Fußball und Drogengeschäfte in Kolumbien

Elferfluch und Straßenschlacht

Seit ihm keine Drogengelder mehr zur Verfügung stehen, ist der Fußballverein América de Cali in einer schwierigen Lage. Nun ist der dreizehnfache kolumbianische Meister aus der höchsten Liga abgestiegen.

Was will man gegen einen Fluch ausrichten? Da besiegt man scheinbar erst den einen und dann wird man umgehend einfach mit einem neuen belegt. Spätestens, als im Rückspiel der Abstiegsrelegation gegen Patriotas de Tunja das Elfmeterschießen begann, schwante den Fans des kolumbianischen Traditionsvereins América de Cali Schlimmes. Der Verein hatte schließlich in seiner Geschichte beinahe jedes wichtige Elfmeterschießen verloren.
Und es ging gleich wieder denkbar ungünstig los: Américas Jaime Córdoba schoss daneben. Doch diesmal schien es wenigstens für kurze Zeit so, als würde alles gut enden. Patriotas’ vierter Schütze, Heber Rentería, vergab seinen Elfer, das Duell war wieder ausgeglichen. Aber Jairo »Tigre« Castillo setzte seinen Schuss gegen den linken Pfosten, und so avancierte Patriotas’ Torhüter Carlos Chávez zum Helden. Er verwandelte den letzten Elfmeter selbst. Damit war der dreizehnfache kolumbianische Meister América de Cali aus der Ersten Liga abgestiegen, zum ersten Mal in seiner 84jährigen Geschichte und als erster »Großer« des kolumbianischen Fußballs überhaupt.
Chávez verzichtete auf Jubel. Er lernte das Fußballspielen bei América und gab dort auch sein Debüt als Profi. Auch dem Trainer von Patriotas, Miguel Angel Príncipe, war nicht wirklich nach Feiern zumute. »Ich bin glücklich für meine Mannschaft, aber es tut mir weh zu sehen, was mit América passiert, ich habe selbst 1989 für den Verein gespielt«, erinnerte er sich. »Aber das América von heute ist nicht mehr der Club jener Epoche. Und ist in diese Situation geraten, weil die sportliche Seite in den letzten Jahren nicht sehr gut funktioniert hat.«
Wie schon beim Abstieg von River Plate im vergangenen Jahr in Argentinien stürmten aufgebrachte Fans nach dem Ende der Partie auch in Cali das Spielfeld. Die Polizei konnte die wütenden Anhänger nur mit Mühe davon abhalten, in den Umkleidetrakt vorzudringen. Später lieferten sich Fans und Polizei außerhalb des Stadions Pascual Guerrero Straßenschlachten. Eine Haltestelle – Estadio del Mío – wurde zerstört, mehrere Autos wurden in Brand gesetzt und zahlreiche Geschäfte beschädigt. Es gab 16 Verletzte, darunter sieben Polizisten, und Dutzende Festnahmen.
Die sportliche Misere hat ihren Grund in Fehlern des Clubmanagements und der desaströsen finanziellen Situation. Wegen ausstehender Gehaltszahlungen hatten in den vergangenen Jahren viele ausländische Stars den Verein verlassen. Zudem taucht América auf der sogenannten Clinton-Liste auf, einer Art schwarzen Liste der US-Drogenfahndung zur Bekämpfung von Geldwäsche, die Personen und Unternehmen führt, die mit Drogengeldern zu tun haben sollen und mit denen jegliche Geschäfte untersagt sind. Was juristisch nur für die USA gilt, hat praktisch jedoch weltweite Wirkung. Wie die meisten Proficlubs in Kolumbien lebte auch América de Cali in der Vergangenheit überwiegend vom Geld aus dem Drogenhandel. Im Jahr 2003 beschloss das US-Finanzministerium, das in den USA befindliche Vermögen des Vereins wegen dessen Abhängigkeit vom Cali-Kartell zu beschlagnahmen. In der Vergangenheit war der Club von den Brüdern Gilberto und Miguel Rodríguez Orejuela kontrolliert worden, die mittlerweile wegen Drogenhandels lange Haftstrafen in den USA absitzen. Sie hatten in den achtziger und neunziger Jahren Millionen in den Club gesteckt, um Geld zu waschen. Damals lieferten sich das Cali- und das Medellín-Kartell um den 1993 erschossenen Pablo Escobar neben dem blutigen Kampf um Marktanteile im Kokaingeschäft auch eine prestigeträchtige Auseinandersetzung auf dem grünen Rasen. Während Escobar den Verein Atlético Nacional de Medellín förderte, sorgten die Rodrí­guez-Brüder für volle Kassen bei América de Cali.
