Zurück zur Kultur

Geschichte und Gegenwart der Frauenbewegung.

Vielen amerikanischen und europäischen Frauen, die in diesem oder im vergangenen Jahr 40 Jahre alt geworden sind, dürfte nicht bewusst sein, dass sie sich kaum einen besseren Zeitpunkt hätten aussuchen können, um zur Welt zur kommen. Auch Frauen, die schon etwa 50 sind, und selbstverständlich erst recht alle jüngeren, können von Glück sagen, dass sie nicht wie die meisten Frauen der vorangegangenen Generationen und wie zahllose Frauen in anderen Gesellschaften der Gegenwart gezwungen sind, einem vermeintlichen Naturgesetz folgend, ein vor- und fremdbestimmtes Leben zu führen.
Zu danken haben sie das allerdings nicht dem Glück, sondern der zweiten US-amerikanischen und europäischen Frauenbewegung, die vor etwa 40 Jahren entstand und an die zu erinnern gleichermaßen Anlass besteht wie an ihre eifrigsten Verfechterinnen, deren bedeutendste Schriften Anfang der siebziger Jahre in Deutschland erschienen sind. Noch älter ist die 1963 veröffentlichte Studie »The Feminine Mystique« von Betty Friedan (eigentlich Betty Naomi Goldstein), die drei Jahre später unter dem Titel »Der Weiblichkeitswahn oder die Selbstbefreiung der Frau« auf Deutsch publiziert wurde und zur frühen Grundlagenschrift der neuen Frauenbewegung geworden ist. Friedan untersucht darin erstmals ausführlich die Lage derjenigen Frauen, die als Hausfrauen in amerikanischen Vorortsiedlungen lebten und aufgrund der emotionalen und sexuellen Frustrationen, die ihre Tätigkeit mit sich brachte, oft auf das zurückgriffen, was die Stones in einem Song »mother’s little helpers« nannten, nämlich auf Tranquilizer aller Art.

Sexualität und Herrschaft

Betty Friedan, Gründerin der amerikanischen Frauenorganisation National Organisation of Women (NOW), war auch die erste Autorin, die das Phänomen untersuchte, dass sich viele derjenigen Frauen, die sich während der Kriegsjahre in den Vierzigern bereits emanzipiert hatten, in den fünfziger Jahren wieder scheinbar widerstandslos in die Küchen der Bungalows in den Vorortsiedlungen zurückdrängen ließen. Friedan stellte fest, dass sie frustriert und unglücklich seien, und bestand darauf, dass Frauen mehr vom Leben zu beanspruchen hätten als Ehe, Mutterschaft und ein tristes Hausfrauendasein, das sich darin erschöpft, die Kinder von der Sonntagsschule zum Musikunterricht zu chauffieren und dem heimkehrenden Ehemann ein nahrhaftes Essen vorzusetzen.
Auch die deutsche Gesetzgebung ging bis weit in die siebziger Jahre hinein davon aus, dass zwischen Mann und Frau – die in der Regel als Eheleute miteinander verbunden waren – eine gleichsam naturgegebene Arbeitsteilung herrsche, wonach dem Mann als Ernährer bei Entscheidungen über die gemeinsame Lebensgestaltung das letzte Wort zukomme und die Frau sich seiner Versorgung und der Erziehung der gemeinsamen Kinder zu widmen habe. Verheiratete Männer wurden in der Bundesrepublik gesetzlich als Haushaltsvorstand definiert, ihnen wurde unter anderem das Recht zugestanden, den Arbeitsvertrag ihrer Frauen zu kündigen, wenn deren Berufstätigkeit sich nachteilig auf die Versorgung ihrer Männer oder der Familie auswirkte. Dass diese Gesetzgebung sich nicht mehr länger aufrechterhalten ließ, haben die Frauen, die auch heute noch von ihrer Abschaffung profitieren, nicht nur Betty Friedan zu verdanken.
1969 legte Kate Millett ihre Dissertation mit dem Titel »Sexual Politics« vor, ein 500 Seiten umfassendes Werk, in dem sie die These entwickelt, dass Sex nicht allein ein privates Geschehen zwischen zwei einander gleichgestellten Individuen, sondern auch ein politischer Akt sei, dem ein Macht- bzw. Herrschaftsverhältnis innewohne. Millett, deren Buch 1971 auf Deutsch unter dem Titel »Sexus und Herrschaft« erschien, untersucht darin vor allem literarische Texte, die Männer über ihre sexuellen Begegnungen mit Frauen geschrieben haben. Sie analysiert die drastischen sexuellen Darstellungen im Werk von Henry Miller und Norman Mailer, aber auch Texte über homosexuellen Sex zwischen Männern am Beispiel der Bücher Jean Genets, und arbeitet heraus, wie der männliche Überlegenheits- und Herrschaftsanspruch sich in diesen Werken niederschlägt. Damit machte sie solchermaßen Furore, dass das Time Magazine ihr 1970 eine Titelgeschichte widmete.
