Greg Czernecki im Gespräch über Homophobie in Polen

»Schwule und Lesben als ›moderne Juden‹«

Trotz einiger rechtsstaatlicher Fortschritte ist Homophobie im konservativen Polen immer noch stark verbreitet. Über den politischen und gesellschaftlichen Umgang mit dem Problem sprach Jungle World mit Greg Czernecki. Er arbeitet für die Kampagne gegen Homophobie (KPH) in Warschau, eine nationale Organisation für die Rechte von LGBT (»Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual«). Unter anderem koordiniert Czernecki dort das Projekt »Monitoring der LGBT-Diskriminierung in Polen«, das sich auf Medienauswertung und die Lobbyarbeit für eine Gesetzesreform konzen­triert. Außerdem ist er verantwortlich für die internationale Kooperation und für eine Medienkampagne über und mit Eltern von LGBT.

Wie ist die Situation für LGBT in Polen?
Kompliziert. Es gibt nur ein einziges Gesetz in Polen, das die freie Wahl der sexuellen Orientierung garantiert und schützt: das Arbeitsgesetz. Dessen Implementierung war die Voraussetzung für den EU-Beitritt Polens, also war es von außen verordnet. Der Alltag für geoutete LGBT ist nicht einfach, insbesondere in ländlichen Regionen. Viele trauen sich nicht, mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin in der Öffentlichkeit Hand in Hand zu gehen.
Zugleich ändern sich einige Dinge dann doch sehr schnell: Bei der Parlamentswahl im Oktober sind eine bekennende Transsexuelle, Anna Grodzka, und der erste bekennende schwule Abgeordnete, Robert Biedroń, in das polnische Parlament eingezogen.
Hat die KPH Verbindungen zum Parlament und wird Homophobie dort als gesamtgesellschaftliches Problem thematisiert?
Bisher hatten wir die besten Beziehungen zum Parlament über die sozialistische Partei SLD. Oft fühlten wir uns allerdings von ihren Abgeordneten im Stich gelassen, da sie viele Versprechen auf Veränderungen nicht einhielten. Wir versuchen immer, mit allen Abgeordneten zu sprechen, die dies wollen, und hatten bereits viele Gesprächsrunden. Am weitesten kamen wir damit bei der regierenden Mitte-Rechts-Partei, der PO. Wir werden als führende Menschenrechtsorganisation in Polen angesehen, aber leider werden wir von bestimmten Fraktionen im Parlament überhaupt nicht ernstgenommen.
Immerhin haben wir an Konferenzen des Menschenrechtskomitees teilgenommen. Insgesamt beobachten wir jedoch eine große Ignoranz gegenüber LGBT betreffenden Anliegen quer durch alle Fraktionen.
Gibt es politisch dennoch Anlass zu Hoffnung?
Sicher wird es in den kommenden Jahren eine große Veränderung geben. Die Mehrheit der polnischen Wählerinnen und Wähler ist immer noch konservativ. Der Patriotismus ist auch sehr stark und durch ihn besteht eine Nähe zur katholischen Kirche, der 90 Prozent der Bevölkerung angehören. Es ist daher schwer, progressive Forderungen durchzusetzen, die LGBT betreffen. Allerdings arbeitet das neue Parlament – nicht nur wegen der EU – intensiv daran, zum Beispiel an der Anerkennung der eheähnlichen Lebensgemeinschaften und der Eheschließung selbst oder an der Gleichbehandlung bei Rente und Erbe. Das ist ein Riesenerfolg – selbst wenn es dabei Rückschläge durch die Debatten innerhalb der rechtskonservativen Parteien geben wird, die das eher ablehnen. So ist es zumindest ein Thema, an dem in Polen niemand vorbeikommt.
Wie geht die KPH gegen die alltägliche Diskriminierung vor?
Um Homophobie in Polen zu bekämpfen, haben wir viele Mittel und Möglichkeiten. Die KPH organisiert Trainings für professionelle Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, etwa für Lehrerinnen und Lehrer, die Polizei oder die Verwaltung, recherchiert, schreibt Berichte und organisiert Seminare und Konferenzen. Außerdem beraten wir die Regierung, nehmen an internationalen Austauschprogrammen teil und bieten psychologische Hilfe für Opfer von Gewalt und Diskriminierung an. Finanziert werden wir ausschließlich aus Spenden und Mitteln aus EU-Projekten.
Zum Beispiel machen wir derzeit Trainings mit Polizistinnen und Polizisten. Polen hat seit der letzten Wahl in jedem der 16 Landkreise, den sogenannten Woiwodschaften, einen Menschenrechtsbeauftragten bei der Polizei. Die fragen uns regelmäßig an.
