Eine Ausstellung des Pop-Artisten Douglas Gordon in Frankfurt

Gordon, Elvis und ich

Der schottische Pop-Artist Douglas Gordon im Frankfurter Museum für Moderne Kunst.

Mit seinem Film über Zinédine Zidane hat Douglas Gordon 2006 auch Fußball- und Indierock-Fans erreicht. Bei einem Spiel von Real Madrid filmten 17 Kameras 90 Minuten lang ausschließlich Zidane, nicht den Spielverlauf. Die Filmmusik kommt von der schottischen Band Mogwai, die wie Gordon aus Glasgow stammt. Als Betrachter versucht man unwillkürlich, einen fußballerischen Sinn herzustellen, sich gewissermaßen einen sportlichen Reim auf die Bilder des aus dem Zusammenhang gerissenen Spielers zu machen. Keine Chance, Zidanes sportliche Leistung kann man nicht beurteilen, man sieht nicht, ob ein Pass ankommt, ob ein Schuss das Tor trifft oder ein Dribbling gelingt. »Ja, ich erkenne mich, aber es fühlt sich nicht an wie ich«, hat der Fußballer das Video kommentiert. »Es fühlt sich an, als würde ich meinen Bruder spät nachts mit meiner Mutter reden sehen.« Zidane sagt damit viel über die rätselhafte Verführungskunst des Douglas Gordon aus.
Seine Unterarme sind tätowiert. »Always« steht auf dem rechten, »forever« in anderer Schrift auf dem linken. Auf dem Foto stehen die beiden Tattoos einander spiegelbildlich gegenüber. Das Foto ist eines von ein paar hundert Exponaten, die der Künstler dicht gedrängt an die Wände gehängt hat. »Straight to hell« heißt der Ausstellungsraum, ja, wie ein Clash-Song, gesamplet von M.I.A. für »Paper Planes«. Gordon ist Pop-Artist. Die Suchmaschine spuckt bei »Straight to hell« etwas anderes aus: »Das Lied von ›Der Schuh des Manitu‹, wenn Santa Maria aus der Bar kommt.« Dröger Hardrock. Die Koinzidenz, der Zufall, die schiefe Spiegelung, das dürfte Gordon gefallen, auch wenn in seinem »Straight to hell«-Zimmer ein paar andere Kaliber hängen als Bully Herbig: Rainer Werner Fassbinder, Rudi Dutschke, Nico, Ulrike Meinhof. Neben Morrissey, Mark E. Smith, Churchill mit Hitlerbart, AC/DC, den Bay City Rollers, Gordons Geburtsurkunde, Torsi nackter Frauen, Gordons Arbeitslosengeldbescheinigung. Die Kontingenz des Alltags.
In seiner scheinbaren, zur Zerstreuung einladenden Beliebigkeit ist dieses Patchwork der negative Spiegel der großen Arbeiten des Künstlers, die in dieser Ausstellung präsentiert werden. Diese überwältigen, zwingen zur Konzentration und künden von Gordons Ruf als bedeutendstem Videokünstler der Gegenwart. Zur Begrüßung wird man konfrontiert mit »Henry Rebel«. Architektonisch ist der erste Raum des Frankfurter Museums für Moderne Kunst ein lichtes Atrium, eine offene Entrée-Zone. Für Gordon hat man die weißen Wände schwarz übermalt, zwei riesige Leinwände hängen bzw. stehen im Black Cube übereinander. Dunkel ist es. Man sollte die Ausstellung unbedingt abends besuchen, dann spielen auch die Lichter der Großstadt im spukigen Spiegelkabinett mit, das man Gordon hier gebaut hat. »Henry Rebel« ist ein hagerer Jüngling mit rotblondem Haar, eine gequälte, sich selbst quälende Kreatur, die sich ihrer Kleider ent­ledigt, als seien es Fesseln, ohne dass diese Befreiung das namenlose Leid lindern würde. Mit rotem Edding kratzt er über seine nackte Haut. Ritzt er sich? Immer wieder gellen Henrys Schmerzensschreie durchs ganze, offene Haus, was gleichermaßen gespenstisch wie komisch wirkt, wenn man gerade nebenan im »Straight To Hell«-Zimmer steht und sich fragt, warum der junge Haile Selassie direkt über ­einen tiefgebräunt-wasserstoffblonden Rod Stewart gehängt wurde. »Henry Rebel« spielt – angeblich, sollen wir das glauben? – zwei Szenen aus dem Originaldrehbuch von »Rebel without a cause« nach, die es nicht in den fertigen Film geschafft haben. Gordons Rebel wird von Henry Hopper gespielt, dessen Vater Dennis in Nicholas Rays Klassiker neben James Dean auftritt.