Danach erschienen binnen weniger Jahre zahlreiche feministische Bücher und Zeitschriften, und es gründeten sich bedeutende feministische Organisationen. Gloria Steinem begründete 1972 die Frauenzeitschrift MS, die Bürgerrechtsaktivistin und Feministin Susan Brownmiller legte fast gleichzeitig ihre Studien zum Thema Vergewaltigung, Prostitution und Frauenhandel vor, auf die sich Ende der siebziger Jahre die auch innerhalb der Frauenbewegung sehr umstrittene Anti-Porno-Bewegung berief, an der unter anderem Brownmiller selbst, die Dichterin Adrienne Rich, Gloria Steinem und Shere Hite beteiligt waren. Alice Schwarzer machte diese Bewegung mit ihrer »PorNo«-Initiative auch in der Bundesrepublik populär. Unter anderem klagte Schwarzer gegen ein vermeintlich sexistisches Titelbild des Stern, für das die schwarze Sängerin Grace Jones nackt und in Fesseln Modell gestanden hatte.
Phyllis Chesler, die im Herbst 70 Jahre alt geworden ist, zeigte in ihrem 1972 in den USA und 1974 in der Bundesrepublik erschienenen Buch »Frauen – das verrückte Geschlecht« auf, dass gesellschaftliches Fehlverhalten von Männern in den westlichen Industrienationen eher mit Gefängnis, weibliches hingegen eher mit Psychia­trisierung bestraft wird. Und dass weibliches Fehlverhalten in den Augen der vorwiegend männlichen Mediziner und Psychiater zumeist dann vorliegt, wenn eine Frau ausdrücklich gegen ihre konventionellen Rollenzuweisungen rebelliert, beispielsweise indem sie ein aggres­sives Verhalten an den Tag legt, das wiederum von Männern eher erwartet wird. Chesler widmete sich diesem Thema zu einer Zeit, in der es den meist männlichen Ärzten und Psychiatern noch angebracht erschien, in Fällen von diagnostizierter Depression, Hysterie oder Schizophrenie zur seit 1950 praktizierten Lobotomie zu greifen, also chirurgisch ins Gehirn der Betroffenen einzugreifen, eine »Behandlungsmethode«, die bis in die siebziger Jahre hinein bei zahllosen Frauen angewandt wurde.

Unangepasstes Verhalten

Auch Kate Millett musste sich einem solchen »Klapsmühlentrip« unterziehen. So lautet der Titel eines ihrer neueren Bücher, das in den neunziger Jahre erschienen ist. Darin beschreibt sie ihren Zwangsaufenthalt in einer irischen Klinik Anfang der Achtziger. Die klinische »Therapie« von nichtkonformem weiblichen Verhalten und die Behandlung von alten Frauen, derer sich ihre Familien oft einfach nur entledigen wollten, indem sie sie in eine Klinik abschoben, war noch zu dieser Zeit auch in den USA ausgesprochen brachial: »Im Hintergrund«, schreibt Millett, »lauert immer der Elektroschock. Enid kriegt welche. Delores wird damit behandelt, seit sie 18 ist; jetzt ist sie 35.« Eine solche Behandlung von »unangepasstem« Verhalten durch Elektroschocks hatte bereits die Dichterin Sylvia Plath in ihrem 1963 erschienenen autobiographischen Roman »The Bell Jar« (»Die Glasglocke«) detailliert beschrieben.
