Vor Gericht: Baltasar Garzón und das spanische Amnestiegesetz

Berufsverbot für das Weltgewissen

Baltasar Garzón, der bekannteste Richter Spaniens, wurde von rechten Organisationen wegen des Verstoßes gegen das Amnestiegesetz angezeigt, da er Verbrechen der Franco-Diktatur aufklären wollte. Viele linke und bürgerliche Spanierinnen und Spanier solidarisieren sich mit ihm, er ist jedoch auch umstritten.

Augusto Pinochet, Ussama bin Laden und George W. Bush haben eines gemeinsam: Der umtriebige Richter Baltasar Garzón hat gegen sie ermittelt. Seit Mitte der neunziger Jahre ermöglicht auch die spanische Gesetzgebung die Verfolgung in anderen Ländern begangener Verbrechen gegen die Menschheit, wovon Garzón aufsehenerregenden Gebrauch machte. Bei Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International genießt er seitdem ein hohes Ansehen und wurde schon einmal als »Weltgewissen« bezeichnet.

Hauptsächlich beschäftigte sich Garzón aber mit Gesetzesverstößen in Spanien. Seit 22 Jahren arbeitet er am Sondergerichtshof Audiencia Nacional, zuständig für Ermittlungen gegen Staatsgefährdendes, Drogenhandel und die ETA. Anders als viele seiner Kollegen ermittelte Garzón bei Drogenhandelsprozessen auch gegen die damit verbundene Geldwäsche, er ließ Steuerberater und Buchhalter verhaften. Diese Methode versuchte er später auf die baskische Unabhängigkeitsbewegung zu übertragen: Er war führend in dem Bemühen, eine angebliche Gesamtorganisation zu konstruieren, in welcher der bewaffnete Teil, die ETA, gegenüber diversen legalen Gruppierungen weisungsbefugt sei. Medien oder Parteien sollten demnach als Teil einer terroristischen Organisation verfolgt werden.
Im Jahr 1998, in dem Garzón die Auslieferung Pinochets forderte, ließ er auch die baskische Tageszeitung Egin und den gleichnamigen Radiosender stürmen und schließen. Die Redaktionsmitglieder Jabier Salutregi und Teresa Toda wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt. Erst nach elf Jahren wurden Garzóns Urteile gegen Egin vom obersten spanischen Gerichtshof wegen fehlender Beweise annulliert. Salutregi und Toda sitzen immer noch im Gefängnis, denn es gab weitere Anschuldigungen gegen sie. Diese basierten, wie oft bei Terrorismusverfahren, auf Aussagen, die unter sogenannten Incommunicado-Haftbedingungen erpresst wurden. Dabei kommen Gefangene die ersten fünf Tage in Isolationshaft, nur die verhörenden Beamten können später bezeugen, was in diesen Tagen geschah. Oft werden die Inhaftierten in dieser Zeit gefoltert.
»Wir weisen darauf hin, dass Garzón in seiner täglichen Arbeit an der Spitze des Sondergerichts in den Fällen, die er leitet, die Anweisung erteilt, Personen unter Terrorismusverdacht in Incommunicado-Haft zu nehmen. Das ist der Freiraum, in dem brutal gefoltert wird«, sagte Jorge del Cura im Namen von 22 Juristinnen und Juristen in der Erklärung »Das Paradoxon Garzón«, die im April 2010 veröffentlicht wurde. Del Cura leitet das Centro de Documentación contra la Tortura, den Dachverband gegen Folter, dem 45 NGOs in Spanien angehören. Mit ihrer Erklärung wollten die Juristinnen und Juristen darauf hinweisen, dass Garzón nicht nur Diktatoren verfolgt, sondern bei den Anklagen gegen die baskische Unabhängigkeitsbewegung Hinweise auf Folter zumindest ignoriert, wenn nicht gar Misshandlungen billigend in Kauf genommen hat. Mit dieser Position stehen sie ziemlich allein da, für sein Vorgehen gegen die ETA und »ihr Umfeld« ist Garzón oft gelobt worden.