Doch der Geldfluss versiegte und der Club stand plötzlich vor dem finanziellen Ruin. Wegen der US-amerikanischen Sanktionen besaß er noch nicht einmal ein eigenes Bankkonto, Spie­lergehälter wurden aus den Zuschauereinnahmen bar bezahlt, Spielerkäufe über Fifa-Konten abgewickelt. Ende 2008 leitete der damalige Bürgermeister von Cali die »Demokratisierung« des Vereins ein. Die Abhängigkeit von Drogenkartellen sollte beendet, América in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden. So sollten neue Geldgeber gefunden werden. »Demokratisierung« bedeutete nach diesem Verständnis, dass Fans Anteile des Clubs erwerben konnten. Ob sie damit aber auch größeren Einfluss auf die Vereinspolitik bekommen, ist fraglich. Sie wird wohl weiterhin von denen bestimmt werden, die größere Summen in den Verein investieren.
Mancher Anhänger sieht ohnehin weniger die Ökonomie als vielmehr die Fußballgötter am Werk. Schon kurz nach seiner Entstehung wurde América de Cali nämlich mit einem Fluch belegt: Benjamin Urrea, besser bekannt als »Garabato«, einer der Gründer und Spieler des Clubs zu dessen Amateurzeiten, war mit der Teilnahme des Vereins an professionellen Wettbewerben nicht einverstanden. Als er erfuhr, dass der damalige Präsident die Mannschaft für die Profimeisterschaft angemeldet hatte, prophezeite er, América werde niemals einen Titel gewinnen. Einer anderen Version der Geschichte zufolge verwünschte er wegen nicht erfolgter Geldzahlungen die Clubführung, aber nicht den gesamten Verein. Jedenfalls gewann América in den folgenden Jahren keinen Blumentopf mehr. 1979 schließlich hielten Garabato und die Direktion des Clubs eine Messe im Stadion Pascual Guerrero ab, in der der Fluch für beendet erklärt wurde. Und tatsächlich errang América im selben Jahr seinen ersten Landesmeistertitel nach 31 Jahren. Zwölf weitere Meisterschaften und ein internationaler Pokal folgten. In den Achtzigern waren die »Roten Teufel« aus Cali eine der besten Mannschaften des Kontinents, gewannen mit Spielern wie Ricardo Gareca, Julio César Falcioni, Roberto Cabañas, Julio César Uribe, César Cueto und Jorge »Polilla« Da Silva zwischen 1982 und 1986 fünfmal hintereinander die kolumbianische Meisterschaft und zogen ab 1985 dreimal nacheinander ins Endspiel der Copa Libertadores ein, der südamerikanischen Champions League.
Doch nachdem Garabatos Fluch besiegt war, tauchte der Elferfluch auf. Die Geschichte Américas ist voller dramatisch verlorener Elfmeterduelle in wichtigen Spielen. Das erste Mal 1985, als Enrique de Ávila, Idol und Rekordtorschütze des Vereins, im entscheidenden Moment versagte und Argentinos Juniors den Roten Teufeln den Libertadores-Titel wegschnappte. Im Halbfinale desselben Wettbewerbs unterlag América 1992 Newell’s Old Boys mit 10:11 im Elfmeterschießen. Drei Jahre später verbaute die Niederlage im Elfmeterschießen gegen Atlético Mineiro den Einzug ins Finale der Copa Conmebol. Und 1999 verlor América die kolumbianische Meisterschaft im Elfmeterschießen gegen Atlético Nacional. Immerhin wurde der einzige internationale Titel, die Copa Merconorte 1999, im Elferduell gegen Santa Fe errungen. Aber das war die Ausnahme. Im Viertelfinale der Copa Liberta­dores 2001 verspielte América zunächst eine 3:0-Führung gegen Rosario Central und schied dann im Elfmeterschießen aus. 2008 fiel die Entscheidung um die kolumbianische Meisterschaft erneut im Elfmeterschießen. América verlor gegen Boyacá Chicó, einen Verein aus Tunja, der damals gerade einmal vier Jahre lang in der Ersten Liga gespielt hatte. Ende Dezember fand dieser Fluch im Abstiegsduell gegen einen weiteren Club aus Tunja seine Fortsetzung: Patriotas.