Millett schreibt in ihrem Buch über Ciba, einen großen pharmazeutischen Konzern, dessen Produkte zur »Behandlung« zahlloser Frauen eingesetzt wurden: »Ciba ist hier, mit seinem Ausstoß an psychotropischen Medikamenten für die ganze Welt – Millionen, vielleicht Milliarden von Kapseln, je mehr sie Verbreitung finden. In sechs Jahren habe ich 8 760 Kapseln eines Tranquilizers in vier Dosen zu je 300 mg das Stück konsumiert; 1 200 mg täglich.« Millett hat jedoch nicht nur gegen die Psychiatrisierung »unangepasster« Frauen Einspruch erhoben, sondern verstand sich auch sonst als politisch Radikale. Sie solidarisierte sich mit IRA-Gefangenen im Hungerstreik, sie erntete für ihr Engagement stets schlechte Publicity und wurde öffentlich angefeindet. Zeitweise war sie schwer depressiv, dann manisch. Der Versuch, gegen die gesellschaftlichen Zwänge aufzubegehren und gleichzeitig das eigene Leben zu revolutionieren, mit einem Mann verheiratet und gleichzeitig lesbisch zu sein, erwies sich als konfliktreicher denn erwartet: »Soll er doch gehen«, schreibt Millett in ihrem Buch über ihren Lebensgefährten Fumio. »Er ist auf dem Weg nach Schweden mit einer meiner Studentinnen, meiner Lieblingsschülerin. Soll er glücklich sein – das haben wir einander immer gewünscht, selbst wenn das andere Geliebte bedeutete. Wir haben uns da auch wirklich allerhand geleistet. Ich habe niemals jemanden so sehr geliebt, dass es Fumio ausschloss; andere zu lieben, steigerte nur immer meine Liebe zu ihm. Aber er hat diese Art von Leben hinter sich gelassen, will etwas Konventionelles, Monogames.«
Die meisten Menschen, die im Leben von Millett wichtig waren, wollten letztlich immer »etwas Konventionelles«, sie ermüdeten, zogen sich zurück oder richteten sich in dem ein, was seinerzeit noch Establishment hieß. Geldsorgen, Selbstmordversuche, dann wieder der Versuch, ohne Lithium zu leben, führten bei Millett zu manischen Symptomen und diese wiederum zu ihrer zweiten Zwangseinweisung, die Thema ihres heute noch lesenswerten Buches ist. Auch Shulamith Firestone, eine junge Kanadierin, die mit der 1975 auf Deutsch erschienen Studie »Frauenbefreiung und sexuelle Revolution« einen weiteren Grundlagentext der aufkommenden neuen Frauenbewegung vorgelegt hatte, erlitt mehrere Zusammenbrüche, ermüdet nicht zuletzt von den Grabenkämpfen in den eigenen Reihen, und wurde mehrere Male in die Psychiatrie eingewiesen. Das hielt andere aber nicht davon ab, an ihre Ideen und Forderungen anzuknüpfen. Ausgehend von den Vereinigten Staaten, hat sich die Frauenbewegung in der Folge immer stärker internationalisiert. Die Australierin Germaine Greer veröffentlichte 1970 die englische Originalversion ihres als »Der weibliche Eunuch« auf Deutsch erschienenen Buches. In der Bundesrepublik sorgte Alice Schwarzer 1975 mit dem Interviewband »Der kleine Unterschied und seine großen Folgen« für öffentliche Aufregung. Ein Pendant dazu entstand auch in der DDR, wo 1977, im Todesjahr der Autorin, Maxie Wanders Gesprächsband »Guten Morgen, du Schöne« erschien. Darin beklagen die interviewten Frauen sich über die Doppelbelastung durch Berufstätigkeit, Haushalt und Familienarbeit, die auch in der geschlechter- und beschäftigungspolitisch teilweise fortschrittlicheren DDR ganz selbstverständlich als genuin weibliches Aufgabengebiet angesehen wurden. Die Niederländerin Anja Meulenbelt schrieb das Pamphlet »Feminismus und Sozialismus«, die Italienerin Oriana Fallaci beteiligte sich 1977 mit ihrem Buch »Brief an ein nie geborenes Kind« an der erbittert geführten sogenannten Abtreibungsdebatte, die auf eine Selbstbezich­tigungskampagne von prominenten Frauen 1970 in Frankreich und 1971 im Stern zurückging.
Die zuvor vor allem theoretisch geführte Diskussion zeitigte bald auch praktische Konsequenzen. Frauenhäuser wurden gegründet, das erste 1976 in Berlin, Frauen- und Lesbenkneipen, Kinderläden und –tagesstätten entstanden. Feministische Zeitschriften wurden ins Leben gerufen, die Jugendzentrumsbewegung formierte sich. Immer gab es dabei auch scharfe Konflikte innerhalb der Frauenbewegung selbst. Schwarze Frauen in den USA wandten sich gegen ihre weißen »Schwestern«, da sie zu der Ansicht gelangt waren, aufgrund ihrer sozialen Situation mehr mit schwarzen Männern als mit weißen Frauen gemein zu haben, die sie in erster Linie als arrivierte Angehörige der Mittelschicht ansahen. »Obwohl wir Feministinnen und Lesben sind«, erklärte die Dichterin Audre Lorde, eine prominente Vertreterin dieser Strömung, »sind wir solidarisch mit fortschrittlichen schwarzen Männern und stehen nicht für den Separatismus ein, den weiße Frauen fordern.« Dabei überging sie jedoch, dass die originäre Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten, deren Vorläufer sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen lassen, damals schon einen Zusammenhang zwischen der Lage der Frauen und der Schwarzen erkannt hatte: Die 1902 verstorbene Elizabeth Cady Stanton, die führende amerikanische Suffragette, trat oft zusammen mit ihrem engen Freund, dem ehemaligen Sklaven Frederick Douglas auf, denn es ging beiden ganz selbstverständlich um die Erkämpfung von Bürgerrechten für beide Gruppen, die gemeinsam die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung stellten.