Die staatsnahe Linke betreibt derzeit eine große Solidaritätskampagne für Garzón, die mit einer großen Demonstration am Sonntag in Madrid ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte. Gegen Gar­zón wurden 2009 drei Ermittlungsverfahren eröffnet, die nun vor dem obersten Gerichtshof verhandelt werden. Seit Mai 2010 ist er als Richter suspendiert, bis zum Ende der Prozesse darf er sein Amt nicht ausüben.
»Paradoxerweise ist er heute ein Opfer jener Politisierung der Justiz, die er selbst meisterhaft entwickelt und vorangetrieben hat«, kommentiert del Cura die Entwicklung. Garzón ist mit der gleichen Forschheit, die ihm beim Kampf gegen die ETA und bei internationalen Ermittlungen hoch angerechnet wurde, auf zwei neuen Rechtsgebieten aktiv geworden: Er befasste sich in der »Operación Gürtel« mit der Korruption und der damit einhergehenden illegalen Parteienfinanzierung des konservativen Partido Popular (PP). Die Beschuldigten waren hochrangige Politiker. Garzón ließ auch die Gespräche der inhaftierten PP-Politiker mit ihren Verteidigern abhören, wie es sonst bei baskischen Separatistinnen und Separatisten üblich ist. Dies brachte ihm den ersten Prozess wegen Rechtsbeugung ein, da er in die Rechte der Verteidigung eingegriffen habe. Der Prozess begann am 17. Januar, die Anklage fordert 17 Jahre Betätigungsverbot als Richter.
Der zweite, das größte Aufsehen erregende Prozess begann am 24. Januar wegen Rechtsbeugung und Verstoßes gegen das Amnestiegesetz. Garzón hatte im Oktober 2008 Ermittlungen aufgenommen, um geheime Massengräber der Franco-Diktatur ausfindig zu machen. Vor zwölf Jahren hatten kleine Gruppen begonnen, ein Tabu zu brechen: Sie sprachen über die während der Diktatur Francos ermordeten Oppositionellen. Die Suche nach den Massengräbern wurde 2007 unter der sozialdemokratischen Regierung legalisiert, wird aber nicht staatlich gefördert. Angehörigenverbände legten bei der Audiencia Nacional eine Liste mit 152 237 Namen von Opfern der Diktatur vor. Garzón nahm zwar Ermittlungen auf, aber bereits nach vier Wochen stellte er sie wieder ein, weil die Staatsanwaltschaft ihn dazu anwies. Er dürfe nicht ermitteln, da das Amnestiegesetz von 1977 dies verbiete.
Beim Übergang von der Diktatur zur heutigen konstitutionellen Monarchie war das Amnestiegesetz eine wesentliche Bedingung dafür, dass die Franquisten in Militär, Polizei, Justiz und anderswo auf einen Großteil ihrer Macht verzichteten. Am 23. Februar 1981 unternahm eine Fraktion des Militärs einen Putschversuch, angeblich weil sie die Einhaltung der Zusagen gefährdet sah. Seitdem war für die institutionalisierte Linke das Unrecht unter Franco ein absolutes Tabuthema.

Da das Amnestiegesetz bis heute unverändert gilt, wurde Garzón von zwei rechten Organisationen wegen Rechtsbruchs angezeigt, von der Falange Española de las J.O.N.S., der ehemaligen Massenpartei der Diktatur, und von Manos Limpias (Saubere Hände). Deren Vorsitzender Miguel Bernad wurde im vergangenen Jahr von der Stiftung Francisco Franco ausgezeichnet und hat bereits auf einer neofranquistischen Liste für Europa-Wahlen kandidiert. Zugelassen wurde die Anklage gegen Garzón von Richter Adolfo Prego, einem bekannten Franquisten. Gefordert werden 20 Jahre Betätigungsverbot für Garzón.
Die sozialdemokratische Regierung hätte bis zu ihrer Abwahl am 20. November dem Prozess die Grundlage entziehen und ein Zeichen für ein Ende der Straflosigkeit für die Verbrechen der Diktatur setzen können. Die Vereinigte Linke hatte wegen der Anklage gegen Garzón die Aufhebung des Amnestiegesetzes beantragt. Der Antrag wurde im Juli 2011 abgelehnt – mit den Stimmen des sozialdemokratischen PSOE, des konservativen PP und der katalanisch-nationalistischen CiU.
Der dritte Prozess steht noch aus: Garzón habe Honorare für Vorträge in New York nicht korrekt abgerechnet. Der Anklage zufolge geht es dabei um eine Million Euro an Spenden von spanischen Firmen. Ein laufendes Verfahren gegen einen der Sponsoren seiner Vorträge, den Präsidenten der Santander-Bank, Emilio Botín, stellte Garzón ein. Dem Richter wird daher Vorteilsnahme vorgeworfen.