Auf Dean wiederum stößt man in einem ­benachbarten Raum. Gordon hat Fotoporträts des Filmstars auf Spiegel montiert, Teile der Porträts sind weggebrannt wie Zigarettenpapier von der Glut. Der Betrachter sieht sich selbst, neben James Dean. Das Spiegelkabinett ist Teil einer Serie: »Self-Portrait of You + Me + … «. Das Prinzip ist immer gleich: Gordon, Elvis und ich im Spiegel; Gordon, Marilyn und ich im Spiegel, Gordon, Jackie O. und ich im Spiegel. Wie Woody Allens Zelig-Figur drängt sich der Betrachter in eine historische Situation – indem er betrachtet, was im Spiegel zu sehen ist. In dieser Reihe verwendet Gordon ausschließlich Bilder sehr prominenter öffentlicher Personen und zwar ausschließlich in den äußerst bekannten Versionen, die Andy Warhol von diesen Prominenten in Umlauf ­gebracht hat. Warhols Elvis, seine Marilyn und seine Jackie sind uns so vertraut, dass wir sie sofort wiedererkennen, auch wenn von Elvis nur noch ein Stück Gürtel übrigbleibt. Gor­don bearbeitet, verfremdet und fragmentiert Warhols Porträts – und Warhols Selbstporträts. So spiegelt sich der Künstler in Warhols Bild und schreibt sich in dessen Geschichte ein, die auf dem Höhepunkt ist, als Gordon zur Welt kommt, 1966. Da liegt es nahe, dass der Kurator Klaus Görner Lacans berühmten Aufsatz vom »Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion« zitiert und einen Schluss zieht, der die Welthaltigkeit und Zeitgenossenschaft von Gordons Arbeit auf den Punkt bringt: »Das ›Ich‹, mit dem wir die Identität unseres Selbst bezeichnen, entsteht immer wieder aus der Identifikation mit einem anderen Bild.« Und die zeitlichen Abstände, so könnte man hinzufügen, zwischen denen wir Bilder benötigen, um unsere Identität zu bezeichnen, werden immer kürzer. Die Kinks haben das schon geahnt, als Gordon noch in den Windeln lag: »People taking pictures of each other just to prove that they really exist«, singt Ray Davies im Swing­ing London. 30 Jahre später deutschen die Goldenen Zitronen das ein: »Menschen machen Fotos gegenseitig, um zu beweisen, das sie wirklich existieren.« Der Song vom »Totschlag«-Album sagt über die Lebenswelt von 1994 nicht weniger aus als die Polithits: »Das bißchen Totschlag«, »6 gegen 60 Millionen«, »Die Bürger von Rostock, Mannheim etc.« Und er weist wie diese in eine Zukunft, von der man 1994, wenn überhaupt, nur einen sehr blassen Schim­mer hat: NSU? Heute schon dein Profilbild geändert?
Von wegen Profilbild: Im Erdgeschoss des Museums hängen die »4 Jackies« à la Warhol von Gordon, im zweiten Stock grüßen »35 Jackies« vom Meister selbst. Mit solchen Querverweisen, Spiegelkonstruktionen und ver­wegen gebauten Blickachsen gelingt es den Kuratoren, Gordons mäanderndes wie raumgreifendes Werk in die labyrinthische Architektur des Hauses zu integrieren. Entdeckungsparcours in nächtlichem Irrgarten. Aber Vorsicht mit den Spiegeln! In einen wäre ich fast rein­gelaufen.

Douglas Gordon, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt, bis 25. März