Wende ohne Ende
Es könnten nationale industriepolitische Interessen gewesen sein, die Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) dazu veranlasst haben, eine schnelle Begrenzung und Senkung der Förderung der Photovoltaik zu fordern. Die »Energiewende« hin zur ausschließlichen Nutzung erneuerbarer Energien wird nur dann gefördert, wenn die dafür notwendigen Technologien aus Deutschland kommen.
Trotz des Booms der vergangenen Jahre befindet sich die deutsche Photovoltaikbranche nämlich in einer Krise. Allein im vergangenen Jahr fiel der Preis von Solarmodulen um 40 Prozent, was vor allem auf die Konkurrenz durch asiatische Hersteller zurückzuführen ist. Mittlerweile haben zehn der 15 bedeutendsten Unternehmen dieses Sektors ihren Sitz in Asien. Auf dem Weltmarkt für erneuerbare Energien ist in den vergangenen Jahren einiges in Bewegung gekommen. Allein im vergangenen Jahr beliefen sich die globalen Investitionen in erneuerbare Energien, einschließlich Forschung, auf den Rekordwert von 260 Milliarden US-Dollar. Seit 2004 haben sie sich somit verfünffacht. In die Solarenergie flossen davon im vergangenen Jahr 136,6 Milliarden US-Dollar. Der größte Markt war 2011 nach Angaben des europäischen Industrieverbands für Photovoltaik Italien, danach folgten Deutschland, China, die USA, Frankreich und Japan.
Die Investitionen führen zu einem verschärften Wettbewerb und teilweise zu Überkapazitäten. Zuerst konnte der Berliner Solarmodulhersteller Solon dem globalen Wettbewerb nicht mehr standhalten und musste Insolvenz anmelden. Bei Sunways in Kostanz stieg der chinesische Konzern LDK ein. Das Hamburger Unternehmen Conergy kämpft ums Überleben und auch Q-Cells in Bitterfeld-Wolfen könnte eine Insolvenz bevorstehen. Das einstige ostdeutsche Vorzeigeunternehmen hat sein Eigenkapital fast aufgebraucht. In diesem Jahr wird erneut mit einem Verlust von 90 Millionen Euro gerechnet, Gewinne sind erst 2013 zu erwarten, und das bei einer bereits bestehenden Gesamtverschuldung des Unternehmens in Höhe von knapp 800 Millionen Euro.
Der Erfolg der Photovoltaik, bei der Sonnenlicht direkt in Strom umgewandelt wird, und anderer erneuerbarer Energien war in Deutschland eng verbunden mit dem von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen »Erneuerbare-Energien-Gesetz« (EEG), das am 1. April 2000 in Kraft trat. Der Boom der erneuerbaren Energien beruhte auf den sicheren Rahmenbedingungen, die das EEG garantiert: Den Investoren wird für 20 Jahre ein gesetzlich garantierter Betrag pro Kilowattstunde (KWh) Strom bezahlt, die in das Netz eingespeist wird. Anfangs waren das bei Photovoltaik-Anlagen etwa 50 Cent pro KWh. Mittlerweile liegen die Vergütungssätze nur noch bei 18 bis 24,4 Cent. Durch den technischen Fortschritt der Massenproduktion haben sich die Kosten der Photovoltaik mehr als halbiert und sinken weiter. Allein im vergangen Jahr sind in Deutschland 250 000 Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von 7,5 Gigawatt ans Netz gegangen, was ein komplettes Atomkraftwerk ersetzen könnte. Die Mehrkosten für die gesamten erneuerbaren Energien werden auf die Endverbraucherinnen und -verbraucher umgelegt, dafür wendet ein privater Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 3 500 KWh derzeit jährlich etwa 125 Euro auf. Durch das EEG wurde der Anteil regenerativer Energiequellen an der Stromproduktion von 6,4 Prozent im Jahr 2000 auf ungefähr 20 Prozent im Jahr 2011 mehr als verdreifacht.
Kritik am EEG gab es jedoch von Anfang an. Was das EEG bei Teilen der Bevölkerung unbeliebt macht, ist die offenkundige unsoziale Form der Finanzierung. Schließlich finanziert die Hartz-IV-Empfängerin dem Eigenheimbesitzer die Solaranlage plus fester Rendite über ihre Stromrechnung, ohne je die Chance zu bekommen, selbst davon zu profitieren. Dies wird dadurch befördert, dass die Industrie in immer größerem Maße von der Zahlung für das EEG ausgenommen wurde. So finanzieren Privathaushalte über ihre Stromrechnung die notwendige Energiewende auch für die Industrie.
Schwerer als das Leid der Endverbraucherinnen und -verbraucher wiegt allerdings das der Energiekonzerne. »Wer seinen eigenen Strom mit Solaranlagen produziert, braucht kein Großkraftwerk mehr. Und dezentrale Energieerzeugung ist der Hauptfeind von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW«, erläutert die energiepolitische Sprecherin der Bundesfraktion der »Linken«, Dorothée Menzner, das Interesse an einer Abschaffung des EEG. Durch die dezentrale Stromerzeugung verliert das zentralistische Energiesystem mit seiner entsprechenden Oligopolstruktur an Macht.
