Zum Prozess gegen mutmaßliche somalische Piraten in Hamburg

Nachreife im Knast

Im Hamburger Prozess gegen zehn mutmaßliche Piraten aus Somalia hat die Staatsanwaltschaft hohe Haftstrafen gefordert.

»Absurd hoch«, »beschämend«, »menschenverachtend« und »zynisch« – so kommentierten mehrere Verteidiger das Plädoyer der Oberstaatsanwältin Friederike Dopke. Sie hatte vergangene Woche im Hamburger Prozess gegen zehn mutmaßliche Piraten aus Somalia (Jungle World 3/12) Haftstrafen zwischen vier und elfeinhalb Jahren gefordert. Die Männer sollen im April 2010 im Indischen Ozean einen deutschen Frachter überfallen haben, waren aber von der holländischen Marine kurz nach dem Angriff überwältigt worden. Sie wurden später nach Deutschland ausgeliefert. Nach Ansicht der Anklage haben sich die Somalier eines Angriffs auf den Seeverkehr und des erpresserischen Menschenraubs als »Mittäter« schuldig gemacht. Es sei aber nicht nachweisbar, wer Schüsse abgegeben habe und wer in die Organisation des Angriffs verwickelt gewesen sei, räumte die Vertreterin der Anklage ein. Den Angeklagten drohen bis zu 15 Jahre Haft. Die Kammer hatte die Beweisaufnahme in dem seit über einem Jahr laufenden Prozess geschlossen und die Ladung von möglichen Entlastungszeugen abgelehnt.

Der Überfall sei »hochprofessionell« und »quasi militärisch« abgelaufen, sagte Dopke in ihrem zweieinhalbstündigen Plädoyer. Die Angeklagten hätten die 15 Seeleute in Lebensgefahr gebracht – auch wenn wohl keine Tötungsabsicht beim Angriff bestanden habe. Nur durch Umsicht und Glück sei die Schiffsbesatzung nicht verletzt worden. Erschwerend komme der enorme Wert des Schiffes hinzu, der nach Angaben der Reederei bei 20 Millionen Euro liegt. Allerdings ist der Öffentlichkeit nach wie vor nicht bekannt, was die »Taipan« auf ihrem Weg nach Mombasa geladen hatte. Grundsätzliche Verfahrenshindernisse, etwa Verstöße gegen die deutsche Strafprozessordnung oder die Europäische Menschenrechtskonvention, die von Anwälten geltend gemacht worden waren, sehe sie nicht. Und selbst wenn die holländische Strafprozessordnung verletzt worden sei, sei dies »nicht so gravierend«, sagte die Oberstaatsanwältin.
Neun der zehn Somalier haben ihre Beteiligung an dem Überfall im Verlauf des Prozesses zugegeben. Einige haben allerdings angegeben, aus finanzieller Not oder aus Angst um ihr eigenes Leben oder das ihrer Familie gehandelt zu haben. Sie seien erpresst oder unter Waffengewalt gezwungen worden, an dem Überfall teilzunehmen, sagten drei Angeklagte vor Gericht.

Die »abenteuerliche Geschichte der Entführung« wollte Dopke nicht gelten lassen. Sie führte an, dass den Sachverständigen keine Fälle von Zwangsrekrutierung bekannt seien. Auch bei anderen ungeklärten oder zweifelhaften Sachverhalten, etwa dem Alter der jungen Somalier, dem Einfluss von Alkohol und der Droge Kat oder der Echtheit somalischer Dokumente, entschied sie in der Regel nicht für die Angeklagten.
Die Lebensumstände im von Krieg und Armut geplagten Somalia seien allerdings strafmildernd für die nicht vorbestraften Angeklagten zu werten, so die Staatsanwältin. In welchem Umfang dies jeweils gelte, machte sie jedoch nicht deutlich. Darüber hinaus spricht das von ihr geforderte Strafmaß für die Jugendlichen ihren eigenen Ausführungen Hohn. Entsetzen bei den Verteidigern und einigen Zuschauern löste ihre Begründung aus, warum die Jugendlichen nach Jugendrecht besonders lange Freiheitsstrafen, zwischen vier und fünfeinhalb Jahren, erhalten sollen: Bei ihnen seien noch »Entwicklungskräfte« wirksam und eine »Nachreife« möglich. Die Staatsanwältin begründete ihre Strafforderung mit dem »erheb­lichen Erziehungsdefizit« der jungen Männer wegen des Mangels an Bildung und ihrer schweren Kindheit in Somalia. Um »erzieherische Wirkung« zu haben, müsse die Strafe daher erheblich sein, so die Staatsanwältin. Rainer Pohlen, Verteidiger des jüngsten Angeklagten, bezeichnete diese Argumentation als »beschämend« und kam zu dem Schluss: »Diejenigen, die in schlechten Verhältnissen aufwachsen, sollen besonders hart bestraft werden.« Der Verteidiger Andreas Beuth sagte, eine solche Begründung habe er in seiner langen Tätigkeit noch nie gehört.

Verteidiger und Beobachter des Prozesses bemängeln, dass den Angeklagten immer wieder ihre Herkunft zum Nachteil gereicht. Dopke verwies in ihrer Begründung auch auf Beschlüsse des Hanseatischen Oberlandesgerichts, das sich mit Haftprüfungen der Jugendlichen zu befassen hatte: Bloße »Erziehungsmaßregeln« genügten angesichts der Defizite und des schwerwiegenden Verbrechens nicht, habe es geheißen. Das Hanseatische Oberlandesgericht hatte zudem in einem Beschluss zur Haftbeschwerde des – nach Ansicht des Gerichts – jüngsten Angeklagten Ende Dezember erläutert: Im Vergleich zu seinem Leben in Freiheit in Somalia gehe es ihm nicht wesentlich schlechter. In Somalia habe er nicht immer zwei Mahlzeiten am Tag einnehmen können, während er in der Jugenduntersuchungshaftanstalt Hahnöfersand durchgehend verpflegt und ärztlich betreut werde.
»Sehr bedenklich, gelinde gesagt«, sei diese Argumentation, so ein Verteidiger am Rande der Verhandlung, zumal es bei diesem Antrag lediglich darum gegangen sei, die im Vergleich zu anderen Jugendlichen lange Untersuchungshaft zu beenden, eine Jugendwohnung zu beziehen und weiter an dem Prozess teilzunehmen – und eben nicht darum, nach Somalia zu reisen.
Im Februar folgen die Plädoyers der 20 Pflichtverteidiger; das Urteil soll spätestens im März gesprochen werden.