Postnazistische Normalität in Österreich

Von Deutschland lernen

Deutschvölkische Burschenschaften laden am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz zum Ball in die Wiener Hofburg. Dies gehört in Österreich noch immer zur postnazistischen Normalität.

Während man in Österreich bis heute mit klassischen Abwehrreaktionen rechnen muss, wenn die NS-Vergangenheit thematisiert wird, kann man in Deutschland den Fernseher bekanntlich gar nicht mehr einschalten, ohne dass einem ein Historikerdarsteller wie Guido Knopp etwas über »Hitlers Frauen«, »Hitlers Helfer« oder »Hitlers Krieger« erzählt. Über alles zu reden, um ja nichts zu begreifen – das ist Vergangenheitspo­litik im heutigen Deutschland. Jenseits der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und ihrer Abspaltung »Bündnis Zukunft Österreich« passte die Alpenrepublik ihre anachronistische postnationalsozialistische Normalität in den vergangenen Jahren jedoch vorsichtig an die modernisierte Variante des Postnazismus der BRD an.
Infolge des »Gedankenjahres« 2005 scheint man mittlerweile auch in Österreich zu merken, dass die deutsche Variante der »Geschichtsaufarbeitung« im Vergleich zum antiquierten Verharm­losen, Verdrängen und Beschweigen eine zeitgemäßere Form der Auseinandersetzung mit dem alten und neuen Nazismus darstellt. Auch die etablierte Forschung zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in Österreich konstatiert heute im Gegensatz zur Situation von vor zehn Jahren: »Die Bereitschaft zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus gehört mittlerweile zum kulturellen Erwartungshorizont«, wie die Historikerin Heidemarie Uhl feststellt.

Nicht zum »kulturellen Erwartungshorizont« gehört allerdings, dass man die diplomatischen Beziehungen mit dem iranischen Regime abbricht und keinerlei Geschäfte mehr mit ihm betreibt. Einem Regime, das den Holocaust leugnet und von deutschen Neonazis und der FPÖ immer wieder mit Lob überschüttet wird. Diesbezüglich unterscheiden sich die beiden Nachfolgestaaten des »Dritten Reiches« nicht voneinander: Über 30 Jahre lang waren sie die Avantgarde, wenn es darum ging, dem iranischen Regime, das jenem Staat, der als Antwort auf die deutschen Verbrechen gegründet wurde, regelmäßig mit Vernichtung droht, aus der politischen Isolation zu helfen und es durch den Ausbau der ökonomischen Beziehungen weiter am Leben zu erhalten.
Die Tatsache jedoch, dass jemand wie der FPÖ-Abgeordnete Martin Graf im Jahr 2008 mit Stimmen der Sozialdemokraten (SPÖ) und der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) zum dritten Parlamentspräsidenten gewählt werden konnte und bisher nicht zurücktreten musste, illustriert, dass zwischen Österreich und Deutschland weiterhin beträchtliche Unterschiede bestehen, wenn es darum geht, die Positionierung gegenüber der nationalsozialistischen Vergangenheit in den Dienst gegenwärtiger Politik zu stellen. Graf ist Mitglied der Burschenschaft Olympia, die Neonazis und Holocaustleugner zu Vorträgen und Gesangsabenden nach Wien eingeladen hat. 2009 bezichtigte er den Präsidenten der Israelitischen Kulturgemeinde, Ariel Muzicant, ein »Ziehvater des antifaschistischen Linksterrorismus« zu sein. Doch selbst das Bekanntwerden von Kontakten seiner Mitarbeiter zur Naziszene war kein Grund für einen Rücktritt.
Ein Charakteristikum der postnazistischen Gesellschaft in Österreich besteht darin, dass die FPÖ neben dem sozialdemokratischen und konservativen als »nationales« oder »drittes« Lager zum integralen Bestand der Zweiten Republik gezählt wird. Eine Kooperation mit diesem »dritten Lager« ist daher stets prinzipiell möglich. Sowohl in der SPÖ als auch bei den Konservativen gibt es maßgebliche Politiker, die sich die Möglichkeit einer Koalition mit der FPÖ nach den Nationalratswahlen 2013 unbedingt offenhalten wollen. In Umfragen erhält die FPÖ zeitweise am meisten Stimmen, bis zu 30 Prozent werden ihr prognostiziert.

Was die postnazistische Normalität im heutigen Deutschland ausmacht, lässt sich mit einem einzigen Zitat eines deutschen Historikers treffend illustrieren. Bei den Jubiläumsfeierlichkeiten 2010 für das Holocaustmahnmal in Berlin verkündete der Faschismusforscher Eberhard Jäckel: »In anderen Ländern beneiden manche die Deutschen um dieses Denkmal.« Der Tagesspiegel freute sich angesichts des »Bürgerfestes am Stelenfeld« über die »Erfolgsgeschichte Holocaustmahnmal«. Das passende Motto könnte mittlerweile lauten: »Vergangenheitsbewältigung ist ein Meister aus Deutschland.«
Man weiß inzwischen, was man am Massenmord an den europäischen Juden hat und wie politischer Mehrwert aus seiner vergangenheitspolitischen Bewirtschaftung gezogen werden kann. Je mehr öffentliche Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, desto besser kann man den ehemaligen Opfern der Deutschen und ihrer Hilfsvölker Vorschriften machen. Je mehr Gedenken an die ermordeten Juden, umso hemmungsloser kann man sich den Antisemiten von heute an den Hals werfen.
In Österreich hingegen werden sich am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, die postnazistischen Erben der NSDAP in der Hofburg, dem Sitz des österreichischen Bundspräsidenten, zur Ballsaison einfinden – wenn auch voraussichtlich zum letzten Mal. So wie in den vergangenen Jahren werden sie auf Einladung des Wiener Korporationsringes (WKR), in dem mehrere deutschvölkische Burschenschaften zusammengeschlossen sind, das Tanzbein schwingen. Das ist in etwa so, als würde die NPD ihren nächsten Parteitag am 9. November im Schloss Bellevue abhalten.
Bezeichnend ist jedoch, dass kaum einer oder eine von jenen Linken, die verständlicherweise gegen den Ball des WKR protestieren werden, sich zu Demonstrationen veranlasst sah, als im Jahr 2010 Manouchehr Mottaki, der Eröffnungsredner auf der Konferenz der Holocaustleugner in Teheran und damalige iranische Außenminister, von seinem österreichischen Amtskollegen hochoffiziell empfangen wurde. So droht selbst noch der dringend notwendige Protest gegen freiheitliche Burschenschaftler und ihre europäischen Freundinnen und Freunde zur Pseudoaktivität und zur Alibihandlung zu verkommen.