Die syrische Musiklegende Omar Souleyman

Hochzeit für alle

Begonnen hat er als Hochzeitssänger in Syrien. Heute ist Omar Souleyman mit seiner Dabke-Musik ein Star der Weltmusik und hat eine wachsende Fangemeinde.

Einige sagen, Syrien stehe am Rande eines Bürgerkrieges. Andere meinen, das Land stecke schon mitten drin. Doch all das scheint weit weg zu sein im Backstageraum des Berliner Kesselhauses. Omar Souleyman sitzt entspannt in seinem Sessel, raucht eine Zigarette und trinkt Wasser aus dem Tetrapak. Vor wenigen Minuten noch hat er auf der Bühne gestanden. Kein einziges Wort hat er gesprochen dort oben. Keine Begrüßung, keine Ansagen. Nur ganz am Ende seines Auftritts war ein kleines shukr (»danke«) über seine Lippen gekommen. Überhaupt wirkt er eher wortkarg. Auf Fragen antwortet er meist mit wenig mehr als einem einzigen Satz. Zu politischen Themen äußert er sich gar nicht. Kritische Kommentare werden vom Assad-Regime auch nicht gerne gehört. Nichts zu sagen, wie Omar Souleyman es tut, ist bereits ein gewagtes Unterfangen. Die Regierung erwartet stets warme Worte von ihren Untergebenen, vor allem jetzt und vor allem von jenen Syrern, die das Land im Ausland repräsentieren.
Doch Souleyman scheint gänzlich ungeeignet für die Rolle eines Botschafters der syrischen Kultur zu sein. Er gehört ja nicht einmal wirklich zu ihr. Die syrische Kultur, das ist die Kultur der Hauptstadt Damaskus, die über Jahrhunderte das kulturelle Zentrum der arabischen Welt war. Vielleicht zählt auch noch die Kultur von Aleppo dazu, der größten Stadt des Landes. Doch Souleyman stammt aus dem kleinen Nest Rasal-Ayn in der Provinz al-Hasaka im Nordosten. Die türkische Grenze ist nur einen Steinwurf entfernt, und auch der Irak liegt deutlich näher als das ferne Damaskus. Die Region ist außergewöhnlich vielfältig. Türken und Kurden leben dort ebenso wie christliche Aramäer. Es ist diese Vielfalt, die sich auch in Souleymans Musik widerspiegelt. Mit spielerischer Leichtigkeit verbindet er syrische Rhythmen mit irakischen, türkischen und libanesischen. Dazu singt er auf Arabisch genauso wie auf Kurdisch. Das wird verständlich, wenn man einen Blick auf die Biographie des Musikers wirft. Nicht immer war er der international gefeierte Star, der er heute ist. Angefangen hat er als Hochzeitssänger, in diesem Job musste er die Geschmäcker seiner ständig wechselnden Kundschaft bedienen. Über 500 verschiedene Kassetten mit Liveaufnahmen sollen so über die Jahre von ihm erschienen sein. Auch wenn er selbst Musik als »ein Hobby« bezeichnet, so ist sie doch zumindest über weite Strecken seines Lebens auch sein Broterwerb gewesen. Sie war und ist sein Job. Entsprechend professionell und abgeklärt agiert er auf der Bühne.
Wahrscheinlich wäre er Zeit seines Lebens ein zwar guter, aber weitgehend unbekannter Sänger aus der syrischen Provinz geblieben, den selbst in Damaskus viele nicht kennen, wenn nicht Mark Gergis, irakisch-amerikanischer Musiker und einer der Gründer des Labels Sublime Frequencies, irgendwann um die Jahrtausendwende durch Syrien gereist wäre. Gergis war fasziniert von der lokalen Popkultur und kehrte mit einem Koffer voller Kassetten in die USA zurück. Kurz darauf erschien seine Zusammenstellung der besten Stücke unter dem Titel »I Remember Syria« als eine der ersten Veröffentlichungen in dem noch jungen Label. Einige Songs stammten