Preußen, Potsdam und Protest

Über den Despoten nur Gutes

In Potsdam soll die preußische Vergangenheit wieder zum Leben erweckt werden. Davon zeugen nicht nur die Feiern zum 300. Geburtstag Friedrichs II., sondern auch die Restaurationsarbeiten in der Innenstadt. Beides stößt auf Protest.

Für die reaktionären Burschenschaften, »Neuen Rechten«, Vertriebenen und Monarchisten war es die eigentliche Feier der deutschen Wiedervereinigung: Im August 1991 wurden die Gebeine Friedrichs II. von Hohenzollern, genannt »der Große«, von der Burg Hohenzollern in Baden-Württemberg nach Potsdam überführt und mit einem Staatsakt neben dem Schloss Sanssouci beigesetzt. Gut 20 Jahre später wird der preußische König, der von 1740 bis 1786 regierte, gegen halb Europa Krieg führte und unter dem Preußen zur Großmacht aufstieg, erneut gefeiert. Anlass ist sein Geburtstag, der sich am Dienstag vergangener Woche zum 300. Mal jährte. Ein Festakt in Berlin mit einer Ansprache des Bundespräsidenten, ein Film mit Anna und Katharina Thalbach als jungem und altem Friedrich, einige Regalmeter an Literatur sowie zahlreiche Ausstellungen und Konzerte beschwören die Erinnerung an den musisch begabten Monarchen mit der schwierigen Kindheit und dem Faible für Windhunde.

Zentrum des Kults um Friedrich ist auch diesmal wieder Potsdam, wo sich die Feierlichkeiten über das ganze Jahr hinziehen sollen. Es handelt sich dabei um eine neue Etappe in der Geschichte um die Verehrung des Preußenkönigs. Zuvor hatten ihn schon die rechten Feinde der Weimarer Republik als Idol verehrt, die Nazis hatten seine militärischen Erfolge gepriesen, die sie zu wiederholen hofften. Selbst die DDR-Führung bezog sich, im Bemühen um eine nationale Legitimation ihres Staates, zuletzt positiv auf den Monarchen.
Doch in diesem Jahr steht nicht Preußens »nationale Sendung« im Mittelpunkt, stattdessen wird an Friedrich II. als aufgeklärten absolutistischen Herrscher, als – zugestandenermaßen autoritären – Modernisierer erinnert, der den Kartoffelanbau popularisiert und dessen tolerante Einwanderungspolitik Preußen zu wirtschaftlicher Blüte verholfen habe. Die zentrale Geburtstagsfeier in Potsdams historischer Innenstadt sollte denn auch, so der Wunsch der Veranstalter, im Zeichen von Pluralität und Moderne stehen. Im Programm zur Veranstaltung mit dem Motto »Happy Birthday, Friedrich« durfte auch Michael Gebühr, der Sohn des Schauspielers Otto Gebühr, nicht fehlen. Im vollbesetzten Nikolaisaal gab er Anekdoten über seinen Vater zum Besten, der mit seiner Darstellung des »Fridericus Rex« in der gleichnamigen antirepublikanischen Ufa-Filmreihe aus den zwanziger Jahren zum Star geworden war und auch in Veit Harlans NS-Propagandafilm »Der große König« von 1942 die Hauptrolle gespielt hatte. Daneben sollten Künstler wie Brezel Göring von der Popgruppe »Stereo Total«, die Liedermacherin Dota Kehr, bekannt als »Kleingeldprinzessin«, die Musikerin Ipek İpekçioğlu alias DJ Ipek und die Klezmer-Kapelle »Di Grine Kuzine« der Feier einen Hauch von Weltläufigkeit verleihen.

