At Last zu schlüpfrig

Berlin Beatet Bestes. Folge 132. Etta James: Leave Your Hat On (1974).

Bei R’n’B denke ich an Booty Shakin’, Beyoncé, Rihanna und Alicia Keys, aber auch an Casting-Shows wie »DSDS«, »Popstars« und »The Voice Of Germany«. Dort, wo sich der R’n’B von seinen Ursprüngen entfernt hat, haftet ihm sogar noch eine verschärfte Vulgarität an. Als sich junge, schwarze Amerikaner Mitte der vierziger Jahre mit dem weitgehend weiß und süßlich gewordenen Bigbandsound der Swingbands nicht mehr identifizieren konnten, entwickelte sich ein neuer, direkterer Stil. Die Rhythm’n’Blues-Combos waren einerseits kleiner und deshalb für Clubbesitzer billiger als die vielköpfigen Bigbands, aber sie waren auch stärker vom ländlichen Blues beeinflusst. In den Songs der Rhythm’n’Blues-Sängerinnen der fünfziger Jahre wie Ruth Brown, LaVern Baker und Etta James ging es um Sex und Drogen und allerlei Tagesaktuelles. Während spätere Soul-, Blues- und Jazzsängerinnen wie Aretha Franklin, Nina Simone und Tina Turner sich Mühe gaben, anspruchsvoll zu wirken, haftete diesen Künstlerinnen immer eine gewisse Prolligkeit an.
Entdeckt wurde Etta James in San Francisco von Johnny Otis, dem »Godfather Of Rhythm’n’Blues«. Bereits ihr erster Hit »Roll with me Henry«, aufgenommen 1954, verriet die Richtung, in die es gehen würde. Der Titel war so anzüglich, dass er in »Dance With Me Henry« umbenannt werden musste, um der Zensur zu entgehen. Ein Jahr später nahm die weiße Georgia Gibbs den Song unter dem Titel »The Wallflower« auf und kam damit in die Top 10 der Popcharts. Es ärgerte James sehr, dass diese schwächere Version ihres Songs viel größeren Erfolg hatte. Etta James und LaVern Baker gehörten zu den afroamerikanischen Künstlerinnen, die sich bereits in den fünfziger Jahren lautstark darüber beschwerten, dass ihre Songs regelrecht weißgewaschen wurden, um in die Charts zu kommen.
In den späten sechziger Jahren ging es mit der Karriere und der Gesundheit von Etta James steil bergab. Als sie 1974 im Alter von 36 Jahren ihre ultrafunkige Version des von Randy Newman geschriebenen und 1986 durch Joe Cocker bekannt gemachten Songs »Leave Your Hat On« aufnahm, war sie bereits schwer heroinsüchtig. Kurze Zeit später wurde sie verhaftet und zu einem Drogenentzug verurteilt. Sie verbrachte 17 Monate in einer psychiatrischen Einrichtung. Zwischenzeitlich erholte sie sich zwar, 1988 musste sie sich jedoch erneut in eine Entzugsklinik begeben, und zwar in die berühmte Betty-Ford-Klinik.
Als die Lebensgeschichte von Etta James 2008 in dem Film »Cadillac Records« von Beyoncé Knowles gespielt wurde, sah es ganz danach aus, als werde James endlich die verdiente Anerkennung zuteil. Als jedoch Beyoncé ein Jahr später James’ Erkennungslied »At Last« auf Obamas Amtsantrittsball vortrug, sagte die ältere Sängerin enttäuscht, sie selbst sei nicht eingeladen worden. Sie werde Knowles, die an ihrer Stelle den Ruhm einstrich, »den Arsch versohlen«. Am 20. Januar starb Etta James im Alter von 73 Jahren an Leukämie.