auch von Souleyman. Das Verständnis von Weltmusik, dem das Label folgte, war damals völlig neu. Statt auf den westlichen Markt zugeschnittenen Ethnopop oder verkitschte Semifolklore bot das Label Musik, wie sie die Leute vor Ort tatsächlich hören. Einige Aufnahmen wurden einfach aus dem Radio mitgeschnitten, andere in akribischer Recherche vor Ort zusammengetragen. Erst relativ spät – das Label existierte bereits seit über fünf Jahren – begannen Gergis und sein Mitstreiter Alan Bishop, komplette Alben einzelner Künstler zu veröffentlichen. Einer der ersten war Omar Souleyman, von dem mittlerweile drei Zusammenstellungen älterer Aufnahmen zu haben sind. Vor kurzem kam noch eine Platte mit Liveaufnahmen von Konzerten in Europa und Nordamerika dazu, die allerdings weniger Wirbel verursachte als Souleymans Kollaboration mit Björk, für die er jüngst in Istanbul drei Stücke überarbeitete.
Das ist ein Erfolg für einen Musiker aus al-Hasaka, der seit weniger als 20 Jahren im Geschäft ist. Es drängt sich die Frage auf, was das Geheimnis ist, das hinter diesem Erfolg steckt. Sicher hat Mark Gergis entscheidenden Anteil an Souleymans Karriere, doch scheint seiner Musik tatsächlich etwas innezuwohnen, das Menschen in Nordostsyrien genauso erreicht wie in Berlin oder New York. Er selbst sieht das Geheimnis darin, dass er und sein Begleitmusiker Rizan Sa’id einfach herausgefunden haben, welche Art Musik die Menschen hören wollen. Die Musik, die sie spielen, wird dabke genannt, was soviel wie »Tanzen« bedeutet. Das Genre ist ähnlich wie Techno oder House ganz auf Tanzbarkeit ausgerichtet. Zwar sind die beiden nicht die ersten, die diese Art Musik spielen, doch haben sie eine eigene musikalische Sprache gefunden. Nicht nur sind ihre Stücke teilweise rasend schnell, auch beherrscht Rizan Sa’id die Technik, mit nur zwei Synthesizern eine ganze Band zu ersetzen. Durch geschicktes Pitchbending gelingt es ihm dabei, der auf westliche Tonskalen ausgelegten Klaviatur die für arabische Musik so typischen Vierteltöne zu entlocken. Durch virtuose Percussionsoli schafft er es, den meist simplen Discobeats eine ungeheure Komplexität zu verleihen. »Was er macht, ist magisch«, sagt Souleyman über seinen Kollegen. Er weiß sehr wohl, dass seine Musik ohne ihn nicht wäre, was sie ist.
Doch Souleyman zahlt einen Preis für seinen Erfolg im Westen. Er hat die Kontrolle darüber, wie er wahrgenommen wird, komplett verloren. Die westlichen Medien und auch viele Fans sehen nur seine Kufiya, seinen Schnauzbart und seine Sonnenbrille, nicht aber das Individuum dahinter. Sie sehen in ihm nur den archetypischen Araber, der er gar nicht ist. Erst kürzlich nannte die Spex ihn einen »tiefgläubigen Muslim«. Souleyman kann es nicht fassen: »Das haben sie wirklich geschrieben? Ich bin zwar Muslim, aber praktiziere nicht. Religion ist nicht wichtig für mich.« Andere nennen ihn den König des syrischen Techno. Er selbst kennt nicht einmal den Begriff und muss ihn sich von seiner Übersetzerin erklären lassen. Noch immer scheint der Blick vieler Menschen im Westen auf den Nahen Osten durch orientalistische Klischees verstellt zu sein. Dabei wäre alles so einfach, wenn es nur nach Souleyman selber ginge: »Ich möchte Musik machen, die den Leuten gefällt. Solange mir das gelingt, mache ich weiter, und wenn sie mich irgendwann nicht mehr mögen, dann höre ich halt auf.«