Frieden im Pop

Was komisch ist am Frieden

Warum der Antikriegssong kein Friedenslied ist. Klaus Walter erzählt die Geschichte von Love and Peace im Pop.

Der Krieg/Zwischen Krieg und Frieden/Im Pop ist er schnell entschieden/Für den Krieg/Und gegen den Frieden.« Das schrieb der junge DDR-Barde Wolfgang Biermann 45 Jahre vor Janelle Monaes »Cold War«. Mehr Substanz hatten seine Paradox-Limericks mit Schüttelreim-Dialektik auch später nicht. Recht hat Biermann trotzdem. Im Pop ist der Krieg dem Frieden überlegen. Friedenslieder sind meistens ein bisschen scheiße, nicht nur wenn Nicole sie singt. »Peace Train« von Cat Stevens, der heute Yusuf Islam heißt, reitet auf dem Friedenszug, tralalalala, singt der Anglo-Grieche mit den traurigen Augen zur Akustischen, und die Backfische schmelzen dahin. »Backfisch« war mal Deutsch für weiblicher Teenager, die männlichen nannte man Halbstarke, und sie befanden sich im Krieg mit den Erwachsenen.
»Peace will come« von der nachnamen- wie talentlosen Melanie. Warum verzichten eigentlich immer nur Frauen auf Nachnamen? Alexandra, Dorte, Gitte, Nena, Sabrina, Sandra, Nicole. Soll da Intimität suggeriert werden? Voreilige Friedensangebote? Du darfst mich Melanie nennen? Gab es nachnamenlose Männer im deutschen Schlager der Sechziger, Siebziger? Harry? Herbert? Rudi? Kurt? Doch, einen gab’s, Heino. Karamba, Karacho ein Whiskey, Karamba, Karacho ein Gin. Kein Friedensbarde, Heino klingt wie High Noon.
»Give Peace a Chance« ist performativ ganz okay, Telefonbücher als Perkussion, Sit-In im Hotelzimmer, alle dürfen mitgrölen, aber genau darin auch nervtötend, Demo-Feeling im Studio.
Symptomatisch für das Problem mit dem Friedenslied ist ein produktives Missverständnis: Meine erste Begegnung mit dem Frieden im Pop – der beeindruckende, etwas furchteinflößende Ritchie Havens im Woodstock-Film. »Freedom! Freedom! Freedom!« brüllt er ohne Unterlass, fetzt über die Saiten seiner Holzgitarre, ein Berserker, ein Prediger, der sich in Trance spielt, und dann: »Sometimes I feel like a motherless child.«  Da ist einer aber richtig besessen vom Frieden, denkt der 13jährige, der ich war. Es sollte Jahre dauern, bis mir klar wurde, dass Ritchie Havens nach Freiheit schreit, nicht nach Frieden. Frieden im Pop ist meistens nett, und nett ist die kleine Schwester von scheiße. Nach Freiheit kann man schreien, Frieden wünscht man leise herbei oder betet dafür. Frieden riecht nach prästabilierter Harmonie, nach unterdrücktem Konflikt, nach kryptoreligiösem Erlösungskitsch. Friede, Freude, Eierkuchen. Friedliche Koexistenz? Dann doch lieber kalter Krieg, das ist zwar politisch dasselbe, klingt aber realistischer. Pophistorisch ist der Friedenstopos im Besitz der Hippies, weshalb Peace-Bashing an dieser Stelle ein wohlfeiles Vergnügen ist. Wer will schon Hippie sein?
