Eduardo Coto Barnica im Gespräch über die Einschränkung der Pressefreiheit in Honduras

»Ich konnte mehrfach entkommen«

Wer in Honduras die Verstrickung von Regierungsvertretern oder einflussreichen Personen aus Polizei, Justiz oder Militär in die organisierte Kriminalität aufdeckt, lebt gefährlich. Jüngstes Beispiel dafür ist der Mord an der kritischen Radiomodera­torin Luz Marina Paz im Dezember vergan­genen Jahres. Seit Beginn des Jahres 2010 wurden 17 Journalistinnen und Journalisten ermordet. Keiner dieser Morde wurde aufgeklärt. Jungle World sprach mit Eduardo Coto Barnica über das Problem der Straflosigkeit und die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit in Honduras. Der 61jäh­rige ist Redaktionsleiter von Radio Uno in San Pedro Sula. Der kleine oppositionelle Sender kann von fast zwei Millionen Honduranerinnen und Honduranern empfangen werden.

Honduras zählt in Lateinamerika zu den gefährlichsten Ländern für Journalistinnen und Journalisten. Wie kommt es zu all den Morden?
Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Ermittlungsbehörden ihrer Arbeit nicht nachkommen. Morde an Journalisten haben keine Folgen für die Täter, sie werden nicht geahndet – das ist zumindest die Botschaft dieser 17 Morde, von denen keiner bisher aufgeklärt wurde. Die Regierung hat nach Protesten von Kollegen eine gründliche Untersuchung des Mordes an Luz Marina Paz angekündigt.
Ist diese Ankündigung denn ernstzunehmen?
Das muss man abwarten. Sicher ist, dass die Regierung derzeit in der Defensive ist.
Wie verhalten sich die Medien? Üben sie Druck aus? Werden die Morde an Journalisten öffentlich thematisiert?
Ja, denn auch die großen Medienhäuser, die sich auf die Seite der derzeitigen Regierung gestellt und 2009 den Putsch gegen Präsident Manuel Zelaya unterstützt haben, fordern eine Untersuchung, um den Missständen im Polizeiapparat auf den Grund zu gehen. Der Vorwurf der Korruption wird immer lauter.
War der Mord an Luz Marina Paz der Auslöser für die Forderungen?
Einer. Ein anderer war der Mord am Sohn der Rektorin der Autonomen Nationaluniversität von Honduras im Oktober. Viele Indizien deuten darauf hin, dass es Polizisten gewesen sein könnten, die den jungen Mann und einen seiner Freunde ermordet haben. Das hat für Aufsehen gesorgt und für öffentlichen Druck, aber auch für Angriffe auf Redaktionsräume. Anfang Dezember wurde die Redaktion der Zeitung La Tribuna in Tegucigalpa beschossen – zum Glück nachts.
Die Verbindungen zwischen Polizei und Drogenmafia, auf die Alfredo Landaverde, der im ­Dezember ermordete ehemalige Leiter der Anti-Drogenbehörde, hinwies, ist die eine Seite der Medaille. Agieren die Behörden auch ganz bewusst gegen die Opposition?
Es hat den Anschein, denn gegen die Kollegen in Tegucigalpa, die gegen die Angriffe auf Journalisten demonstrierten, wurde mit Tränengas vorgegangen. Und auch hier in San Pedro Sula ist es seit dem Putsch vom Juni 2009 schwierig, sich objektiv zu informieren. Auch auf Radio Uno hat es Angriffe gegeben. Das Gebäude wurde vom Militär einmal gestürmt, Autos wurden angezündet, unsere Antenne, die außerhalb der Stadt steht, wurde sabotiert, und es hat Versuche gegeben, Mitglieder der Redaktion zu entführen. Letztlich sind wir glimpflich davongekommen, denn seit dem Staatsstreich sind 17 Kollegen ­ermordet worden. Ich selbst konnte mehrfach entkommen.
Fehlt es am politischen Willen?
Zumindest teilweise. Ich denke, etwa 55 Prozent der Kräfte in Armee und Polizei sind durchaus gewillt, ihre Arbeit zu machen, aber die restlichen 45 Prozent sind recht gut organisiert und vernetzt.
Liegt denn nach der Ermordung der Kollegin Luz Marina Paz endlich irgendein konkretes Ermittlungsergebnis vor?
Nein, leider nicht. Das ist ein Skandal, und darauf kann man nicht oft genug hinweisen. Uns fehlt die internationale Aufmerksamkeit. Ein Beispiel: Die Frau des ermordeten Landaverde befindet sich derzeit in Caracas, weil sie in Honduras schlicht nicht mehr sicher ist. Von dort aus hat sie zum Jahreswechsel erneut appelliert, die Ermittlungen nicht im Sande verlaufen zu lassen. Die Straflosigkeit entwickelt sich zur Geißel dieses Landes.
Wie beurteilen Sie die Rolle der Medien in Honduras vor diesem Hintergrund? Gibt es eine objektive Berichterstattung?
