Über prekäre Arbeit im Bereich der politischen Bildung

Ein riskanter Job

Die Bedingungen der politischen Bildungsarbeit gegen rechts sind prekär. Daran hat sich auch nach dem Bekanntwerden der Zwickauer Zelle nichts geändert.

Seit dem Bekanntwerden der Mordserie der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« könnte man vermuten, dass Arbeiterinnen und Arbeiter aus jenem Bereich der politischen Bildung, der sich gegen rechts engagiert, derzeit gefragte Experten seien. Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, sagt jedoch, in der Arbeit der Projekte seien keine Veränderungen zu bemerken. Angesichts der Debatte, die derzeit um Rechtsterrorismus, Rassismus und deren Ursachen geführt wird, sei dies »erstaunlich«, so Kahane. »Wir befinden uns auf der Ebene der Empörung und nicht der Auseinandersetzung«, kommentiert Nico Schlüter vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum (Apabiz) in Berlin diesen »Schockzustand«. Beim Apabiz sei allerdings ein enormes Interesse seitens der Medien wahrnehmbar.

Im Alltag jedoch wird die Arbeit im politischen Bildungsbereich weiterhin durch die von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) forcierte Politik zur »Extremismusbekämpfung« erschwert. Die Mitarbeiter der bildungspolitischen Initiativen arbeiten täglich in Schulen und in Vereinen und werden dabei oftmals mit dem konfrontiert, worüber sie eigentlich aufklären wollen: Rassismus, Antisemitismus, rechte Jugendliche und Neonazis. Auch Anfeindungen und Gewalt gegen die Bildungsarbeiter gehören zum Berufsrisiko. Ein Beispiel ist der Fall zweier Honorarkräfte aus der Bildungsarbeit, die am 9. Dezember in Bautzen die Konstituierung eines Bürgerbündnisses gegen rechts moderieren sollten. Ein beteiligter Referent, Phillip Krema*, berichtet, dass er und seine Kollegin schon bei ihrer Ankunft das Fehlen eines erbetenen Schutzkonzepts bemängelt hätten. Die Veranstaltung wurde von Neonazis angegriffen. Die Honorarkräfte mussten den Auftritt abbrechen und sich im Haus verbarrikadieren. Die Polizei benötigte mehrere Nachfragen per Telefon und 40 Minuten, bis sie am Ort des Geschehens eintraf. »Dies ist zwar eines der krassesten Ereignisse, die ich erlebt habe«, sagt Krema, »aber Sätze wie ›dich stecken wir ins Konzentrationslager‹ gehören häufig zum Alltag meiner Arbeit«. Viele Menschen in der Bildungsarbeit haben die Erfahrung gemacht, dass sich die Polizei und die Behörden insbesondere in ländlichen Regionen im Umgang mit rechten Jugendlichen und Neonazis oft als unfähig erweisen und deren Straftaten verharmlosen. Es ist gerade die tägliche Begegnung mit Faschismus, Rassismus und Gewalt, die den Mitarbeitern der Bildungsinitiativen einen Einblick in die Szene, die Ideologie und deren gesellschaftliche Verbreitung und Wechselwirkung gewährt und ihrer Arbeit Authentizität verleiht.

