Teil 5 einer Serie über Rechtextremismus in der Eurokrise: Ungarn

Braune Welle an der Donau

Die ungarische Rechtsregierung praktiziert eine autoritäre Krisenbewältigung und sieht sich im »wirtschaftlichen Freiheitskampf«. Teil 5 einer Serie über rechten Populismus und Extremismus in der Euro-Krise.

Die Krise ruft die extreme Rechte in Europa auf den Plan. Mit nationalistischen Lösungsvorschlägen will sie sich profilieren, meist aus der Position einer oppositionellen Minderheit heraus. Anders liegen die Dinge in Ungarn, wo seit 2010 Ministerpräsident Viktor Orbán regiert, der sich auf eine Zweidrittelmehrheit der nationalkonserva­tiven Partei Fidesz stützen kann und von dieser Machtfülle ausgiebig Gebrauch macht: Nur wenige Länder der Welt werden derzeit so grundlegend umgebaut (siehe auch Seite 14). Gemessen an der Tragweite der Reformen – die Regierung spricht von einer »nationalen Revolution« –, blieb die internationale Kritik lange verhalten. Der Abbau demokratischer Freiheiten und Strukturen oder das Vorgehen gegen politisch Missliebige und soziale Randgruppen hatten der Regierung allenfalls einen Rüffel eingebracht. Spätestens seit Beginn des neuen Jahres aber wird sie international heftig kritisiert. Mit seiner Wirtschaftspolitik hat das Orbán-Regime die EU dann doch gegen sich aufgebracht.

In dieser Wirtschaftspolitik spiegelt sich eine völkisch-autoritäre Programmatik wider, die nicht nur dem Fidesz eigen ist, sondern auch der faschistischen Partei Jobbik. Diese befindet sich zwar in der Opposition, faktisch bildet sie mit dem Fidesz einen völkischen Block, in dessen Hand sich derzeit 80 Prozent des Parlaments befinden. Dessen Ideologie, die sowohl antikommunistisch als auch antiliberal ist, nahm in der Auseinandersetzung mit den sozialistischen Vorgängerregierungen Form an. Den Nachfolgern der kommunistischen Partei wurde vorgeworfen, das »magyarische Volk« gleich doppelt »ausgeraubt« zu haben, zunächst mit Verstaatlichungen, dann mit Priva­tisierungen. In den Augen der völkischen Bewegung war die »Wende« nicht vollzogen, Ungarn atme weiter den »Geist des Kommunismus«. Für die Völkischen sind die Sozialisten mal »rote Kapitalisten«, mal »liberal-bolschewistische Zionisten«. Der Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky zufolge ist der in Ungarn virulente Antisemitismus weniger gegen eine konkrete Bevölkerungsgruppe gerichtet als ein »kultureller Code«, der sich gegen alles wendet, das dem vaterländischen Mythos zuwiderläuft. Auf diese Weise wurden die Sozialisten zu »Landesverrätern«, weil sie sich dem globalen Markt unterworfen hätten: »Der Prozess der Globalisierung wird als ›planvoll gesteuerte Vernichtung‹ der magyarischen Kultur … durch die Juden gesehen … Es wird unterstellt, die (sozialistische) Regierung sei in diesen jüdischen Globalisierungsplan verwickelt« gewesen, sagt Marsovszky.
Ausdruck des völkischen Antikommunismus ist der »Wirtschaftspatriotismus«. Er negiert den Klassenkonflikt und verlangt von den Arbeitern Opfer für die nationale Wirtschaft. Hierfür hantiert die Regierung mit neuen Arbeitsgesetzen. Für Aufsehen sorgte im Frühjahr 2011 die Einführung eines Arbeitsdienstes, zu dem Arbeitslose verpflichtet werden können und der auch die Unterbringung an weit entfernten Einsatzorten beinhalten kann. Kritiker sprechen in diesem Zusammenhang von »Arbeitslagern«. Auch private Firmen sollen auf die Arbeitskräfte Zugriff haben. Zudem bemüht sich die Regierung um eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Dafür lockerte sie den Kündigungsschutz, hob bestimmte Tarifstandards auf und begrenzte die Gewerkschafts- und Streikrechte drastisch. Im Juli sollen weitere Arbeitsgesetze folgen, auf deren Grundlage Arbeitnehmer für deutlich mehr Überstunden heran­gezogen werden können. Zudem sollen diese nur sehr begrenzt frei über ihren Jahresurlaub verfügen können.