Mystizismus und Antisemitismus

In der Bundesrepublik stand die moderne Frauenbewegung unter anderem durch die weiblichen Mitglieder der Partei »Die Grünen« einem zwiespältigen Konkurrenzprojekt gegenüber. Einige der »ökologischen« Feministinnen reagierten verunsichert auf die neuen politischen Verhältnisse, die ja auch mit dem Verlust einiger weiblicher Privilegien einhergingen, und forderten nun eine »neue Mütterlichkeit«. Rechte und mystizistische Strömungen der Frauenbewegung gewannen an Einfluss, ein Zug ins Esoterische machte sich bemerkbar. In einem Gespräch mit Richard Chaim Schneider erinnerte sich der Erziehungswissenschaftler und Publizist Micha Brumlik daran, dass die Grünen in den achtziger Jahren keinen militanten Antiimperialismus oder gar Internationalismus mehr vertraten, sondern um den Weltfrieden, um die Umwelt und weniger um die gleichen Rechte als um die »Würde« der Frauen besorgt gewesen seien. Das habe dazu geführt, so Brumlik, dass man nun auch im Feminismus und in der linken Ökologiebewegung »die jüdischen Wurzeln der modernen, kapitalistischen, industriellen Zivilisation mit ihren verheerenden Auswirkungen entdeckt hat, etwa bei Rudolf Bahro oder der einen oder anderen populärwissenschaftlichen, feministischen Theologin. Das ist ja nun auch ein altes Muster der deutschen Rechten gewesen, dass die jüdisch-christliche Religion das Unglück über die Menschheit gebracht habe und man stattdessen zu Natur und Germanentum zurückfinden müsse.«
Tatsächlich griff dieses Denkmuster nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der US-amerikanischen Gesellschaft immer bedenklicher um sich. In »Die amerikanischen Juden. Profil einer Gemeinschaft«, einer Sozialgeschichte des amerikanischen Judentums, schreibt der deutsch-amerikanische Rabbiner, Theologe und Schriftsteller Leo Trepp über US-amerikanische jüdische Feministinnen wie Betty Friedan: »Da aber Vertreterinnen der allgemeinen Frauenbewegung das Judentum als typische Erscheinungsform des Paternalismus attackiert haben, so stehen die jüdischen Frauenrechtlerinnen gleichzeitig im Kampf gegen diese Auffassung und gegen deren Vertreterinnen.«
Und wirklich hat sich die Debatte, sofern sie von den ehemaligen Protagonistinnen der Frauenbewegung überhaupt noch fortgeführt wird, mittlerweile stark verlagert, weg von der gesellschaftlichen Stellung der Frauen und der Kritik des Geschlechterverhältnisses hin zu Fragestellungen kultureller und religiöser Art. Viele ehemalige Exponentinnen der Frauenbewegung beharren längst nicht mehr auf dem Recht von Frauen, »Herrin« über ihr eigenes Leben zu sein. Sie bestehen nicht mehr auf dem Recht von Frauen, von allen Frauen, in gleicher Weise wie die Männer über die Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen zu bestimmen, gleichermaßen gesellschaftlich einzugreifen, zu sprechen, zu handeln und in der Öffentlichkeit präsent zu sein.