Politische Bildungsarbeit findet überwiegend unter prekären Bedingungen statt. Festanstellungen sind bei den Vereinen so gut wie ausgeschlossen. Die meisten Bildungsarbeiter arbeiten selbständig, ihre Honorare bewegen sich pro Auftrag zwischen 50 und 200 Euro, die Vor- und Nachbereitungszeit ist unbezahlt. Auch die immer strengeren und komplizierteren Vergaberichtlinien für Fördermittel im Zuge der staatlichen Gesinnungsprüfung erschweren ihre Arbeit. Fast alle Vereine sind von Spenden abhängig.
Während das Apabiz seine Fördermittel vom Land Berlin erhält, das als Bundesland die Demokratieerklärung boykottiert, haben Vereine in Sachsen weitaus größere Probleme. Das evangelische Landesjugendpfarramt kritisierte in einem offenen Brief den sächsischen Innenminister Markus Ulbig (CDU) für seinen »Generalverdacht« gegenüber jenen, die ein »Pflichtbekenntnis nicht als geeignetes Mittel« sehen. Das Landesjugendpfarramt musste zuvor seine Projektstelle gegen rechts streichen, da es die »Extremismusklausel« nicht unterzeichnete. Das Alternative Kultur- und Bildungszentrum (Akubiz) in Pirna, das 2010 den sächsischen Demokratiepreis ablehnte, weil es sich weigerte, die sogenannte Extremismusklausel zu unterzeichnen (Jungle World 46/2010), organisierte mit anderen Stellen in Sachsen im Februar einen Aktionstag gegen die Klausel. Websites wurden abgestellt, Vorträge nicht gehalten, über 1 000 Faxe und Schreiben an Behörden und Ministerien verschickt. Der Verein hat mittlerweile eine Klage gegen die Klausel angestrengt, die im April vor dem Verwaltungsgericht verhandelt werden soll. Durch »Extremismusklauseln« entsteht der Eindruck, dass Initiativen dem Staat gefügig gemacht werden sollen. Werden die Kooperationspartner nicht auf ihren »Nichtextremismus« hin begutachtet oder wird ein Verein vom Verfassungsschutz (VS) beobachtet, gibt es kein Geld. Die Erwähnung in VS-Berichten führt häufig dazu, dass die kritische Bildungsarbeit kriminalisiert und marginalisiert wird. Der Staat isoliert somit die unliebsame kritische Bildungsarbeit. Zudem tritt der VS schon seit längerem selbst kostenlos als Bildungsakteur auf. Schlüter vom Berliner Apabiz sagt, es »braucht kritische freie Bildungsarbeit, um eine kritische freie Gesellschaft zu ermöglichen«.

Viele Vereine und Beratungsstellen, deren Existenz gefährdet war, haben notgedrungen die sogenannte Demokratieerklärung unterzeichnet, vor allem die ohnehin raren Opferberatungsstellen. In Sachsen wurde der Unterschrift häufig ein Protestschreiben beigefügt. In einigen Fällen leisteten die Vereine zwar eine Unterschrift, ihre Referenten jedoch nicht. Das Netzwerk Demokratie und Courage (NDC) in Sachsen verlor auf diesem Weg zuletzt zehn Prozent seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter. Den Auftritt von Polizei und Geheimdiensten als Bildungsakteure kann man in diesem Zusammenhang als Farce betrachten. Viele Vereine aus der unabhängigen Bildungsarbeit stellen die Qualität der vom VS gehaltenen Vorträge in Frage, doch für öffentliche Einrichtungen kann das Bildungsangebot des VS ein unverfänglicher und einfacherer Weg sein. Der extremismustheoretische Standpunkt, der vom VS in der Bildungsarbeit vertreten wird, ist jedoch für die Aufklärungsarbeit ungeeignet. Er »verdrängt Probleme wie Alltagsrassismus und Antisemitismus an die Ränder, und die Benennung von Problemen wird schwierig«, kritisiert Anne Nitschke vom Akubiz, »Unabhängigkeit ist dabei nicht gewahrt«.
Bereits im Winter 2010 sprach Roland Roth, Politikwissenschafter der Hochschule Magdeburg-Stendal, bei einem Interview mit der Mobilen Opferberatung in Sachsen-Anhalt von einer »folgenreichen Realitätsverleugnung« in Bezug auf die Klausel. Schlüter vom Apabiz, das zu den Unterzeichnern des Online-Aufrufs »Bilden ohne Geheimdienst« gehört, sagt, » linksextrem ist ein Stigma« mit dem der VS Initiativen in einen Abwehrkampf verwickele. »Was bleibt, ist der Imageschaden«, so Schlüter. Auch die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle (Aida) in München war von einem solchen Imageschaden betroffen (Jungle World 48/2011). Zwar gab der bayerische Verwaltungsgerichtshof im September 2010 dem Verein Recht – der VS musste die Nennung der Aida in seinem Bericht streichen –, doch der Schaden war angerichtet. Bis auf weiteres scheinen die Akteure der politischen Bildungsarbeit das Nachsehen zu haben. Zumindest kritisierte das internationale Auschwitz-Komitee, das in einem offenen Brief Mitte Dezember eine lückenlose Aufklärung der vom NSU begangenen Morde forderte, man könne sich für Schröders Politik der »Extremismusbekämpfung« nur »fremdschämen«.

*Name geändert