Streit unter Fangruppen in Aachen

Kameraden, Homos, Zecken

Auf dem Aachener Tivoli wird ein Streit zwischen verschiedenen Fangruppen auch handgreiflich ausgetragen.

Nachdem sich Alemannia Aachen und der FC Erzgebirge Aue 1:1 trennten, fand die Lokalpresse klare Worte: »Der Feind im eigenen Fan-Lager« lautete eine Schlagzeile. Kurz vor der Halbzeitpause hatten nämlich 20 bis 30 Vertreter der »Alemannia Supporters«, in deren Umfeld und unter denen sich ein NPD-Kader und rechtsextreme Problemfans befinden, den Block der »Aachen Ultras« (ACU) gestürmt. Es kam zu Handgreiflichkeiten, zwei Ordner wurden verletzt. Aus dem benachbarten Block der »Karlsbande Ultras« (KBU) seien die »Kameraden« angefeuert und die ACU als »Juden«, »Homos« und »Zecken« tituliert worden, teilten die ACU mit.
Wer den Vorfall am 11. Dezember beim Heimspiel des Zweitligisten Aachen verstehen will, der muss nicht nur bis zu der Partie gegen Dynamo Dresden zurückblicken. Am 16. Oktober waren es die ACU, die den KBU im Gästeblock des Dresdener Glücksgas-Stadions ein Transparent entreißen wollten. Fans aus Aachen ließen laut Lokalpresse dabei »vorübergehend die Fäuste sprechen«, einen »merkwürdigen Raufhändel« habe es gegeben. Schon da schwelte der Streit seit langem – und er hat eine politische Komponente. Sascha Wagner, derzeit NPD-Kader in Rheinland-Pfalz und seit den achtziger Jahren, als er noch im Raum Aachen wohnte, eine einflussreiche Person in der Aachener Fanszene, schrieb auf Facebook, die »Zeckenultras« seien »nach dem Angriff auf die Karlsbande in die Schranken verwiesen« worden. Später schwadronierte er von den »linksfaschistischen ACU«.
Wagner organisierte ebenso wie andere Nazis aus Deutschland mehrfach Auftritte der rechtsextremen Hooligan-Band »Kategorie C« aus Bremen. Im August 2007 trat die Band dank Wagner im niederländischen Nuth auf. Das Konzert hatte ursprünglich in Aachen stattfinden sollen, wegen antifaschistischer Proteste war es aber ins Nachbarland verlegt worden. Das Publikum bestand aus Neonazis sowie Ultras und Hooligans der Alemannia-Fanszene.
Im aktuellen Disput gilt Wagner selbst unter ihm wohlgesinnten Fans als Autor eines Briefes an die Geschäftsführung von Alemannia, in der er in dritter Person als »Kultfigur« umschrieben wird, die »bis zum heutigen Tag noch nie in irgendeiner Form versucht« habe, die Fans zu politisieren. In dem Schreiben wird behauptet, besonders die ACU und die als Linksradikale titulierte Sozialarbeiterin des Fanprojektes hätten die »neuerliche Eskalation« herbeigeführt. Zum Kampf gegen rechts bei Alemannia fällt dem Autoren des Briefes eine geschichtsrevisionistische und rechtsextreme Polemik ein: Rechten Fans werde man künftig ähnlich wie in Nazideutschland den Juden einen »schwarz-gelben Stern« anheften, auf dem »Nazi« stehe. Wegen solcher Ausfälle befand ein User in einem Fanforum, der »große Denker Sascha Wagner« steuere mit dem Schreiben »seine Handpuppen aus gewissen Fanclubs«.
Lange waren die »Aachen Ultras ’99« die einzige Ultra-Gruppierung in Aachen. Im Jahr 2006 gerieten die ACU in die Kritik, weil sich in der Gruppe und deren Umfeld Neonazis – darunter Wagner – und rechte Mitläufer bewegten. Nach kritischen Medienberichten Anfang 2007 begannen die ACU umzudenken. Man verwies Rechtsextreme aus den eigenen Reihen. Auf ACU-Partys erklang statt rechtslastiger Musik nun HipHop oder Ska, teilweise traten auch lokale Bands dieser Genres auf. ACU-Mitglieder beteiligten sich an Aktionen gegen Nazis und engagierten sich für einen menschenwürdigen Umgang mit Asylsuchenden und Flüchtlingen.
