Mein schlechter Geschmack

Berlin Beatet Bestes. Folge 130. Count Basie Orchester: She’s a Win-o (1949).

Der gute Wein. Das gute Buch. Die gute Platte. Wie ich diese Begriffe hasse! Als gäbe es das überhaupt. Der gute Geschmack nervt. Und ist nichts als eine Lüge, eine kollektive Übereinkunft darüber, was in den sich kultiviert wähnenden Schichten gerade geht und was nicht. Er ist nur ein Mittel, um sich von den ungebildeten Schichten abzugrenzen. Von den Dummen, die manipuliert werden, die ihre Kultur im Supermarkt kaufen. Die stumpfe Masse, die Wein aus dem Tetrapack trinkt, Bücher von Bushido liest und CDs von Helene Fischer hört. Der kultivierte Mensch hält sich selbst für zu wertvoll, um vermeintlich Minderwertiges zu erwerben. Die Nahrung soll in mühevoller Handarbeit, handgepflückt und handgedrechselt, aber selbstverständlich sozial verträglich, drei Straßen weiter und nur in kleiner Stückzahl extra für ihn angerichtet werden. Indie-Essen und Indie-Musik sind so zum Erkennungszeichen der Kultivierten geworden. Aber natürlich ist der gute Geschmack auch nur eine Marketingstrategie. Das Produkt ­einer kleinen schwäbischen Firma, das über den Discounter-Vertrieb abgesetzt wird, kann niemals so cool sein wie ein Produkt aus dem Bioladen. Weil Supermärkte einfach mal scheiße sind. Trotzdem kaufe ich regelmäßig im Supermarkt. Weil es irgendwie ehrlicher ist. Die blasierten Visagen der Bioladenkunden kann ich nicht leiden. Da sind mir die Kaputten, die Alkoholiker und die krakeelenden arabischen Teenager, die ich im Supermarkt sehe, schon lieber.
Ganz schlimm wird es mit dem guten Geschmack, wenn es um Musik geht.
Am schlimmsten ist es im Jazz. Der Jazz ist seit Jahrzehnten im Würgegriff des guten Geschmacks und kommt da nicht mehr raus. Das ist vor allem für uns Lindy Hopper schlecht, denn die einzige fetzige und witzige Jazzmusik, die uns zum Tanzen vorgesetzt wird, ist mindestens 50 Jahre alt. Lustig und tanzbar ist der Jazz schon lange nicht mehr. Und das liegt nur am guten Geschmack. Guter Geschmack rockt nicht, er ist ein Zeichen des Alterns, des schleichenden Todes. Als der Jazz noch im Teenageralter war, also in den dreißiger und vierziger Jahren, war er noch lustig, schmutzig und fetzig. Songs über Sex und Drogen waren Standard. Überhaupt schöpften seine Texte noch aus der ganzen Fülle des Lebens.
Der 1949 aufgenommene und von Jimmy Rushing gesungene Rhythm’n’ Blues-Song »She’s a Win-o« des Count Basie Orchesters beweist das eindrucksvoll. Es geht um die seltsame Liebesbeziehung zu einer plattfüßigen Alkoholikerin, die zwar weder klug noch schön ist, die aber dennoch genau weiß, was zu tun ist, wenn es darum geht, »Liebe zu machen«.
»She’s a flat-foot woman with a low IQ/When it comes to makin’ love, she knows just what to do/She’s a win-o – yeah, she’s my mommy-o/Now she ain’t good lookin’ but she knows what’s cookin’/She’s a win-o – she’s my mommy-o.«