Wie die Bundeswehr um Nachwuchs wirbt

Krieg und Karriere

Die Bundeswehr wirbt um Nachwuchs und wird dabei von den Meldeämtern unterstützt.

Universitäten, Arbeitsämter und andere Behörden sind längst damit durch, nun erfasst die McKinseyisierung des öffentlichen Dienstes auch die Bundeswehr. Deren einstiger hoheitlicher Zugriff auf die deutsche Jugend ist seit dem Ende der Wehrpflicht vorbei. Das Militär müsse sich »als Arbeitgeber positionieren und attraktiv darstellen, überzeugend im Arbeitsmarkt bewegen«, dozierte Armin Trost, Professor für Human Ressource Management, im Sommer im Handelsblatt. Dass die Aussicht, zu töten oder getötet zu werden, bei der Personalwerbung hinderlich sein könnte, glaubte Trost nicht. Die Bundeswehr müsse einfach »kommunizieren, dass Soldaten gefährdet sind und sterben können«, sagte der Experte für »Employer Branding«. Trosts Empfehlungen scheinen nicht bis in die Kreiswehrersatzämter durchgedrungen zu sein. Fast 500 000 Heranwachsenden schicken die Ämter in diesen Wochen Briefe. »Planen Sie zur Zeit Ihren beruflichen Lebensweg?« wollen die Absender wissen. Dann ist die Rede von der »Vielfalt der Chancen«, »guten Sozialleistungen« und einer »attraktiven Vergütung«. Unterschrieben ist das ganze mit: »Ihr Karriereberater«. Von Verwundung, Töten oder Krieg kein Wort.

Das Bundesverteidigungsministerium macht mit der PR-Offensive Gebrauch von einem Privileg, das sie sich aus der Ära der Wehrpflicht hinübergerettet hat: dem verbrieften Zugang zu den Meldedaten aller Kommunen. 2011, kurz nach der Einberufung der letzten Wehrpflichtigen, hat der Bundestag das sogenannte Wehrpflichtgesetz geändert. Bis dahin mussten die Meldebehörden den Kreiswehrersatzämtern jedes Jahr die Adressen aller 17jährigen Deutschen übermitteln, damit diese zur Musterung bestellt werden konnten. Nun, so die Neufassung des Gesetzes, müssen die Daten »zur Übersendung von Informationsmaterial über Tätigkeiten in den Streitkräften« herausgegeben werden. Erhoben werden Familienname, Vorname, Tag der Geburt, Staatsangehörigkeit und die gegenwärtige Anschrift. Nach einem Jahr müssen die Kreiswehrersatzämter die Daten löschen. »Der personellen Regenerationsfähigkeit der Streitkräfte kommt vor allem wegen eines durch die demographische Entwicklung bedingten verschärften Wettbewerbs mit der Wirtschaft eine besondere Bedeutung zu«, begründete das Bundesverteidigungsministerium den Gesetzentwurf etwas ungelenk. Wer keine Propagandapost erhalten möchte, darf vorab der Zusendung widersprechen. Doch kaum einem 17jährigen dürfte der seit Mitte 2011 auf den Websites der Meldebehörden stehende Hinweis auf dieses Recht aufgefallen sein. Für die Bundeswehr ist die Nachwuchswerbung ein Problem. Verfügte sie bis vor kurzem noch über 250 000 Soldaten – davon über 50 000 Wehrpflichtige – , plant Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) mit künftig 170 000 Zeit- und Berufssoldaten. Ergänzt werden sollen diese von 5 000 bis 15 000 freiwillig Wehrdienstleistenden. Jeder dritte Freiwillige machte bisher von seinem Recht Gebrauch, innerhalb der ersten sechs Monate zu kündigen.
Schon im Frühjahr 2011 hatte die Bundeswehr in einer ersten PR-Offensive ähnliche Briefe geschickt, damals noch auf Grundlage des alten Wehrpflichtgesetzes. Der Erfolg war dürftig: 1 800 Rückmeldungen habe es gegeben, teilte das Bundesverteidigungsministerium mit (Jungle World 21/2011). Um die neue Werbeoffensive zu flankieren, leistete sich die Bundeswehr eine Kampagne mit dem an die Interpunktion von Telefonsexreklame angelehnten Slogan »Wir. Dienen. Deutschland.«

Ganz rund lief der aktuelle Durchlauf nicht: Durch Softwarefehler bekamen etliche Kleinkinder die Werbepost. Allein im schleswig-holsteinischen Eutin wurden 2 300 Kinder vom Kreiswehrersatzamt Kiel angeschrieben. Der Friedensaktivist Gerhard Reth hält die Werbebriefe wegen ihrer Einseitigkeit für rechtswidrig. »Im Gesetz ist die Rede von Informationen – nicht von Propaganda«, sagt Reth. Seine Beschwerde beim Bundesbeauftragten für Datenschutz hatte keinen Erfolg. Manche Kreiswehrersatzämter hat die gesetzlich festgeschriebene Jobwerbung indes vor der Schließung bewahrt. Von den bundesweit 52 Behörden, die früher die Wehrpflicht durchsetzten, sollen 15 bis 20 als »Zentren für Nachwuchsgewinnung« übrigbleiben.