Das führte zu Spannungen. Manchen ACU-Leuten ging das Engagement zu weit, zumal man sich als unpolitischen Fanclub sah. Mitte 2010 verließen dann zahlreiche Ultras die ACU und gründeten eine neue Gruppe, die »Karlsbande« beziehungsweise »Karlsbande Ultras«. Bei den KBU und deren Umfeld wurden Personen wieder aktiv, die die ACU wegen ihrer politischen Ansichten oder einer Nähe zum Hooliganismus ausgeschlossen hatten. Die ACU engagierten sich auch weiterhin gesellschaftskritisch und politisch – vom KBU-Umfeld wurden sie deshalb als »Zecken« oder »Juden« beschimpft.
Manche KBU-Mitglieder glichen sich dem an, was der Fanforscher Gunter A. Pilz »Hooltras« nennt. Auf einem Transparent zeigen die KBU, dass sie für ein gemeinsames Agieren von »Hooligans« und »Ultras« aus der »Kaiserstadt« plädieren. Es zeigt die vereinten Logos der örtlichen Hooligan-Gruppe »Feld-Wald-Wiesen-Crew« und der »Karlsbande«. KBU-Leute und Hools fielen denn auch dadurch auf, dass sie versuchten, gegnerische Fans oder deren Busse anzugreifen, mit dem Erfolg, dass die Polizei im September 2011 erklärte, sie werde die Karlsbande stärker beobachten. Der Manager von Alemannia, Erik Meijer, hatte schon im Mai mit Bezug auf die KBU gesagt, sie seien »sehr problematisch« und schädigten den Verein, außerdem litten viele Fans »unter den paar Schwachmaten«.
Der Streit hält an. Der NPD-Mann Wagner, die KBU und einzelne Fans in Internet-Foren werfen den ACU vor, mit dem Engagement gegen rechts linke Politik ins Stadion getragen zu haben. Die KBU teilen gar mit, dass man sich von den ACU getrennt habe, weil sie 2010 in »ein antidemokratisches und linksextremes Spektrum abzurutschen« drohten. Die Leiterin des von der Arbeiterwohlfahrt betriebenen Fanprojektes, Kristina Walther, die anfangs hinsichtlich der KBU eher eine akzeptierende Sozialarbeit präferierte, ist nun zum Feindbild geworden. Wagner diffamiert sie als »Sozialtante«, die KBU attestieren ihr eine »defizitäre Leistung«. Beim Auswärtsspiel gegen Eintracht Braunschweig am 18. Dezember traten Fans aus diesem Umfeld bedrohlich und beleidigend gegenüber Walther auf.
Andere Fans bemängeln jedoch, dass seit den achtziger Jahren in Aachen immer wieder Nazis im Stadion und in der Fanszene Jugendliche rekrutieren konnten. Die ACU und befreundete Ultra-Gruppen aus Deutschland fordern deswegen endlich ein engagiertes Vorgehen gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Alemannias Geschäftsführer Frithjof Kraemer positionierte sich deutlich »gegen Gewalt, gegen Rechtsextremismus und gegen Rassismus«. Der Verein kündigte gegenüber Gewalttätern bundesweite, befristete Stadionverbote und dauerhafte Hausverbote auf dem Tivoli an.
Bei der Mitgliederversammlung am 19. Dezember herrschte ein etwas anderer Tonfall. Alemannia-Präsident Alfred Nachtsheim rief alle Mitglieder dazu auf, »beim Thema Extremismus im Stadion künftig Augen und Ohren offen zu halten«, der Club werde weder Links- noch Rechtsextremismus dulden.