Germaine Greer zog sich Ende der neunziger Jahre auf die Behauptung einer vorgeblichen »Alterität« der Frau zurück und vertrat die Ansicht, das »Natürliche«, die »Natur«, die die Frau in den Augen der Gesellschaft repräsentiere, mache sie dem per se als Agent des Kapitals fungierenden Mann grundsätzlich überlegen. In ihrem im Jahr 2000 auf Deutsch erschienenen Buch »Die ganze Frau« berichtet sie, wie sie zu dieser »Erkenntnis« gelangt sei: »Nachdem ich ›Der weibliche Eunuch‹ geschrieben hatte, reiste ich jahrelang durch die Welt, um noch einen Blick auf eine existierende ganze Frau zu erhaschen. Es musste eine Frau sein, die nicht lebte, um männlichen sexuellen Phantasien zu entsprechen, oder die nicht darauf vertraute, dass ein Mann sie mit seiner Identität und einem sozialen Status ausstatten würde. Sie musste nicht schön sein, aber vielleicht intelligent, und mit zunehmendem Alter an Autorität gewinnen. Ich sah Frauen, die in Gesellschaften mit Geschlechtertrennung lebten, und stellte fest, dass sie in vieler Hinsicht stärker waren als Frauen, die nicht ohne männliche Begleitung in ein Theater oder Restaurant gehen. Von Arbeiterinnen, Bettlerinnen, Stammesangehörigen lernte ich, wie grenzenlos Frauenarbeit ist; von infibulierten Frauen erfuhr ich, was sexuelle Freuden bedeuten; von großen Damen, die nie einen Finger gerührt hatten, und von hart arbeitenden, sonnenverbrannten Großmüttern, dass es eine weibliche Gottheit gibt.«
Aufgrund der »Erkenntnis«, dass es eine »weibliche Gottheit« gebe, plädiert Geer nun ernsthaft für Geschlechtertrennung und wettert gegen einen von ihr so genannten »Lifestyle- und Gleichberechtigungsfeminismus« sowie unterschiedslos gegen alle Männer, die sie für »wettbewerbsorientiert, aggressiv, lüstern und grausam« hält. »Frauen«, findet sie demgegenüber, »sind zäh und bleiben in all ihrer Vielseitigkeit immer im Rahmen des Üblichen. Männer sind von Natur aus Spinner, auffällig, überspannt, skurril. Ein Mann zu sein bedeutet, eine Art Fachidiot zu sein, von merkwürdigen Obsessionen und absurden Absichten besessen. Zielstrebig im Verfolgen willkürlicher Ziele, verdammt zu Konkurrenz und Ungerechtigkeit nicht nur gegenüber Frauen, sondern auch gegenüber Kindern, Tieren und anderen Männern.« Greer feiert deshalb diejenigen Frauen, »die im Iran den Schador angelegt und die Amerikaner aus dem Land gebrüllt haben« und die »den Kulturimperialismus öffentlich anprangern«. In einem anderen Text geht sie sogar so weit, Genitalverstümmelung als Ausdruck kultureller Identität zu verteidigen, und schreibt unter anderem: »Afrikanische Frauen, die Genitalverstümmelungen vornehmen, tun dies vor allem deshalb, weil sie glauben, dass es die Attraktivität der Frau erhöht. Die junge Frau, die unerschrocken liegen bleibt, während der Beschneider ihre Klitoris zwischen zwei Steinen zermalmt, beweist damit, dass sie einmal eine gute Frau sein wird, die allen Qualen der Geburt und der täglichen Arbeit gewachsen ist (…). Westliche Frauen, in voller Montur mit Nagellack (der sich mit Handarbeit nicht verträgt), hochhackigen Schuhen (katastrophal für die Haltung und somit den Rücken und völlig ungeeignet, längere Entfernungen über schlechte Straßen zurückzulegen) und Büstenhalter (…), kritisieren die Beschneidung von Frauen, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass ihr Verhalten absurd ist.«

Der »palästinisierte« Feminismus

Diese Aussagen brachten die Feministin und Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali gegen Geer auf. Hirsi Ali, die selbst einer afrikanischen Stammesgesellschaft entstammt, als kleines Mädchen beschnitten worden ist, von ihrem Vater verheiratet werden sollte und aus diesem Grund in die Niederlande flüchtete, führt das obige Zitat von Greer in ihrer Autobiographie »Ich bin eine Nomadin« an und antwortet darauf: »Es ist wahrhaft absurd, wenn jemand wie Germaine Greer, die Philosophie studiert hat, nicht erkennt, dass die Entscheidungsfreiheit den grundlegenden Unterschied zwischen dem Verhalten eines erwachsenen ›Opfers‹ des Schmerzes, den modische Schuhe zufügen mögen, und dem Schmerz eines Kindes ausmacht, das wirklich ein Opfer von Gewalt ist.« Mit Hirsi Ali bestand eine Frau aus einem sogenannten Trikont-Land auf Aufklärung, Rationalität, Kritik und Analyse und verlangte die Gewährleistung eines Lebens ohne die öffentliche Vereidigung auf Religion, die sie in die Privatsphäre verbannt sehen möchte, ohne das Recht, ein anderes Individuum (ob Tochter, Ehefrau oder Schwester) mit religiösen Vorstellungen und Regeln zu behelligen. Hirsi Ali forderte nicht nur vom niederländischen Staat, sondern von allen europäischen Staaten, die Frauen vor der Kultur ihres Herkunftslandes zu schützen – zu einem Zeitpunkt, als sich in der feministischen Diskussion längst eine kulturalistische Wende abzeichnete. Viele der Kämpferinnen von einst sind konservativ oder gar selbst religiös geworden und haben auf die Forderung universeller Menschenrechte auch von Frauen zugunsten kulturrelativistischer Positionen verzichtet.