Interessant wird es, wenn man genauer betrachtet, in welchem Stadium sich die Hippie-Bewegung verstärkt den Frieden auf die Fahnen geschrieben hat, oder auf die nackte Haut. Dazu muss man zunächst zwischen Antikriegsbewegung und Friedensbewegung unterscheiden. Die Antikriegsbewegung der sechziger Jahre war flankiert, wenn nicht gar maßgeblich getragen von entsprechenden popkulturellen Strömungen. Diese Strömungen waren ihrerseits zumeist praktische Kriegserklärungen an die kriegführende Politik und die sie unterstützenden Mehrheitsgesellschaften. Man war gegen den Krieg und gegen den soldatischen Gesellschaftskörper. Die Aussicht auf Frieden war in dieser Konfrontation mit den Kriegern nicht vorgesehen. Frieden mit denen? Niemals. Dieser Gestus verbindet bei allen materialästhetischen und historischen Unterschieden Antikriegsmusiken von Charles Mingus (»Oh Lord, Don’t Let Them Drop That Atomic Bomb on Me«, 1961) und Bob Dylan (»Masters of War«, 1963), die sich allgemein gegen die atomare Bedrohung und die Kriegsindustrie richten, mit Antikriegswelthits im Zeichen des eskalierenden Vietnam-Kriegs Ende der Sechziger, etwa Edwin Starrs »War« oder »Run Through the Jungle« und »Fortunate Son« von Creedence Clearwater Revival. Diese Musik war getrieben vom Furor gegen ein kriegführendes Establishment und wirkmächtig durch einen Riss in der Gesellschaft, der mit dem unpräzisen und missverständlichen Begriff Generationenkonflikt bezeichnet wurde. Gegen das Establishment wird mit Maschinengewehren geschossen, von Peter Brötzmann qua Free Jazz, von Jimi Hendrix qua Gitarrenlärm. Der weiße Wuppertaler und der Afroindianer aus Seattle wissen möglicherweise nicht einmal voneinander, geben aber dennoch fast zeitgleich ihren innergesellschaftlichen Kriegserklärungen den Titel »Machine Gun«, Brötzmann 1968, Hendrix ein Jahr später. Die schiere ästhetische Militanz dieser Aufnahmen ließ den Gedanken an Frieden gar nicht erst aufkommen und war auch nicht kompatibel mit der Konsens­parole der Hippies: Make Love not War.
Der allmähliche Übergang von einer Antikriegsbewegung zur Friedensbewegung geht einher mit einer allgemeinen Entpolitisierung der Hippies, die von den späten Sechzigern bis weit in die Siebziger die hegemoniale Jugendbewegung sind. Linke, militante Hippies werden bald marginalisiert (bzw. marginalisieren sich selbst), eine sektiererischen Minderheit, in der Bundesrepublik sind sie der Nährboden für die spätere Stadtguerilla. Lange Haare und Hippie-Klamotten tragen 1972 auch deutsche Fußballnationalspieler, Popmusik ist ubiquitär und strebt nach gesellschaftlicher Akzeptanz. Neue Stile wie Progrock oder die Verbindung von Rock mit klassischen Elementen, wie sie von Bands wie Nice, Deep Purple oder Emerson, Lake & Palmer praktiziert wird, begünstigen die Nobilitierung von Popmusik, das imponiert auch dem Musiklehrer. Integration statt Kriegserklärung oder auch: innergesellschaftliche Friedensangebote. In der Politik der BRD symbolisiert 1972 die erste sozialliberale Bundesregierung diesen Paradigmenwechsel. Willy wählen, ein Flüchtling und Antifaschist als Kanzler, Mitbestimmung – bei aller Euphorie wird schon mal vergessen, dass die Regierung Brandt recht bald eine neue innerstaatliche Feinderklärung formuliert: Berufsverbote für linke Beamte, der sogenannte Radikalenerlass. Pop verliert unterdessen mit seiner immer stärkeren Verbreitung und Akzeptanz an Faszination, von Militanz ganz zu schweigen, sieht man von kleinen subkulturellen Nischen ab. Im Radio gibt es jetzt überall Popwellen, die Hippiejugend der späten Sechziger ist im Zentrum der Gesellschaft angekommen. Die meisten haben ihren Frieden gemacht mit den Verhältnissen. Ökologie dient bald als Politikersatz, einstige Linke werden grün und tun sich mit einer neuen Friedensbewegung zusammen, manche nennen sich allen Ernstes »Oköpax« und dokumentieren ihre friedliebende Gesinnung mit der scheußlichsten Musik, den scheußlichsten Klamotten und den scheußlichsten Frisuren, die das 20. Jahrhundert hervorbrachte. So könnte man in groben Zügen die Entwicklung schildern, die 1974 in einer Frage mündet, die bis heute nichts von ihrer Berechtigung eingebüßt hat: »What’s so funny about Peace, Love and Understanding?«