Man kann in dem geplanten Begleitprogramm den Versuch einer kulturellen Vereinnahmung erkennen, die im Falle der sich auf jüdische Musiktraditionen beziehenden Band »Die Grine Kuzine« besonders zynisch erscheint. Schließlich waren Juden von der friderizianischen Toleranz ausgenommen: Sie durften sich nur in Preußen niederlassen, wenn sie hohe, diskriminierende Sondersteuern zahlen konnten. Gerade auch der Versuch, »alternative Kultur« für die Huldigung preußischer Tugenden in Dienst zu nehmen, erregte die Aufmerksamkeit der Potsdamer Linken. So wandte sich das Bündnis »Fuck off Fritz«, das gegründet wurde, um den »Jubelveranstaltungen« etwas entgegenzusetzen, mit einer kritischen Stellungnahme an die Künstler und forderte sie auf, ihre Teilnahme an den Feierlichkeiten zu überdenken. Göring teilte daraufhin kurz und knapp mit, er sei »sowieso nicht mit dabei«. Kehr antwortete, dass sie ihre Teilnahme bereits abgesagt habe, nachdem ihr der Charakter der Veranstaltung klargeworden sei. Öffentlich verkündete sie, dass sie für Despoten, »ob aufgeklärt oder nicht«, und Antisemiten nicht spielen werde. DJ Ipek und »Di Grine Kuzine« hingegen hielten ihre Zusage aufrecht, mit der Begründung, dass der Auftritt ihnen die Möglichkeit kritischer Stellungnahmen biete.
Die Anhänger Friedrichs II. konnte man am Dienstagmorgen vergangener Woche am Grab des »Alten Fritz« beobachten. Dort gaben sich Burschenschafter vorwiegend älteren Semesters, junge, offenbar der Kameradschaftsszene angehörende Männer, ältere Damen mit Pelzmantel und Windhund, uniformierte Veteranen der Westber­liner Schutzpolizei, eine Delegation der Bundeswehr sowie Angehörige diverser Traditionsvereine in historischen Uniformen ein Stelldichein. Der Versuch einiger Antifaschisten, dort zu protestieren, wurde von einem Haufen aufgebrachter Senioren rüde unterbunden. Dessen ungeachtet setzten die Linken ihren Protest am Abend fort und artikulierten ihren Widerspruch lautstark nahe der Geburtstagsparty.

Die Proteste gegen die Feiern wurden mit der Kritik an einer anderen Entwicklung verbunden, welche die Potsdamer linke Szene, deren Ursprünge in der Hausbesetzerbewegung der Wendezeit liegen, derzeit bewegt: die rasante Gentrifizierung der Stadt. Denn spätestens seit dem Jahr 2000 steigen in Potsdam die Mieten stark und werden bezahlbare Wohnungen knapper. Mittlerweile fällt es selbst Angehörigen der Mittelschicht schwer, dort erschwinglichen Wohnraum zu finden, so dass getrost von einer Wohnungsnot in der brandenburgischen Hauptstadt gesprochen werden kann. Noch zu Weihnachten war eine Hausbesetzung, mit der auf dieses Problem aufmerksam gemacht werden sollte, nach nur einem Tag von der Polizei beendet worden. Doch bereits wenige Tage später gelang es, eine unangemeldete Demonstration gegen die Räumung und gegen die Wohnungsnot trotz eines Großaufgebots der Polizei abzuhalten. In der Folge sah sich Potsdams Stadtverwaltung gezwungen, das Problem der überhöhten Mieten und des mangelnden Wohnraums ernster zu nehmen. Der Bau-, Sozial- und Hauptausschuss der Stadt befasst sich mit dem Thema ebenso wie eine »Expertenrunde«. Seither findet auch eine öffentliche Debatte über die Wohnraumsituation in Potsdam statt, die durch weitere Aktionen der linken Szene noch an Intensität zugenommen hat.
Die Verbindung der Proteste gegen den Preußenkult mit denen gegen Mietsteigerungen ist nicht so willkürlich, wie es zunächst erscheinen mag. Denn die steigenden Mieten in Potsdam sind nicht nur dem kapitalistischen Verwertungsdruck geschuldet. Seit 1990 versucht eine Koalition aus »alten Potsdamern« und zugezogenen Besserverdienenden, die Umwandlung der einstigen Residenzstadt in eine »sozialistische Stadt« rückgängig zu machen. Rigoros werden im Stadtzentrum sämtliche Zeugnisse der DDR-Architektur, die sich in Fachkreisen unter dem Label »Ostmoderne« einer gewissen Beliebtheit erfreuen, beseitigt, um Platz für den Wiederaufbau preußischer Repräsentationsbauten zu schaffen. Dem soll in nächster Zeit nicht nur die Fachhochschule zum Opfer fallen, sondern auch der Staudenhof, ein Wohn­ensemble, in dem sich 180 kleine, preiswerte Wohnungen befinden – in Potsdam mittlerweile eine begehrte Seltenheit. Unter dem Druck der Proteste in den vergangenen Wochen sagte Potsdams Baubeigeordneter Matthias Klipp (Grüne), dass der Beschluss, den Staudenhof abzureißen, überprüft werden müsse. Dies brachte ihm aber prompt Widerspruch aus seiner eigenen Partei ein. Denn diese hat sich in Potsdam bisher besonders stark für die »Wiederherstellung der historischen Innenstadt« eingesetzt.