Der Zeitpunkt für den finalen Schlag gegen die Photovoltaik ist aus Sicht der Energiekonzerne daher gut gewählt, denn sie steht kurz vor ihrem endgültigen Durchbruch. Bald schon wäre die sogenannte Netzparität erreicht: der Sonnenstrom von Dach, Fassade oder Feld wäre genauso teuer wie der Strom aus dem herkömmlichen Netz. Von diesem Zeitpunkt an wird es auch ökonomisch interessant, über eine autonome dezentrale Stromversorgung mit eigenen Energiespeichern nachzudenken und damit den nächsten Schritt zur Lösung aus der Abhängigkeit von den großen Stromkonzernen zu machen. Befördert werden könnte diese Entwicklung durch den geplanten Atomausstieg. Sollten die Atomkraftwerke nicht durch andere Großkraftwerke abgelöst werden, würde der Ausstieg den Machtverlust des Stromkartells von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW beschleunigen, zumal diese Konzerne derzeit erhebliche Probleme haben, ihren notwendigen Umbau zu finanzieren.
Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hatte mit der Solarbranche bereits vereinbart, die Solarförderung künftig nicht mehr zweimal im Jahr, sondern monatlich anzupassen. Das reichte den Energiekonzernen offenbar nicht. Daher legte Wirtschaftsminister Rösler den Regierungsfraktionen von CDU und FDP einen Vorschlag für eine weitere Kürzung der Solarförderung vor. Künftig soll es eine absolute Obergrenze für die Förderung von Photovoltaik bis zu einer Gesamtleistung von 34 000 Megawatt geben. Derzeit sind bereits Anlagen mit einer maximalen Leistung von etwa 25 000 Megawatt installiert. Der jährliche Neubau von installierter Leistung sollte nach Röttgens Vorstellungen durch eine massive Kürzung der Förderung auf maximal 1 000 Megawatt pro Jahr begrenzt werden.
Bei einem Treffen der Koalitionsarbeitsgruppe Energie, der auch die Fraktionsspitzen angehören, einigte man sich darauf, Solarstrom so zu vergüten, dass der jährliche Neubau von installierter Leistung bis 2020 auf höchstens 2 500 bis 3 500 Megawatt pro Jahr begrenzt wird. »Wir müssen den Zubau der Photovoltaik in Deutschland auf ein vernünftiges Maß reduzieren«, sagte Röttgen nach dem Treffen. Es wird damit gerechnet, dass bereits zum 1. April eine erneute Kürzung der Förderung vorgenommen wird.
Einzig sinnvoll ist der Vorschlag Röttgens, die Tarife für große Solarparks auf Freiflächen stärker zu senken. Schließlich stehen ausreichend ungenutzte Dach- und Fassadenflächen zur Verfügung, daher ergibt es wenig Sinn, ausgerechnet für erneuerbare Energien zusätzliche Flächen zu versiegeln. Die standardmäßige Integration von Photovoltaikanlagen in Gebäudeelemente wie Dächer und Fassaden könnte sogar zu einer zusätzlichen starken Kostensenkung führen, wenn andere Baumaterialien dadurch überflüssig werden.
»Sollte sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt haben, möglichst viele Solarfirmen in die Insolvenz zu schicken, dann muss man ihr zugestehen, dass sie ganze Arbeit leistet«, kommentierte Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, die Entscheidung. Die Frage, ob lieber Großkonzerne oder die deutsche Photovoltaikindustrie gerettet werden sollen, ist heikel. Die Energieabteilung des Wirtschaftsministeriums vertritt meist die Interessen der großen Energiekonzerne. Die Branche der erneuerbaren Energien lässt ihre Interessen eher vom Umweltministerium vertreten. Bei der entsprechenden öffentlichen Konfrontation vertreten Röttgen und Rösler jeweils die Lobbyinteressen der ihren Ministerien verbundenen Industrien. Aus Zeiten der rot-grünen Bundesregierung sind entsprechende Auseinandersetzungen zwischen Jürgen Trittin (Umwelt, Grüne) und Wolfgang Clement (Wirtschaft, SPD) bekannt.
Die Lage der FDP darf als Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzung nicht vergessen werden. Offenbar gibt es in der Führung der FDP Kräfte, die vor dem völligen Zerfall der Partei noch Aufträge der deutschen Industrie abarbeiten und sich damit für zukünftige Aufgaben in der Wirtschaft empfehlen wollen.
Die Auseinandersetzung um die Förderung der Photovoltaik zeigt, dass es noch nicht ausgemacht ist, welche Richtung die Energiepolitik in Deutschland nach dem beschlossenen Atomausstieg nehmen wird. Die Energiekonzerne werden sich weiterhin auf den Bau zentraler Großkraftwerke – künftig vor allem auf Kohle- und Gasbasis, aber auch in Form von Offshore-Windkraftwerken – konzentrieren. Die schwarz-gelbe Regierung scheint bereit zu sein, für diese Pläne die mittelständische Industrie der erneuerbaren Energien beiseite zu räumen. Die finanziellen Ressourcen von Teilen der Branche werden jedenfalls nicht ausreichen, um bis zur Bundestagswahl zu überleben. Sollte die Regierung mit ihrem Programm »Abbau Solar« erfolgreich sein, könnten die Energiekonzerne bis dahin die Reste unter sich aufteilen.