Nick Lowes gleichlautender Song wird zum ersten Mal auf einem Album seiner Pubrockband Brinsley Schwarz veröffentlicht. Pubrock ist zu diesem Zeitpunkt eine kleine, männerdominierte Retrobewegung in England, die eine Besinnung auf die Anfänge des Rock’n’Roll propagiert – gegen die Kunst- und Bombastambitionen von Prog- und Phantasy-Rock. Trotz seines reaktionären Gehalts ist Pubrock auch eine Quelle von Punk. Von Brinsley Schwarz’ kleiner Anti-Hippie-Tirade nimmt niemand weiter Notiz. Bis Elvis Costello den Song ein paar Jahre später neu aufnimmt. Inzwischen war Punk passiert und Costellos schärfere, aggressivere Version eignete sich prima als Kriegserklärung an boring old farts, langweilige alte Fürze, so nannte man damals alle, die im Gestern hängengeblieben waren, harmonie- und friedensselige Hippies insbesondere.
Ein paar Jahre später tauft Alfred Hilsberg, Vater der original Neuen Deutschen Welle, seine Hamburger Plattenfirma auf den Namen »What’ so funny about« und veröffentlicht dort konfrontative bis kriegserklärende Musik von Leuten wie Cpt. Kirk &., Blumfeld, Knarf Rellöm usw. Auf dem Album »Reformhölle« gibt es 1992 den Song »Selber Schuld«. Darin fragt Tobias Levin, der Sänger von Cpt. Kirk &.: »What’s so funny about L’Age Polyd’Or, was ist komisch an viel besserem Gold?« Die Frage richtet sich an die Freunde des Hamburger Indie-Labels L’Age D’Or, die zu dieser Zeit gerade einen Deal mit dem Major-Label Polydor geschlossen hatten, ein Akt von politischer Tragweite, diskutiert auf dem Album zur neuen deutschen Reformhölle. Bloß kein falscher Frieden.
Bei aller Reputation und allem Kritikerlob hat die politische Musik dieser und anderer Bands nicht im Entferntesten die Strahlkraft und Reichweite der populären Antikriegs- und Protestsongs der sechziger und frühen siebziger Jahre. Wie auch? Im zu Ende gehenden Jahr der Riots und Revolten rund um den Globus wird immer wieder gefragt, wo denn eigentlich der Soundtrack zum Aufstand ist. Wo ist der Protestsong geblieben? Das ist so eine Feuilletonfrage des Jahres. Die passt in Kairo und in Liverpool, zu Dylans 70. Geburtstag im Mai 2011 wie zum 75. von Wolf Biermann im November. Wobei der ja vom gleichzeitigen Tod von Franz-Josef Degenhardt überschattet wurde, oder sollte man besser sagen: überstrahlt. Was für ein letzter Coup im Liedermacherkrieg. Dann gehen auch noch Georg Kreisler und Ludwig Hirsch, und wieder fragen sie auf den Kulturseiten nach dem Protestsong, nach dem politischen Lied. Die da fragen, trauern um eine bessere Vergangenheit, eine Ton-Steine-Scherben-Zeit, als man noch wusste, wo rechts und links ist, wo der Feind steht, und was man kaputtmachen muss, um nicht selbst kaputtzugehen. Keiner von denen, die da jammern, kennt Ja, Panik, Gustav, Die Goldenen Zitronen, nicht mal Blumfeld oder Christiane Rösinger. Die machen alle auf ihre Art gegenwartshaltige politische Musik, allein: Wo werden sie gehört? Um wirksam zu sein, muss ein Song zum Massenphänomen werden, muss in der Luft liegen, in the air, er braucht Airplay, Sendezeit. Auch ausgewiesene Linke wie Degenhardt, sogar Ton Steine Scherben liefen zu ihrer Zeit regelmäßig im Radio, am hellichten Tag. Und erst Biermann. Nach seiner Ausbürgerung übertrug das Erste Deutsche Fernsehen im November 1976 sein Kölner Konzert in voller Länge. Eine innerdeutsche Kriegserklärung von West nach Ost. Fast vier Stunden Biermann zur besten Sendezeit! Undenkbar heute.
