Das Schlimmste zum Schluss

Erinnerungen sind unzuverlässig und stecken voller Verzerrungen. Von den Fehlleistungen des Gedächtnisses handelt der neue Roman von Julian Barnes. Der britische Autor erzählt in »Vom Ende der Geschichte« eine überaus spannende, wendungsreiche und kluge Lebensgeschichte. Zu recht gab es dafür 2011 den Man Booker Prize.
Die handlungsleitende Idee des Buches lautet: Du siehst nur, was du sehen willst. Was nicht in dein Welt- und Selbstbild passt, blendest du aus. Für den akademisch gebildeten, pensionierten Tony Webster keine brandneue Erkenntnis. Doch das Allgemeine ist nicht das Persön­liche: Schaute Webster bislang recht zufrieden auf sein bisheriges Leben zurück, so ändert ein Brief, in dem es um das Tagebuch seines Jugendfreundes geht, so einiges. Die Erschütterung ist gewaltig. Tony Webster ist sich seines Lebens, seiner vermeintlich glücklichen Jugend, seiner Liebesbeziehungen, ja, seiner selbst nicht mehr sicher. Er zieht alles in Zweifel.
Barnes ist ein geschickter Autor, der uns immer hübsch häppchenweise füttert. Er lässt uns mitfiebern bei der Detektivarbeit Websters, die ihn zurück in seine Schul- und Collegezeit führt und ihn zur Beschäftigung mit dem Selbstmord seines besten Freundes Adrian zwingt. Die ganze tragische Bedeutung und Tragweite von Adrians Tat wird erst kurz vor Ende des Romans vollends offenbar. Gerade so, wie es sich gehört.

Julian Barnes: Vom Ende einer Geschichte. Aus dem Englischen von Gertraude Krueger. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, 181 Seiten, 18,99 Euro