Nein. Die freie Meinungsäußerung wird systematisch behindert. Es gibt Redakteure, die sehr gut für ihre Berichterstattung bezahlt werden. Da wurden und werden Meinungen gekauft. Das mag unglaublich klingen, aber es ist die Wahrheit. Journalisten, die ihre Berichterstattung nicht den Wünschen der großen Medienkonzerne anpassen, finden sich schnell außerhalb des Mediensystems wieder.
Wann haben Sie begonnen zu realisieren, dass es in den großen Redaktionen nicht mehr allein um eine objektive Berichterstattung geht?
Das war ein schleichender Prozess. Ich bin der Meinung, dass die Qualität der Berichterstattung seit 20 Jahren schlechter wird. Bereits im Juni 2008 war allerdings eine stärkere Einflussnahme der Eigentümer auf die Berichterstattung feststellbar, und wenige Tage vor dem Putsch wurden zahlreiche Redakteure in den Medien des Landes aussortiert.
Wo haben Sie damals gearbeitet?
Ich war Pressechef bei einem der großen Kanäle des Landes, Televisión Hondureña, und wurde 15 Tage vor dem Putsch gegen die legitime Regierung entlassen. Darüber hinaus habe ich für Radio Norte gearbeitet und dort eine Sendung am frühen Morgen geleitet. Der Redaktionsleiter wurde einen Monat vor dem 28. Juni 2009, dem Tag des Putsches, entlassen.
Das klingt, als ob man die Medien von unbequemen Kollegen gesäubert hätte.
Das war Teil der Medienkampagne, die man damals vorbereitet hat, um einen Staatsstreich zu einer verfassungskonformen Ablösung umzudeklarieren.
Welche Bedeutung hat ein Sender wie Radio Uno in dieser Situation?
Radio Uno hat eine beachtliche Reichweite, weil im Umfeld von San Pedro Sula rund zwei Millionen Menschen leben. Zusammen mit den Kollegen von Radio Progreso in der gleichnamigen Nachbarstadt versuchen wir, die Hörer darüber zu informieren, was im Land passiert. Dazu gehört eben auch die Informationen über die Frente Nacional de Resistencia Popular, die Protestbewegung gegen den Putsch vom 28. Juni 2009.
Gibt es weitere solche Sender und wie sind sie strukturiert?
Radio Globo in Tegucigalpa, Radio Gualcho, dessen Direktor vor ein paar Monaten verstarb, La Voz de Occidente in San Rosa de Copán oder Radio Coco Dulce an der Atlantikküste, ein Sender der Garifuna-Minderheit. Das sind die wichtigsten alternativen Sender des Landes, die dafür sorgen, dass die Berichterstattung nicht vollkommen einseitig wird. Sie sorgen für eine Entgiftung des Informationsangebots, das von den Fernsehsendern und den drei landesweit zirkulierten Zeitung, El Heraldo, La Tribuna und La Prensa, dominiert wird.
Wie kommt es zu einer derartigen medialen Konzentration?
Das liegt daran, dass sich die Medien in den Händen von einigen wenigen Familien befinden, die die Wirtschaft und die Berichterstattung des Landes dominieren. Es sind etwa zehn Familien, die de facto die Geschicke des Landes lenken. Die Wahrheit wird von ihnen festgelegt, und was legal ist, wird ebenfalls von ihnen definiert.
Es scheint nicht allzu viele Kollegen zu geben, die sich für den medialen Widerstand entschieden haben.
Das stimmt. Und manchmal geht der Schnitt mitten durch die Familie. Mein Sohn arbeitet in einer der Putschredaktionen und verdient gutes Geld. Ich habe ihm einst beigebracht, wie das journalistische Handwerk funktioniert, nicht beigebracht habe ich ihm allerdings, wie die latente Korruption hier funktioniert. So fährt er nun Geländewagen und ich Bus. Für einen Vater ist das hart, und wir haben keinen Kontakt mehr.
Welche Rolle spielt das Internet?
Eine wichtige, denn mit alternativen Formaten erreichen wir zumindest einige Menschen im Ausland. Radio Uno ist im Internet vertreten, und so können wir zumindest Argumente gegen die mediale Darstellung der Regierung liefern und die andere Seite der Medaille zeigen.
Haben Sie die Hoffnung, dass sich an der medialen Zweiteilung des Landes etwas ändern könnte?
Ja, aber dafür brauchen wir eine verfassungsgebende Versammlung, einen echten Neuanfang, der nicht von den regierenden Familien manipuliert wird. Auf der anderen Seite müssen wir aus der Geschichte lernen und den Nachwuchs besser ausbilden. Hier funktioniert das ganz gut, denn die Schüler von 17, 18 Jahren sorgen dafür, dass bei Radio Uno alternative Beiträge über den Äther gehen. Wichtig ist auch die internationale Solidarität, der Besuch von Delegationen, die ihre Eindrücke ins Ausland tragen und für Gegenöffentlichkeit sorgen.