Anja Meulenbelt beispielsweise übt keine öffentliche Kritik mehr an Gesellschaften mit erzwungener Geschlechtertrennung und Todesstrafe, zumindest dann nicht, wenn es sich um die palästinensische Gesellschaft handelt. Die Niederländerin, die mit freizügigen Schilderungen ihrer hetero- und homosexuellen Beziehungen (»Die Scham ist vorbei«, 1976) bekannt geworden ist, die Abtreibung, Cannabis und Mehrfachbeziehungen zum Thema ihrer Bücher machte, hat den einstigen Kampf gegen die Männerherrschaft zugunsten des Kampfes gegen den Staat Israel aufgegeben. Meulenbelt ist heute eine sozialistische Abgeordnete, engagierte Gaza-Aktivistin und bloggt als solche auf dem »Weblog Anja Meulenbelt« sowie auf ihrem eigens zum Thema eingerichteten Blog über Israel und Palästina, mit dem sie den »palästinensischen Kampf« gegen den »Apartheidstaat Israel« unterstützen möchte. Diesen neu entdeckten »feministischen« Hass auf Israel, der sich keinesfalls auf Anja Meulenbelt beschränkt, umschrieb Phyllis Chesler vor einigen Monaten mit der Formulierung »Palästinisierung der Lesbenszene«, nachdem sich der Konflikt bereits verschärft hatte: Eine von einer in Philadelphia ansässigen Lesben- und Queergruppe ausgehende Boykottinitiative gegen Israel (»Justice now in Palestine. Support the Boycott!«), deren Performances auf Youtube zu bewundern sind – spärlich gekleidete Frauen stürmen einen Supermarkt und fordern tanzend und singend zum Boykott israelischer Waren sowie zur Unterstützung »Palästinas« auf – hatte für erbitterte Diskussionen in der feministischen Szene gesorgt.
Zum Eklat kam es, als die sich als Interessenverband von Lesben und Bisexuellen verstehende »Siege Busters Working Group« Anfang vergangenen Jahres eine antiisraelische »Party to End Apartheid« im New Yorker LGBT-Center durchführen wollte. Michael Lucas, schwuler Aktivist und Pornostar mit israelischem Pass, intervenierte, griff die »Boycott-Israel«-Szene offen an und entfachte damit eine öffentliche Debatte, die weit über die Szene hinaus Wirkung hatte und an die auch Phyllis Chesler anknüpfte. In ihrem Artikel »The ›Palestinization‹ of lesbian activism«, der am 22. März 2011 in der National Post erschien, wundert auch sie sich über nichtjüdische und jüdische Lesben und Queer-Aktivistinnen, die auf Partys Geld für eine weitere »Flotte nach Gaza« sammeln und antiisraelische Flahsmobs oder Solidaritätsveranstaltungen zur Unterstützung »Palästinas« organisieren, auf denen sie, ganz im Stil der LGBT-Szene, mit einer Kleidung auftreten, für die sie in Gaza oder der Westbank verfolgt würden.
Zu Recht hält Chesler den Queer-Aktivistinnen vor, dass schwule Palästinenser in der Regel nach Israel flüchten müssen, um überhaupt überleben zu können, ein Umstand, den die Filmemacher Stéphane Amar und Kristell Bernaud in einer im November 2011 auf Arte ausgestrahlten Reportage noch einmal bestätigten. Für ihre Dokumentation »Palästina: Tabuthema Homosexualität« sprachen sie mit einem Betroffenen, der illegal in Tel Aviv lebt, weil er in den Palästinensergebieten um sein Leben fürchtet, und mit Vertretern der israelischen Hilfsorganisation Aguda, die sich bemüht, ihm und anderen ein Visum für Europa zu besorgen, denn – über diesen Aspekt geht Chesler hinweg – auch in Israel können die Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe auf Dauer nicht bleiben, weil der Aufenthalt für nichtisraelische Staatsbürger, wie in anderen Ländern auch, zeitlich begrenzt ist.

