Moralische Spiele

Die Chemie stimmte einfach nicht. Aus Protest gegen das Sponsoring der diesjährigen Olympischen Spiele in London durch den Konzern Dow Chemicals trat Meredith Alexander von ihrem Posten zurück. Sie wurde 2010 für die »Kommission für ein nachhaltiges London 2012« nominiert. Deren zwölf ehrenamtlich arbeitende Mitglieder sollen dafür sorgen, dass es während der Vorbereitung und Durchführung der Spiele ethisch korrekt zugeht. Damit hat Alexander viel Erfahrung: Eigentlich arbeitet sie für die Wohltätigkeitsorganisation Action Aid, sie war im Vorstand des Bündnisses »Make Poverty History«, das mehr Geld für die Armutsbekämpfung verlangt, und setzt sich für fairen Handel und gegen den Klimawandel ein.
Ihren Rücktritt begründete Alexander gegenüber der BBC: »Ich fühlte mich als Teil einer Lobby, die die Behauptung Dows, dass es keine Verantwortung für Bhopal habe, legitimiert.« Im indischen Bhopal kam es 1984 in einer Pestizidfabrik der Union Carbide Corporation zum Austritt giftiger Gase, einer der schlimmsten Industrie­unfälle der Geschichte, der laut Daten des indischen Obersten Gerichts bis heute ungefähr 15 000 Menschen das Leben gekostet hat. Etwa 600 000 Menschen leiden unter den Folgen der Katastrophe. Union Carbide zahlte 1989 eine Entschädigung von 470 Millionen US-Dollar. 2001 wurde der Konzern vom Unternehmen Dow Chemicals übernommen, das seither die Auffassung vertritt, alle Ansprüche der Opfer seien bereits vergolten. Indische Opferverbände und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International sehen das anders: Die Entschädigung habe nicht ausgereicht, das Gelände sei nie ausreichend dekontaminiert worden und eine endgültige Einigung stehe noch aus. Sie begrüßten daher Alexanders Rücktritt als Boykott gegen Dow Chemicals.
Für Alexander steht fest, dass »Moral vor Finanzen« kommen solle. Dass sie bei der Legitimierung fragwürdiger Sponsoren nicht mehr länger mitmachen will, ist sicher nobel. Da würden sich aber auch andere anbieten: zum Beispiel das Unternehmen Acer, das wie viele Technologiefirmen unter skandalösen Arbeitsbedingungen beim Zulieferer Foxconn in China produzieren lässt, oder der Coca-Cola-Konzern, in dessen Filialen in Kolumbien Gewerkschafter ermordet werden. Und die Olympischen Spiele an sich sind ein Ereignis, das weniger die Moral erhöht als den Umsatz beteiligter Firmen. Immerhin machen die Austragungsorte selbst meist Verlust.