Keine Ratschläge

Was Prekäre brauchen, ist klar: Geld, und zwar nicht zu knapp. Bei Depressiven ist hingegen leichter zu beantworten, was sie nicht brauchen: schlaue Ratschläge. Gerade Linke haben davon einige parat. Das blitzgescheite Unsichtbare Komitee kommt zum Beispiel in seinem Büchlein »Der kommende Aufstand« zu dem Schluss, die Depression diene dem »Erhalt der existierenden Ordnung« und fördere die »folgsame Anpassung an dumme Normen«. Und so hält das Grüppchen den Depressiven das neunmalkluge Ätschbätsch entgegen: »Wir sind nicht deprimiert, wir streiken.« Die entsprechende Empfehlung an invalide Bauarbeiter müsste wohl lauten: »Wir haben keinen Bandscheibenvorfall. Wir planen die Weltrevolution.« Ein zutreffender Slogan für Depressive wäre jedenfalls: »Wir sind zu deprimiert, um zu streiken.« Wer katatonisch im Bett liegt, eine autoaggressive Phase durchlebt oder Suizidgedanken wälzt, kann schlecht streiken, weil er selbst vom Leben bestreikt wird. Dennoch wäre möglich: »Wir sind deprimiert und streiken.« Das nötige negative Denken liegt Depressiven nicht allzu fern, und sie können es auch in die Tat umsetzen – solange sie über die nötige Dosis Antidepressiva verfügen. Der Slogan »Wir sind deprimiert und arbeiten trotzdem« dürfte jedoch am ehesten der Wirklichkeit entsprechen. Ein desaströser Kontostand sorgt nicht für bessere Laune und die Zuzahlungen für Serotonin- oder Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer sind auch nicht ohne. Aber im Gegensatz zu schlauen Ratschlägen wirken die Medikamente wenigstens.