihrem Stadion wie auch in anderen Arenen der Republik mittlerweile eine stabile rechtsextreme Kultur etabliert hat. Das gilt gerade in den Stadien von Traditionsclubs, die nun unterklassig kicken müssen. Vor wenigen Jahren bildeten Fans von Lok Leipzig auf der Tribüne ein lebendes Hakenkreuz. Gerade der Umstand, dass das Stadion groß ist, aber nur die angeblich besonders treuen Fans noch kommen, verschaffte der Aktion Aufmerksamkeit.
Der organisierte Rechtsextremismus freut sich über den allzeit bereiten Nachwuchs, den er in den kaum gefüllten Stadien nur einsammeln muss. Holger Apfel, mittlerweile Vorsitzender der NPD, erklärte vor wenigen Jahren in einem Interview, das er dem Journalisten Christoph Ruf gab, offen seine Ziele: Traditionsver­eine wie Dynamo Dresden, Lok Leipzig oder Erzgebirge Aue seien »Vereine mit einem großen Potential, mit großer Akzeptanz im Volk«. Daher gelte für die NPD als strategisches Ziel: »Deren Anhänger versuchen wir an die NPD heranzuführen.«
Nicht selten sind Fans durchaus bereit, sich heranführen zu lassen. Beim Zweitligaspiel von Alemannia Aachen gegen FC Erzgebirge Aue am vorletzten Wochenende meldeten sich zwei Aachener Fanclubs, die »Karlsbande« und die »Aachen Supporters«, mehr als nur zu Wort: Nach Zeugenaussagen griffen sie während des Spiels die als links geltenden »Aachen Ultras« an. »Verpisst Euch, Ihr Juden, Ihr habt bei Alemannia nichts zu suchen!« und ähnliches wurde gerufen. Der Ordnungsdienst wollte eingreifen, war aber überfordert.
Nicht nur in der zweiten, auch in der ersten Liga gibt es Nazis. Der Journalist Ronny Blaschke nannte jüngst in einem Interview mit der Zeitschrift Konkret ein Beispiel: »In Dortmund etwa, beim deutschen Meister, stehen regelmäßig ›Autonome Nationalisten‹ auf der Südtribüne. Das Häuflein fällt bei 70 000 Zuschauern kaum auf, aber: Es wird toleriert.«
Diese Fans fallen immer dann auf, wenn nicht mehr 70 000 Fans kommen, sondern die Besucherzahl vier- oder dreistellig wird. Dann geht es zu wie beim FSV Zwickau. Dort gibt es mit »Red Kaos« auch einen Fanclub, der als links gilt. Aus Protest gegen Stadionverbote, die der Verein gegen einzelne Mitglieder und Sympathisanten verhängt hat, bleibt »Red Kaos« derzeit dem Stadion fern. Ein Fan von Erzgebirge Aue, der Ende November im Zwickauer Stadion war, als die Nazigesänge dort laut wurden, sagte in der Lokalzeitung Freie Presse: »Bislang sind solche Leute im Block untergegangen. Seitdem aber ›Red Kaos‹ nicht mehr im Block steht, ist das viel auffälliger.«
So auffällig, dass die Staatsanwaltschaft Zwickau ermittelt. Aber nicht auffällig genug, dass der FSV Zwickau sich herausgefordert fühlen müsste. Alles, was gegenwärtig etwa in der Freien Presse berichtet wird, seien »gezielt überzogene und nicht zutreffende Informationen«, heißt es in einer Stellungnahme des Vereins. Es seien »Verunglimpfungen der gesamten Anhängerschaft des Vereins«.
Und die kritischen Fans des Clubs? Sie verabreden sich, wie es auf der Website von »Red Kaos« heißt, »trotz aller Widrigkeiten – Diffidati liberi – auch 2012 wieder vor den Stadiontoren für den FSV«.