Ölarbeiterstreiks in Kasachstan

Streit um die Streikenden

Auf den Ölarbeiterstreik in der kasachischen Stadt Zhanaozen reagierte das autokratische Regime Nursultan Nasarbajews mit Gewalt. Mitglieder der internationalen Gewerkschaftsbewegung werfen jedoch auch einer linken Gruppe vor, die Streikenden manipuliert und in eine aussichtslose Konfrontation geführt zu haben.
Von

Im Parlament Kasachstans wird es künftig mehrere Parteien geben. Das ist nach der Wahl am Sonntag so sicher wie der Sieg der Regierungspartei Nur Otan, denn Präsident Nursultan Nasarbajew wollte es so. Die nun im Parlament zugelassenen Parteien stehen dem Regime nahe. Oppositionelle Kandidaten waren auch diesmal nicht zugelassen. Dass Nasarbajew es für nötig hält, seinem Regime den Anschein von Pluralismus zu geben, wird auf die wachsende Unzufriedenheit im Land zurückgeführt.
Deren deutlichster Ausdruck ist ein seit Monaten andauernder Ölarbeiterstreik in Zhanaozen. Am 16. Dezember kam es in dieser westkasachischen Stadt zu Demonstrationen und Unruhen, mindestens 16 Menschen wurden getötet. Noch immer gilt dort der Ausnahmezustand. Der Hintergrund des Konflikts ist umstritten. Den Unterstützern des trotzkistischen Committee for a Workers’ International (CWI) zufolge gab es ein nicht provoziertes Massaker an unbewaffneten Streikenden durch die Polizei. Das CWI zog sogar Parallelen zu den »Juliaufständen« des Jahres 1917 im russischen Petrograd. Damals kam es zu spontanen Demonstrationen von Soldaten und Arbeitern gegen die Übergangsregierung. Die Bolschewiki versuchten, die Demonstrationen zu dominieren und die Regierung zu stürzen. Diese reagierte sehr repressiv und schoss Hunderte friedliche Demonstrierende nieder.
Aktivisten kasachischer, russischer und internationaler Gewerkschaftsbewegungen kritisieren jedoch das CWI. Die streikenden Ölarbeiter seien manipuliert und von Außenstehenden provoziert worden, was zu den tragischen Ereignissen geführt habe, bei denen Gebäude niedergebrannt wurden und Gewalt von beiden Seiten ausging. Auf der einen Seite steht der Vorwurf des Verrats, auf der anderen der Vorwurf, dass sich eine kleine Gruppe linker Abenteurer mit kasachischen Oligarchen, die gegen das derzeitige Regime opponieren, verbündet und eine Massenbewegung in eine unausweichliche Niederlage geführt habe.