Analog zur Ablehnung des westlichen Liberalismus legt die Regierung Wert auf eine Prise »Antikapitalismus«, wobei sie die »Auswüchse« des Kapitalismus attackiert: das internationale Finanzkapital, Spekulanten, vaterlandslose Unternehmer, »Wucherzinsen«. Das nationale Kapital gilt dagegen als »gut«. Allerdings soll auch dieses sich der nationalen Verantwortung nicht entziehen können. So greift die Regierung stärker als gewohnt in den Markt ein, auch mit speziellen Steuern, etwa einer Krisensondersteuer oder der Volksgesundheitsproduktsteuer. Auch eine Steuer für Luxusgüter ist im Gespräch. Zugleich behält sich die Regierung Rückverstaatlichungen vor. Dass sie in solchen Dingen konsequent sein kann, hat die Regierung Orbáns bereits bewiesen, als sie die Privatrentenkassen quasi verstaatlichte.
Mit dem Sechs-Punkte-Plan »zum Schutz des Landes« bereitet sich die Regierung gar auf einen »Kampf um die Souveränität« vor. Für internationale Aufmerksamkeit sorgte insbesondere ein Gesetz zu Fremdwährungskrediten, das im Zusammenhang mit Orbáns »Kampf gegen die Banken« steht. Ende September beschloss die Regierung eine Regelung zur Schlusstilgung von Devisenkrediten, wonach ungarische Bürger diese zu einem festen, günstigen Wechselkurs zurückzahlen können. Die Verluste haben die Banken teils selbst zu tragen. Allein die österreichische Raiffeisenbank schrieb deshalb bereits 15 Prozent ihrer Devisenkredite ab. Das österreichische Finanzministerium verurteilte dies als »inkorrekte Einmischung der ungarischen Regierung in Privatverträge«, auch die EU-Kommission rügte Ungarn für diesen Schritt. Damit verbunden ist auch die Schaffung einer »Nationalen Vermögensbewirtschaftungs­gesellschaft«. Sie soll dafür sorgen, dass säumige Devisenkreditbesitzer ihre Unterkunft nicht verlieren. Der Gesellschaft obliegt es, die Immobilien betroffener Bürger zu erwerben und diesen das Bleiben zu ermöglichen. Die Regierung plant zudem, Gläubigerbanken 5 000 zwangs­geräumte Wohnungen abzukaufen. Hierbei handelt es sich gewiss um populäre Maßnahmen. In erster Linie zielen sie jedoch darauf ab, den Einfluss ausländischer Banken zu mindern.

War die Fidesz-Regierung den Sommer über noch von Rating-Agenturen gelobt worden, änderte sich dies im Streit um die Devisenkredite. Seitdem haben alle drei großen Rating-Agenturen Ungarn auf Ramschniveau abgestuft. Dabei spielte auch eine Rolle, dass die Regierung das angepeilte Defizitziel zu verfehlen droht. In der Folge stiegen die Zinssätze für Staatsanleihen deutlich. Die Regierung sprach hierbei von »Finanz- und Spekulationsangriffen« auf das Land. Dennoch kam sie nicht umhin, Ende November IWF und EU bezüglich der Möglichkeit von Hilfszahlungen zu konsultieren – ein Schritt, den die Regierung bisher vehement ablehnte. Die Konsultationen verliefen angespannt und fanden inzwischen ein jähes Ende. Denn zum Jahreswechsel verabschiedete die Regierung ein Gesetz, mit dem sie offenbar die Kontrolle über die ungarische Zentralbank erlangen will. IWF und EU verlangen nun eine Revision des Gesetzes. Die Regierung ist dazu bereit, über das Gesetz zu reden. Viele Kommentatoren gehen nun davon aus, dass sie klein beigibt, um eine Staatspleite abzuwenden. Die »unkonventionelle« Wirtschaftspolitik gilt ihnen als gescheitert.
Allerdings ist auch denkbar, dass die Fidesz-Regierung nur auf Zeit spielt. Regierungssprechern zufolge will man sich nicht daran hindern lassen, ein »neues Zeitalter« einzuleiten. Auch Orbán selbst betont, man habe Pläne, um »auf eigenen Füßen zu stehen«. Nach wie vor ist die Regierung sicher, dass die Reformen Zeit benötigen, um zu wirken. Noch im Dezember bestärkte diese Ansicht auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bei einer Konferenz in Budapest: Würden die Erfolge jener »aufsehenerregenden Reformen« bekannt, verstumme auch die Kritik an Ungarns Wirtschaftspolitik, soll er Orbán ermutigt haben.
Beistand kommt auch von anderer Seite. So hält der Iran das Land für »ideal für iranische Investitionen« und soll derzeit bemüht sein, Kooperationsabkommen mit Ungarn zu schließen. Tatsächlich hat der iranische Botschafter im vergangenen Jahr bereits zahlreiche Gespräche auf lokaler Ebene geführt. Ob das Teil von Orbáns Plan B ist? Würde die Regierung von ihrer Wirtschaftspolitik abkehren, käme das aus ihrer Sicht einer Kapitulation im »wirtschaftlichen Freiheitskampf« gleich. Unter Inkaufnahme einer Staatspleite hingegen könnte man den verhassten internationalen Institutionen die Stirn bieten und anhand der Folgewirkungen auf die EU-Länder eindrücklich die Fatalität des internationalen Finanzsystems belegen.