Am 11. November, dem Jahrestag der Unabhängigkeit Polens, marschierten in Warschau polnische Nationalisten und Neonazis auf. Antifaschistische und autonome Gruppen versuchten, den Aufmarsch mit einer Demonstration zu blockieren. Auf einem Plakat wurde dabei auf einen Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Homophobie in Polen hingewiesen. Worin soll dieser Zusammenhang bestehen?
Juden wurden in Polen immer schon dämonisiert und stigmatisiert: Sie seien Überträger von Krankheiten, sexuell unmoralische Minderwertige und eine allgemeine Bedrohung für die nationale Sicherheit. Sie seien gegen die katholische Kirche, eine Gefahr für Kinder und vieles mehr – wir nennen dies fundamentalen Antisemitismus.
Heute können wir von Schwulen und Lesben als »moderne Juden« in dem Sinne sprechen, dass sie diese Schuld- und Opferrolle in der Gesellschaft innehaben. Das manifestiert sich in Fehlinformationen über Schwule und AIDS sowie in der Furcht vor ihnen, in den Stereotypen über ihr Sexualleben, in den Behauptungen, dass sie die Reproduktion der Gesellschaft durch eine Veränderung der Ehegesetze verhindern wollten, dass Homosexualität nicht mit der katholischen Kirche vereinbar sei, dass Schwule und Lesben, die Kinder adoptieren wollten, eine Bedrohung für diese darstellten und so weiter.
Und während Protesten gegen eine Demonstration von LGBT im Jahr 2005 riefen Rechtsextreme Slogans wie: »Wir machen mit euch, was Hitler mit den Juden gemacht hat.« Oder: »Schwule ins Gas!«, »Lesben in die Lager!«
Wie gefährlich sind die Neofaschisten und Rechtskonservativen?
Die für uns sichtbarste Form sind immer die unzähligen Versuche der Rechtskonservativen, Faschisten und Hooligans, Veranstaltungen, wie beispielsweise die LGBT-Parade oder Festivals, zu stören und zu blockieren. Dabei attackieren sie auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Es gibt außerdem den sogenannten Red Watch, eine rechte Rechercheorganisation, die mit der deutsche Anti-Antifa zu vergleichen ist und linke Aktivisten, Lesben, Schwule und Queers mit ihren Veröffentlichungen einschüchtert.
Juristisch können Vorfälle wie diese unter dem Terminus hate crime geahndet werden. Der Begriff ist aber nicht unumstritten. Welche Position vertritt die KPH dazu?
Wir sehen ihn nicht unbedingt als einen umstrittenen Begriff an. Es gibt eben diese Debatte, inwieweit er anwendbar ist und wie effektiv Gesetze sind, die diesen Begriff justiziabel machen sollen. Gegenwärtig werden die Begriffe hate crime und Hassreden gesetzlich ja nur bei Diskriminierungen aufgrund von Hautfarbe, Ethnie, Religion oder politischer Gesinnung angewendet. Wir arbeiten an der Berücksichtigung von Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität. Allerdings wehren wir uns gegen die Hierarchisierung von Unterdrückung. Wie auch immer – wir müssen einräumen, dass dieses Gesetz in Polen bisher noch keine Erfolge, zum Beispiel bei der Strafverfolgung von antisemitischer Diskriminierung, vorweisen kann. Das macht uns nicht besonders optimistisch, dass über diesen gesetzlichen Weg hate crimes tatsächlich bekämpft werden können.
Zu den Aktionen gegen den Aufmarsch der Nationalisten am Unabhängigkeitstag, an dem es letztendlich zu schlimmen Krawallen kam, gehörte auch ein friedliches Fest, das von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis vorbereitet worden war. Kann so etwas zu einer Änderung der gesellschaftlichen Situation beitragen?
Das hatte zwei Effekte. Einerseits konnte man in den Medien sehen, wie gewalttätig die Rechten sind und wie sie Gesetze brechen. Das beeinflusst die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema und trägt zur Ablehnung rechter Positionen bei. Gleichzeitig organisierte sich die Zivilgesellschaft, um friedlich und solidarisch zu feiern und zu zeigen, dass Menschen, die sich um demokratische Werte bemühen, nicht allein sind.
Leider stellten die Medien es nach den Krawallen dann so dar, als gäbe es zwei gleich gefährliche Gruppen in Polen: Linksextreme und Rechtsextreme. Das ist Quatsch. Man kann doch nicht einen Aufzug von Menschen, die rassistische und faschistische Parolen brüllen, mit einem friedlichen, demokratischen Bürgerfest vergleichen. Leider dominierten die Bilder der Krawalle.