Schlechter Geschmack ist nicht unbedingt rassistisch

Da muss die Maske ran

Schauspieler dürfen in jede Rolle schlüpfen und Hautfarbe kann man eben nicht »spielen«. Rassistische Klischees hätte das Stück auch mit einem schwarzen Schauspieler bedient.

Seit die ersten Werbeplakate für das Stück »Ich bin nicht Rappaport« auftgetaucht sind, ist eine Rassismusdebatte entflammt, die noch immer andauert. Die Plakate des Berliner Schlosspark-Theaters zeigen Dieter Hallervorden, der Grimassen schneidet, und einen lachenden und offensichtlich schwarz geschminkten weißen Schauspieler vor einer kitschigen Kulisse. Die Besetzung des Schwarzen Midge durch einen weißen Schauspieler sorgte für einen Eklat.
Es ist konstitutiv für jede Form von Theater, dass Personen sich verkleiden und so tun, als seien sie jemand anderes. Da spielen behütete Sprösslinge der Mittelschicht Arbeiter, Arbeitslose und Obdachlose, dünne Leute stopfen sich aus und spielen Dicke, Junge spielen Alte, Nichtjuden spielen Juden, Heteros spielen Homosexu­elle und Transgender, und umgekehrt. Obwohl viele dieser Personengruppen in der realen Welt oft diskriminiert werden, spricht kaum jemand den jeweiligen Darstellenden kategorisch die Möglichkeit ab, solche Figuren mitsamt ihren Konflikten, Problemen und Abgründen darzustellen. Im Gegenteil: Die US-Schauspielerin Hillary Swank wurde 1999 für ihre Darstellung des transsexuellen Brandon Teena in dem Film »Boys Don’t Cry« ebenso gefeiert wie Felicity Huffman, die in »Transamerica« (2005) die Transsexuelle Bree spielte.

Sofern man sich also nicht zu der Behauptung versteigen möchte, Schauspieler dürften nur Rollen annehmen, für die sie biographisch qualifiziert seien – und das wäre ein verheerendes Dogma für die darstellenden Künste –, muss diese Möglichkeit auch für die Darstellung von schwarzen Personen gelten. Wie aber kann ein weißer Schauspieler einen Schwarzen darstellen? Er muss die individuellen Eigenschaften seiner Figur herausarbeiten wie bei jeder anderen Rolle auch. Das Einzige aber, das eine schwarze Figur zu einer solchen macht – die Hautfarbe –, kann er nicht spielen. Da muss die Maske ran.
Nach diesem Prinzip ist die Inszenierung von »Rappaport« vorgegangen. Joachim Bliese spielt den Midge als den armen und gebrechlichen alten Mann, der er sein soll. Dass sich in dem Verhältnis zwischen Midge und seinem ebenfalls gebrechlichen weißen Gegenüber, Nat, rassistische Klischees erkennen lassen, hat mit dieser Inszenierung zunächst nichts zu tun; denn das wäre nicht anders, wenn die Rolle von einem Schwarzen gespielt würde.
Zu der Frage, warum die Rolle des Midge denn nicht mit einem schwarzen Schauspieler besetzt wurde, schrieb der Intendant Dieter Hallervorden auf der Facebook-Seite des Theaters, es habe kein geeigneter schwarzer Schauspieler zur Verfügung gestanden. Eine frühere Stellungnahme des Theaters verweist darauf, dass das Stückerepertoire insgesamt zu wenige Rollen für ein Festengagement eines schwarzen Schauspielers biete. Ob überhaupt nach einem schwarzen Schauspieler für die Rolle gesucht wurde oder nicht, sei dahingestellt, die Begründung jedoch zeugt tatsächlich von einem rassistischen Denken, in dem alle nicht explizit nichtweißen Figuren automatisch als Weiße gedacht werden.

Dennoch besteht der Unterschied zwischen der »Rappaport«-Inszenierung und den rassistischen Minstrel-Shows weiterhin darin, dass letztere dazu dienten, weiße Amerikaner mit der Reproduktion rassistischer Stereotype zu unterhalten und die Ideologie von der white supremacy zu bestätigen. Diesen Vorwurf kann man weder dem Stück von Herb Gardner (1934–2003) noch der Inszenierung im Schlosspark-Theater machen. Zu einem »Minstrel« wird ein Stück nicht wegen des Assoziationspotentials seines – zugegebenermaßen völlig misslungenen – Theaterplakats oder der Besetzung, sondern durch seine Inhalte. Und so singt und tanzt der Schwarze Midge in dem Stück zwar gelegentlich, wie es auch die falschen Schwarzen in den Minstrel-Shows taten; er ist eine tragikomische Figur, aber er ist nicht tragischer und nicht komischer als sein weißes Gegenüber Nat, das ebenfalls singt und tanzt, soweit eine mehrfach gebrochene Hüfte das eben zulässt. Am Ende bleiben beide Figuren närrische Verlierer, die sich, so gut es geht, mit ihrer Situation arrangieren, und das liegt nicht an ­ihrer Hautfarbe, sondern daran, dass sie alt sind.