Queer gegen Israel

Mittlerweile hat sich der Konflikt zugespitzt und wird auf Websites wie »Queers against Israeli Apartheid« oder »Global Women’s Strike« ausgetragen. Auf letzterer wurde die britische Sängerin Joan Armatrading, die im Sommer 2011 in Tel Aviv aufgetreten war, beschuldigt, sie habe den Boykott gegen Israel gebrochen und sich die Taschen mit »blutigem Geld« gefüllt (»lining her pockets with bloody money«). Die Kommentarspalten von Blogs, auf denen, und die Leserbriefseiten von Zeitschriften, in denen über den Streit zwischen Michael Lucas und der »Siege Busters Working Group« berichtet wurde, quollen daraufhin über. Phyllis Chesler selbst, die sich an dieser Debatte beteiligt, hat sich jedoch inzwischen ihrerseits vom Standpunkt der Religionskritik und des Säkularismus, der ihr vor 40 Jahren noch als selbstverständlich erschienen wäre, zurückgezogen. In ihrem 2004 auf Deutsch erschienenen Buch »Der neue Antisemitismus« setzt sie sich noch recht neutral mit dem in der Linken und innerhalb der Frauenbewegung aufkommenden Antisemitismus auseinander und stellt fest: »Seit 1980/81 hatte ich viele leidenschaftliche Diskussionen mit einzelnen christlichen Feministinnen, mit weißen und farbigen, die zu glauben schienen, dass die Juden und Zionisten des 20. Jahrhunderts mehr als alle anderen Menschen auf der Welt für den Tod ›der‹ Göttin vor 3 000 Jahren und für den Sklavenhandel vor 400 Jahren verantwortlich seien.« Doch seit 2006 ist offenbar geworden, dass Chesler ihre Kritik an einer Linken, die fast ausschließlich propalästinensische Positionen vertritt, sich mit israelischen nicht einmal auseinandersetzen möchte und die palästinensische Gesellschaft trotz der Popularität der Hamas als eine homogene »Opfergruppe« betrachtet, vom Standpunkt einer tief religiös gewordenen Jüdin aus formuliert. Die von ihr ins Leben gerufene Phyllis Chesler Organization stellt seit einiger Zeit ebenfalls die Mutterschaft in den Mittelpunkt ihrer fürsorglichen Bemühungen und zementiert dadurch ein Frauenbild, das zu bekämpfen ihre Gründerin einst angetreten war.
In ihrem 2006 veröffentlichten Buch »The Death of Feminism« attackiert Chesler, die selbst auf die Erfahrung zurückblicken kann, einmal in Afghanistan verheiratet gewesen zu sein, nun mehr ausschließlich die Unterdrückung der Frauen in den islamischen Ländern und proklamiert zugleich das Ende einer feministischen Bewegung, der es nicht gelungen sei, die muslimischen Frauen zu befreien. »Ich rede von der Palästinensierung lesbischer Feministinnen«, schreibt sie in ihrem bereits erwähnten Artikel, »inklusive jüdischer lesbischer Feministinnen, die sich mehr Sorgen um ein Land machen, das nicht existiert, ›Palästina‹, als um muslimische Frauen, die gezwungen werden, sich zu verschleiern, arrangierte Ehen zu akzeptieren, und die Opfer von Ehrenmorden werden, wenn sie als zu westlich oder ungehorsam erscheinen.« Überzeugender wäre es freilich, wenn sie diese Kritik als eine Verteidigung des Säkularismus formulieren würde, doch Chesler greift den Islam inzwischen allein vom orthodoxen jüdischen Standpunkt aus an. Auch Oriana Fallaci hat ihre als feministisch verstandene Kritik nach den Attentaten vom 11. September 2001 allein gegen den Islam gerichtet, allerdings als erklärtermaßen Säkulare. In ihren beiden Pamphleten »Die Wut und der Stolz« und »Die Kraft der Vernunft«, die man streckenweise als Schmähschriften bezeichnen kann, gleitet diese Kritik selbst mitunter in fremdenfeindliche Argumentationsmuster ab.
Eine Freundin subtiler Töne ist Fallaci allerdings nie gewesen. Noch posthum hat sie, die ihre beiden letzten Bücher bereits als Sterbende schrieb, unfreiwillig demonstriert, dass Frauen noch immer ein ungleich stärkerer Hass trifft als Männer, mit denen man politisch nicht einverstanden ist. In der Taz, die in ihrer Wut auf weibliche Islamkritikerinnen wiederholt sehr weit ging (Ulrike Hermann hatte dort am 17. Mai 2006 erklärt, Hirsi Ali wisse, »dass man sie nicht mehr braucht«), wollte Bettina Gaus nicht einmal mehr Trauer empfinden für Fallaci, die doch früher einmal ihr »Vorbild« gewesen sei. Wie die meisten kulturalistischen Feministinnen verdrängt sie dabei konsequent, dass alle von ihnen geführten Diskussionen und Kämpfe, mögen sie statt den Bürgerrechten und der Emanzipation inzwischen auch dem Erhalt von »Religion« und »Kultur« gelten, in einer westlichen Gesellschaft stattfinden, die ihr eigenes Entwicklungsniveau nicht zuletzt jener Frauenbewegung verdankt, von deren konkreten Zielen man inzwischen am liebsten nichts mehr wissen will.
Einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben, ohne den Ehemann um Erlaubnis fragen zu müssen, einen Mietvertrag abzuschließen oder ein eigenes Konto zu eröffnen, ohne männliches Pseudonym zu publizieren, eine Wohngemeinschaft zu gründen, als unverheiratete Frau Kinder zu haben, ohne dass der Staat die Vormundschaft beansprucht, das Recht auf Ausbildung, ja selbst das schlichte Recht, allein in eine Kneipe zu gehen und sich ein Glas Wein zu bestellen: Nichts von all dem war Anfang der siebziger Jahre für die Frauen in den USA und in der Bundesrepublik selbstverständlich. Und – in diesem Punkt hat Chesler zweifellos recht – in sehr vielen Ländern, insbesondere in den islamischen, ist es das auch heute noch nicht. Stoff zum Diskutieren ist also weiterhin vorhanden. Wer Interesse daran hat, weiblich ist und über eine Nachweisliste eigener künstlerischer Arbeit verfügt, kann es sogar direkt mit Kate Millett tun. Millett hat Anfeindung, Ausgrenzung, Psychiatrisierung und auch Armut kennengelernt. Denn eine Sache ist es, einen bekannten Namen zu haben, eine ganz andere, für Lehraufträge, Texte und künstlerische Arbeiten angemessen bezahlt zu werden. Auch diese Problematik und die Tatsache, dass Frauen auf ökonomischem Gebiet in westlichen Gesellschaften noch immer maßgeblich diskriminiert werden, hat Millett in einem Interview mit dem Guardian Ende der neunziger Jahre angesprochen. Sie selbst erhielt zu dieser Zeit nur noch schlecht bezahlte Lehraufträge, ihre Bücher wurden kaum mehr gedruckt. Mittlerweile lebt sie auf einer Farm, der Women’s Art Colony in Poughkeepsie im Staat New York, und lädt Künstlerinnen und Publizistinnen dorthin zu Arbeitsaufenthalten ein. Sie selbst sieht sich von eben jenem kulturalistischen Postfeminismus verdrängt, dessen maßgebliche Protagonistinnen mit ihrer Sympathie für frauenfeindliche Regimes und Kulturen längst Abschied von den Zielen genommen haben, für die Millett gekämpft hat und von deren Durchsetzung sie selbst profitieren.

Literatur:
Ayaan Hirsi Ali: Ich bin eine Nomadin. Mein Leben für die Freiheit der Frauen, 2010
Phyllis Chesler: Women and Madness, USA 1972 (dt.: Frauen, das verrückte Geschlecht?, 1982)
Dies.: The New Anti-Semitism, USA 2003 (Der neue Antisemitismus, 2005)
Dies.: The Death of Feminism, USA 2006 (bisher nicht ins Deutsche übersetzt)
Oriana Fallaci: Lettera a un bambino mai nato, I 1975 (Brief an ein nie geborenes Kind, 1979)
Shulamith Firestone: The Dialectic of Sex, USA 1970 (Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, 1975)
Betty Friedan: The Feminine Mystique, USA 1963 (Der Weiblichkeitswahn oder die Selbstbefreiung der Frau, 1966)
Germaine Greer: The Female Eunuch, UK 1970 (Der weibliche Eunuch. Aufruf zur Befreiung der Frau, 1970)
Dies.: The Whole Woman, UK 1999 (Die ganze Frau, 2000)
Anja Meulenbelt: De schaamte vorbij, NL 1976 (Die Scham ist vorbei, 1978)
Dies.: Feminisme en socialisme, NL 1975 (Feminismus und Sozialismus, 1980)
Kate Millett: Sexual Politics, USA 1969 (Sexus und Herrschaft. Die Tyrannei des Mannes in unserer Gesellschaft, 1971)
Dies.: The Loony Bin Trip, USA 1990 (Der Klapsmühlentrip, 1996)
Alice Schwarzer: Der kleine Unterschied und seine großen Folgen, BRD 1975
Maxie Wander: Guten Morgen, du Schöne, DDR 1977