Alles Softies? – Die laue Debatte über den neuen Mann

Heul doch, Mann!

Warum die Suche nach dem richtigen Mann nicht weiterführt und der Feminimus ­keine Helden braucht.

Das Feuilleton hat ein bekanntes Thema wiederentdeckt: den neuen Mann. Seit Jahren plagen sich Soziologen, Psychologen und Genderwissenschaftler mit dem Entwurf einer neuen männlichen Identität. Arte widmete dem neuen Mann 2009 einen langen Fernsehabend. Der neue Mann sei »feminisiert«, lautete der Befund, er habe also seine Führungsrolle, sein Arbeitsethos und seine Muskelkraft durch emotionale Intelligenz, Empathie und Reflexion ersetzt oder habe zumindest diese Eigenschaften zusätzlich erworben. Während Experten wie Klaus Theweleit noch die Problematik dieser »neuen Identität« in Zweifel ziehen, ist die nächste Runde bereits eingeläutet. Als habe es die unzähligen Kritiken der Gender-Stereotype von »Mann« und »Frau« nie gegeben, wissen Spiegel und Zeit, wer der neue Mann von heute ist – mal 25, mal 30, mal 35 Jahre alt – und warum die »neue Frau« ihn nicht will. Ein »Schmerzensmann« sei er, lieb, melancholisch, mit sich selbst beschäftigt, den Frauen zu verkopft, kompliziert, nervös, ängstlich und ratlos. Die Journalistin Nina Pauer hat mit ihrem Artikel »Die Schmerzensmänner« in der Zeit die jüngste Debatte über die neuen »Softies« ausgelöst. Der Mann habe seine Orientierung verloren und sei falsch abgebogen. Unsexy wirke er auf die neue Frau, die sich leidenschaftlich an seine starke Brust werfen wolle, während er, unfähig, den Auftakt zum Sexualakt einzuleiten, lieber traurige Mixtapes mit »weiblicher« Musik aufnehme. Die Angelegenheit scheint so dringend, dass gleich die Schuldfrage gestellt wird. Schuld trage der obskure Schicksalszusammenhang der »Gesellschaft«. Eine Entgegnung im Spiegel von Christoph Scheuermann hatte diesem Lamento nicht mehr entgegenzusetzen als den Vorwurf, die Frau sei selber schuld. Scheuermann hantiert mit jenen Begriffen, die die erwerbstätige Frau denunzieren: Optimier-Frau, Alphamädchen. Ja, warum macht sie das bloß, und wer überhaupt ist »sie«? Die sozialen und ökonomischen Veränderungen der letzten 30 Jahre erwähnt Scheuermann nicht ein Mal. Sein Artikel tischt uns das Märchen von der »Modernisierungsgewinnerin Frau« auf und endet mit der Empfehlung an die Männer, einfach mal ein bisschen härter aufzutreten.
Spiegel-Kolumnistin Silke Burmester verteidigt dagegen den neuen Mann und lobt jene Müttergeneration, die die »haarige Bestie« Mann endlich in einen reflektierten und empathiefähigen Menschen verwandelt habe. Doch auch sie sieht Handlungsbedarf, wenn es um den »Röhrenjeansjungen« geht: »Da müssen wir an die Schwachstellen noch mal ran: also die Jungs ein wenig zurückpfeifen und sie eine Balance zwischen Reflexionsvermögen und Männlichkeit finden lassen und den Mädels mitgeben, dass das Leben kein Hollywood-Film ist, kein Traum, in dem alles möglich ist. Und vor allem, dass eine breite Männerbrust die Ergänzung zur weiblichen Autonomie sein kann, nicht aber die Alternative.«
Keiner der Beiträge hält sich mit soziologischen und sozialgeschichtlichen Fakten, Fachliteratur oder gar repräsentativen Interviews auf. Doch wo ist er zu finden, der reflektierte, sensible, weinerliche Mann? In der Dorfkneipe »Zum Wildschwein«, bei McFit, im Marzahner Jugendclub oder in der Kreuzberger Naunynritze? Keine Beschreibung der Wirklichkeit findet sich in den Beiträgen, sondern allenfalls ein kleiner Ausschnitt aus der Realität. Bei dem »weinerlichen Mann« handelt es sich wohl kaum um ein Modell hegemonialer Männlichkeit. Wenn junge Männer heute ausnahmslos so sensibel und reflektiert wären, wie es in der jüngsten Debatte behauptet wird, würde es einem Mario Barth sicher nicht gelingen, das Berliner Olympiastadion zu füllen, wo er seine Zoten über die Unterschiede von Mann und Frau zum Besten geben kann. Und Bücher mit Titeln wie »Warum Frauen nicht einparken können« würden es nicht auf die Best­sellerlisten schaffen. Die widersprüchliche gesellschaftliche Adaption und Proklamation von Geschlechteridentität wird in der Debatte nicht untersucht. Stattdessen werden notwendige Rollenkonflikte, die durch gesellschaftliche Veränderungen entstehen, zum Problem erklärt. Dass Frauen den richtigen Mann finden wollen, wird dagegen als Ausdruck von gesundem und begrüßenwertem Selbstbewusstsein gepriesen. Der Ruf nach der »starken Brust« scheint Souveränität über sich selbst und die anderen zu versprechen, Unsicherheit und Irritation kann dann stets auf die unzureichende Identität des Gegenüber verschoben und beklagt werden. Wohl auch deshalb verharrt die Debatte im »Privaten« beim Flirten, bei der Sexualität, der Familie und der Erziehung. Hier sollen Gender-Konstruktionen ordnen und kompensieren, was gesellschaftlich aus den Fugen geraten ist.
Die dabei präsentierten hartnäckigen Mythen über die Liebe lassen nervös, traurig, ängstlich und gehemmt werden: Um Eroberung gehe es, und die finde nicht auf der Metaebene statt, so argumentiert Nina Pauer. Wer was macht und machen soll, ist für sie längst ausgemacht: Der Mann ist aktiv, die Frau will erobert werden. Hatte die kritische Männerliteratur die entsubjektivierende Zumutung dieses Rollenkonzepts noch als Belastung und zuverlässige Quelle von Impotenz kritisiert, wird sie hier zur auftrumpfend geschwätzigen Lebensentscheidung stilisiert. Geschlechtliche Ordnung und Identität werden gefordert, auch wenn sie jahrhundertlang nur Überforderung und Gewalt hervorgebracht haben.
Bereits die Diagnose »weinerlicher Mann« wirft viele Fragen auf. Auch sind die »neue« Sensibilität und die ewig um sich selbst kreiselnde Reflexion keine neuen Phänomene. In Künstlerkreisen hat es das Modell des Schmerzensmannes schon im 19. Jahrhundert gegeben. Mit Feminismus hatte der Männertypus aber nichts zu tun. Dass dieses Modell nun in Teilen der Gesellschaft wieder populär wird, muss also kein Fortschritt sein. Verinnerlichung ist nicht zu wenig Härte, sondern kann auch als Strategie der Verhärtung funktionieren, die jede Kritik mit ihrer Zurschaustellung an Empfindlichkeit und Sensibilität abwehrt. Ob das ein spezifisch männliches Reaktionsmuster ist, bleibt fraglich.
Auszuloten wäre, wie weit die attestierte Reflexion überhaupt greift und was sie ergreift. Und sind etwa tatsächlich, selbst in diesem kleinen, besonderen Ausschnitt der Gesellschaft, alle Rollenbilder passé? All dies wird in Zukunft hoffentlich genauer unter die Lupe genommen werden und dann hoffentlich auch Debatten anstoßen, die weit über den eigenen Zirkel hinausreichen.