Der Streik der Ölarbeiter begann im Mai des vergangenen Jahres. Sie verlangten anfangs höhere Löhne, seit kurzem gehört zu ihren Forderungen auch die Nationalisierung des Ölsektors. Ihrem illegalisierten Streik wurde von Anfang an mit Gewalt und Repression begegnet. Eine die Arbeiter vertretende Anwältin wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt, einige Unterstützer und ihre Kinder fielen Morden zum Opfer.
Doch gebe es, so eine Stellungnahme der International Union of Foodworkers, keine gewählten Repräsentanten der Arbeiter, die mit der Unternehmens- und Staatsführung verhandeln könnten. So sei eine Gelegenheit für von außen kommende Gruppen wie das CWI entstanden, eine Führungsrolle einzunehmen und zu beanspruchen, für die Arbeiter zu sprechen.
Paul Murphy aus Irland, ein Abgeordneter des EU-Parlaments und Mitglied des CWI, flog in die Region, traf die Streikenden und hielt Pressekonferenzen ab. Kritiker des CWI sagen, Murphy habe den Streikenden Hoffnungen gemacht und sie so dazu gebracht, anzunehmen, dass sie nur seine Unterstützung und keine eigene Organisation bräuchten. Er und seine Gruppe spielten eine führende Rolle in der Kampagne, die sich nicht nur gegen die autoritäre Regierung Nursultan Nasarbajews richtete, sondern auch gegen die internationale Gewerkschaftsbewegung.
Das hat den Verbänden eine Solidarisierung nicht erleichtert. Sie fühlten sich nicht willkommen, so dass selbst auf das Massaker am 16. Dezember keine Reaktionen folgten. Zum Beispiel sträubte sich die für den Ölsektor verantwortliche globale Gewerkschaftsföderation ICEM dagegen, sich mit einem Konflikt zu befassen, in dem sie ständig das Ziel von Attacken seitens des CWI ist. Eine andere globale Gewerkschaftsföderation, die International Transport Workers’ Federation, gab eine klare Stellungnahme ab, die das Massaker verurteilte.
Der internationale Gewerkschaftsbund ITUC, dessen Präsident Michael Sommer vom DGB ist, reagierte auf die Gewalt vom Dezember mit einer ausgewogenen Erklärung, ohne die ganze Schuld dem Regime zuzuschieben. Ähnlich äußerte sich Sharan Burrow, die Generalsekretärin des ITUC: »Die Gewalt muss sofort aufhören, und alle Beteiligten müssen anerkennen, dass die einzige Lösung für den Konflikt ein offener Dialog und Verhandlungen sind.« Das kann wohl nicht als eine klare Anklage einer Seite verstanden werden.
Videos von jenem Tag können kaum zur Aufklärung beitragen. Auf einigen sind Zivilisten, wahrscheinlich Streikende, zu sehen, die auf einer Bühne Lautsprecher und andere Gegenstände umstürzen, die für die Feierlichkeiten am Unabhängkeitstag vorgesehen waren. Andere Videos zeigen schwerbewaffnete Polizisten, die Demonstrierende jagen und auf sie schießen. Niemand streitet ab, dass mehrere Gebäude niedergebrannt wurden, unter anderem das Rathaus und der Hauptsitz des Ölunternehmens. Unterstützer der Streikenden behaupten, dass jegliche Gewalt von der Polizei provoziert worden sei.
Auch wenn die internationale Gewerkschaftsbewegung in ihren offiziellen Handlungsmöglichkeiten beschränkt ist, unterstützte sie inoffiziell zwei Online-Kampagnen des Gewerkschaftsportals Labour Start. Die zweite, erfolgreichere Kampagne, die am Tag der Morde in Zhanaozen begann, wurde von internationalen Gewerkschaftern betrieben. Sie fordert von der Regierung Kasachstans, »die Gewalt gegen friedlich protestierende Ölarbeiter und ihre Familien in Zhanaozen sofort zu beenden«.

Eine unabhängige Berichterstattung ist in Kasachstan nicht möglich, überdies versuchte das Regime mit aller Macht auch andere Kommunikationskanäle im Land auszuschalten. Aber kürzlich erschienene Berichte weisen darauf hin, dass die ersten Schätzungen, die die Regierung bezüglich der Anzahl der Getöteten und Verwundeten veröffentlicht hatte, zu niedrig gewesen sein könnten. Selbst wenn die Umstände der Straßenkämpfe unklar bleiben, steht außer Frage, dass die Polizei exzessive Gewalt angewendet hat.
Derzeit hat sich die Lage in Zhanaozen beruhigt. Die Arbeiter hielten wieder friedliche Demonstrationen ab. Trotz des Ausnahmezustands wurde am Sonntag auch hier gewählt, ein Kor­respondent der Nachrichtenagentur Reuters berichtete jedoch, es herrsche ein Klima der Angst in der Stadt. Nach offiziellen Angaben erhielt Nur Otan in Zhanaozen 70 Prozent der Stimmen.
Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion vor 20 Jahren regiert Nasarbajew ohne legale Opposition, daran wird auch diese Wahl nichts ändern. Die Organisierung einer unabhängigen Gewerkschaft in dem für das Überleben des Regimes essentiellen Ölsektor wäre eine ernste Herausforderung. Derweil diskutieren Aktivisten in Russland und anderen Ländern die nächsten Schritte. Man einigte sich darauf, Geld für die Familien der Streikenden zu sammeln, insbesondere für diejenigen der Getöteten und Verwundeten. Und trotz der standhaften Feindseligkeit des CWI setzen globale Gewerkschaften ihre Kampgane fort, um Druck auf das Regime Nasarbajews auszuüben. Es muss für die Gewalt verantwortlich gemacht werden.