Die Fashion Week in Berlin

Schnittmuster der Krise

Immer noch arm, aber nicht mehr sexy: die Fashion Week in Berlin.

Schon komisch, dass alle nach Berlin wollen. Denn Berlin ist, höflich ausgedrückt, eine merkwürdige Stadt. In einem Kiez am Tempelhofer Flugfeld beispielsweise, der angeblich »umzukippen« droht, hat ein sogenanntes Quartiersmanagement die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aufgenommen. Man bietet Hausaufgabenbetreuung und Nachmittagsunterricht an. Nachts fliegen dann ein paar Farb­eier, weil manche befürchten, die Sozialpädagogik im Kiez führe zur Gentrifizierung. Man kann in aller Trostlosigkeit konstatieren: Recht haben sie wohl alle! Die einen wollen, dass ihr Soz­päd-Studium sich zumindest ein wenig materiell und ideell auszahlt, wenn auch nur befristet, die kleinen Racker wollen nicht später mal Hartz-IV-Empfänger werden, und die Nachtaktivisten befürchten, dass hier ein neuer Prenzlberg entsteht.
Zum Kieznachbarn auf dem Flughafengelände wird in dieser Woche wieder einmal die Modemesse Bread & Butter, die im Rahmen der Berliner Modewoche stattfindet. Als Höhepunkt der Modewoche gelten die Schauen der Mercedes-Benz-Fashion-Week auf der Straße des 17. Juni am Brandenburger Tor, die dafür sehr zum Unmut der Berliner tagelang für den Verkehr gesperrt wird.
»Zweimal jährlich wird Berlin zur internationalen Bühne für Fashion und Lifestyle«, heißt es auf der Website der Fashion Week. »Bei der Berlin Fashion Week treffen sich Modeinteressierte, Einkäufer, Fachbesucher und Medienvertreter auf Shows und Awards, informieren sich auf Fachmessen, besuchen Ausstellungen und Offsite-Events.« So wird die Modewoche 2012 beworben, und es hätte einmal so schön werden sollen. Der Spiegel hat die Berlin Fashion Week allerdings schon im vergangenen Jahr für gescheitert erklärt. Auch in diesem Jahr bleiben die großen Modehäuser der Veranstaltung fern und gehen lieber auf die traditionsreichen Fashion Weeks in New York, London und Paris oder suchen die Kundschaft der Zukunft auf den glamourösen Bühnen des neuen Geldes in Shanghai, Mumbai und Dubai.
Das große Geld fließt bisher nicht nach Berlin. Die Fashion Week finanziert sich durch den Hauptsponsor Mercedes-Benz, zum großen Teil aber durch die Stadt Berlin. »Gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung unterstützt die Berlin Partner GmbH seit 2007 die Veranstaltungen der Berlin Fashion Week«, heißt es auf der Seite von Berlin Partner. »Während die Senatsverwaltung einzelne Formate kofinanziert, vermarktet Berlin Partner die Hauptstadt als aufstrebende europäische Modemetropole und als Wirtschaftsstandort.« Der gemeine Betriebswirtschaftler wird sich nun fragen: Warum sponsert eine verschuldete Stadt regelmäßig eine mehrtägige Großveranstaltung, die sich einfach nicht rentiert und die auch keinerlei sekundären Ertrag, wie den Zuzug liquider Unternehmen aus der Textilverarbeitung, einbringt?
Anders als in New York, Paris, Rom, Düsseldorf oder Istanbul existierte in Berlin weder in der Nachkriegszeit noch nach dem Ende der DDR eine nennenswerte Textil- oder Modewirtschaft, weder im Hochpreis- noch im Casual-Segment. Sinn und Zweck der Fashion Week ist wohl einzig, Berlin das Image einer europäischen Modemetropole zu verleihen. Dass diese Strategie aufgeht, scheinen ansteigende Touristenzahlen, steigende Immobilienpreise und die Anziehungskraft Berlins auf junge »Kreative« aus der ganzen Welt zu beweisen.
Das inhaltsleere Gerede von der »Berliner Modeszene« korrespondiert indes mit der nicht vorhandenen »Kreativität« der meisten Akteure. Der Begriff »Pariser Mode« stand seit den Vierzigern für den figurbetonten New Look von Dior, später für die Integration ästhetischer Elemente in die Alltagsmode durch Yves Saint Laurent oder Jean-Paul Gaultier. Mit Mode aus New York und London verbindet man die Revolutionierung ehemals bürgerlicher Kleidungscodes; Rom und Mailand lassen an das Miteinander von dekorativer Opulenz und formaler Stringenz bei Versace und Armani denken. Der »Berliner Mode«, die gerne so verspielt zukünftig daherkäme wie die Klamotten der Jugend in den angesagten Tokioter Stadtteilen, bleibt nicht viel mehr übrig als die Emanzipation von Form- und Farbharmonie und das demokratisch-beliebige Postulat des anything goes. Verhieß die Mode einst den Genuss des stilisierten Moments, das ebenso kurzzeitige Verweilen an des Glückes Strand, den schwelgenden wie schweifenden Entwurf eines anderen, anmaßenden Daseins, so scheinen ihre heutigen Protagonisten die nazarenische Schmucklosigkeit, die kindliche wie kin­dische Verweigerung einer geschlechtlichen Mode als Zier des Körpers und als Trost der Sinne zum erbarmungswürdigen Schnittmuster ihres Daseins zu machen – im Neuköllner Flughafenkiez könnte es kaum trostloser sein.
Um die Vorherrschaft auf dem Berliner Markt konkurrieren ganz unterschiedliche Modemacher: Michael Michalsky, ehemals Chefdesigner bei Adidas, vermarktet sich als hochmoderne Ikone des globalen Trendsettings, zeigt aber in seinen Kollektionen oft nur das, was es so ähnlich längst preiswerter bei H & M gibt. Labels wie Thatchers oder Unrath & Strano zehren vom Ruhm des vergangenen Jahrzehnts, als man sich noch halbwegs an den klaren Linien aus London orientierte. Ein nicht geringer Teil der »Kreativwirtschaft« besteht aus Kleinateliers, in denen T-Shirts bedruckt und Umhängetaschen gefertigt werden, die von befreundeten Modebloggern als das Must-Have der Saison angepriesen werden. Die wenigen, die sich als Modemacher bezeichnen lassen, wie etwa Rita in Palma oder Ponymädchen, scheinen in der Masse leider völlig unterzugehen.
Es ist geradezu zu einem Markenzeichen der »Berliner Mode« geworden, dass sie auf den Anspruch der Mode verzichtet, ihr jeden stilistischen Höhepunkt verweigert und ihr damit die flirrende Sehnsucht austreibt, gegen die Starre der Zustände anzugehen. Das passt zu einer Gesellschaft, die eine protestantische Solidität und imperiale Klimaziele zu ihren Idealen erhoben hat und sich gegen das neue Geld aus Indien und China wehrt: Weniger sexy geht es nicht.