Oder könnte man sich vorstellen, dass in der ARD um 20.15 Uhr, sagen wir, Schorsch Kamerun, Eva Jantschitsch alias Gustav, Jochen Distelmeyer und Christiane Rösinger über die Soundtracks zu den Aufständen diskutieren und dazu eigene Songs spielen? »Wohin mit dem Hass?« fragt Distelmeyer. Es geht um ein nicht näher definiertes Wir gegen Sie. Sie, das sind die Reichen und Mächtigen. »Lass ihre Wagen brennen!« heißt es in dem Song von 2009. Zwei Jahre später brennen Autos, nicht nur in Berlin. Ob es immer die Autos der Reichen und Mächtigen sind, das ist eine andere Frage. Und ob brennende Autos eine Protestform sind oder bloß sinnlose Randale, das wird sogar innerhalb der radikalen Linken kontrovers diskutiert. Und bei den Goldenen Zitronen.
»Ich halte brennende Autos für ein starkes Ausdrucksmittel, getraue mich aber nicht, eins anzuzünden, da ich viele Freunde habe, die eine Beschädigung ihres Autos für einen Angriff auf ihre Persönlichkeit halten würden«, erklärt Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen in »Bloß weil ich friere«. Kamerun spricht da auch in eigener Sache. Er ist aufgestiegen vom Dorfpunk aus der holsteinischen Provinz zu einem der gefragtesten Theatermacher Deutschlands. Da muss man lernen, mit Widersprüchen umzugehen. Die Goldenen Zitronen verkörpern exemplarisch Glanz und Elend der politischen Musik in Deutschland. Auf musikalisch wie textlich avancierte Art bearbeiten sie die komplexe, beschleunigte Gegenwart mit ihren Widersprüchen. Etwa den Umstand, dass es ein Turnschuh oder ein Flachbildfernseher aus einem Billiglohnland leichter und schneller nach Europa schafft als ein Flüchtling aus einem Billiglohnland. Zu bohrendem Elektro singen sie in dem Stück »Wenn ich ein Turnschuh wär« von der globalen Ökonomie des 21. Jahrhunderts. Zwar sind sie die Lieblinge der Kritiker, aber kein deutsches Radio spielt solche Songs. Sie sind nicht anschlussfähig, zu sperrig, zu kompliziert, zu lang, zu monoton, zu kryptisch, zu politisch. Sowas kriegt kein Airplay, liegt nicht in der Luft. Das spricht für die Musik, gegen die Verhältnisse. Kein Frieden, nirgends. Oder, mit Bob Marley, den man in Deutschland immer gegen die Vereinnahmung durch Hippiespießer verteidigen muss: »Until the philosophy which hold one race Superior and another inferior/Is finally and permanently discredited and abandoned/Everywhere is war, me say war/That until there are no longer first class/And second class citizens of any nation/Until the colour of a man’s skin/Is of no more significance than the colour of his eyes/Me say war/That until the basic human rights are equally/Guaranteed to all, without regard to race Dis a war.«
1992 singt Sinéad O’Connor Bob Marleys Song »War« in der Show »Saturday Night Live« und macht ein paar Anmerkungen zum Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche. Am Ende ihres Auftritts zieht sie ein Foto von Papst Johannes Paul aus der Tasche und zerreißt es. Me say war?