Die Stadiongewalt in Ägypten

Die Fans der Revolution

Die Katastrophe von Port Said und die Anhänger von al-Ahly.

Mehr als 70 tote Fußballfans sind in Ägypten nach der Stadionkatastrophe in Port Said am vergangenen Mittwoch zu beklagen, 1 000 wurden verletzt. Dazu fällt dem Vorsitzenden des Militärrats, Feldmarschall Mohamed Hussein Tantawi, gerade mal dies ein: »Solche Ereignisse können überall auf der Welt passieren.« Die Muslimbrüder, die gerade mit deutlicher Mehrheit die Parlamentswahlen gewonnen haben, sagen dagegen: »Offensichtlich gibt es hinter dem Massaker ein verstecktes Drehbuch.« Viele ägyptische Fans und auch etliche internationale Beobachter sprechen von einer »Rache« des Militärrats an den Fans, die Kata­strophe könne »kein Zufall« gewesen sein. Die Muslimbrüder ernannten die getöteten Fans in einer offiziellen Stellungnahme sogar zu »Märtyrern«. Doch die Theorien, wonach wahlweise der regierende Militärrat oder Kräfte des alten Mubarak-Regimes hinter den Attacken stecken, sind fragwürdig.
Am Mittwoch, dem 1. Februar, war der Kairoer Club al-Ahly, derzeitiger Tabellenzweiter, beim Tabellenvierten al-Masry zu Gast. Schon während des Spiels sei es zu Flaschenwürfen von al-Masry-Fans in Richtung des Gästeblocks gekommen, berichteten Besucher später. Nach dem Abpfiff des Spiels, das al-Masry 3:1 gewann, stürmten Fans der Heimmannschaft den Platz und die Blocks der al-Ahly-Fans. »Die Polizei hat die Tore geöffnet, damit sie uns von den al-Masry-Fans trennen konnte«, berichtete ein junger Kairoer unmittelbar nach dem Geschehen. »Die Hooligans griffen uns mit allem an, was sie fanden: Steine, Flaschen, Messer, Schwerter, einige hatten sogar Pistolen. Wie konnte die Polizei es zulassen, dass diese Leute damit an den Eingangskontrollen vorbeikamen?« Andere Augenzeugen berichten, dass bei den Schlägereien zwischen beiden Fangruppen auch Betonplatten und aus der Fassung gerissene Bänke geworfen wurden, al-Ahly-Fans sollen sogar über eine Brüstung geworfen worden sein. Einige wurden auch durch direkte Attacken getötet, wie Alex Hochuli vom Independent berichtet. »Die Polizei hat da nur zugeschaut und die Rettungskräfte kamen sehr spät«, sagt ein junger al-Ahly-Anhänger. »Ich selbst habe einige tote Fans in meinen Armen getragen.«
Ein Sprecher des Innenministeriums wird vom Fernsehsender CNN zitiert, es habe »organisierte Gruppen in den Zuschauermengen« gegeben. Sie hätten die Polizei provoziert und die Gewalt eskalieren lassen. »Unsere Polizisten haben versucht, sie aufzuhalten.«
Die al-Ahly-Spieler und auch einige ihrer Fans flüchteten in ihre Umkleidekabinen, wo sie drei Stunden lang eingesperrt waren. Die Mannschaftsärzte kümmerten sich um Verletzte, einige Fans starben dort, Spieler wurden nicht verletzt. »Die Menschen sterben hier«, hatte Spielmacher Mohammed Abu Treika via Handy im vereinseigenen Fernsehsender gerufen. Der 33jährige, der auch schon mit dem deutschen Club VfL Wolfsburg in Verbindung gebracht wurde und dem ein Transferwert von 1,8 Millionen Euro nachgesagt wird, beendete noch am Mittwoch seine Profikarriere. Auch andere Spieler von al-Ahly wollen nach den Erlebnissen in Port Said nie wieder Fußball spielen.
Zu den Konsequenzen der Stadionkatastrophe gehört auch, dass nicht nur der zuständige Gouverneur der Provinz Port Said und sein Polizeichef zurücktreten mussten. Auch der langjährige Präsident des ägyptischen Fußballverbandes, Samir Zaher, wurde abberufen. Er war seit 2005 im Amt und zeigte sich auch noch während der ägyptischen Revolution als treuer Gefolgsmann von Hosni Mubarak. Zahers Rücktritt fordern die al-Ahly-Fans schon lange. Sie verfügen über eine nicht zu unterschätzende poli­tische Macht. Al-Ahly ist ein traditionell eher proletarisch geprägter Club, gegründet 1907 in nationalistischer Opposition zur britischen Kolonialmacht. Zusammen mit den Fans des eher bürgerlichen Zamalek SC aus Kairo spielten die Al-Ahly-Ultras »eine Schlüsselrolle bei den Protesten, die zum Sturz des Mubarak-Regimes führten«, wie James M. Dorsey, amerika­nischer Politologe, Blogger und exzellenter Kenner des Fußballs im Nahen Osten, ausführt. Gerade die Ultras galten als treibende und militanteste Kraft der Revolution. Vor allem in der sogenannten Kamelschlacht, in der vor genau einem Jahr auf Kamelen reitende Schläger die Menge auf dem Tahrir-Platz in Kairo attackierten, stellten sich die in Kämpfen mit der Polizei erfahrenen Ultras den Angreifern entgegen und schlugen sie in die Flucht. Gerade weil der Mittwoch der erste Jahrestag dieser Kamelschlacht war, ranken sich etliche Verschwörungstheorien um das Fußballmassaker.
Die Ultras sind laut Dorsey »hoch politisierte, gut organisierte, gewaltanfällige militante Fußballfans«, ihre Anführer sind oft Vertreter der säkularen, akademischen und linken Jugend, viele verstehen sich als Anarchisten. Doch Dorsey attestiert ihnen auch, nun »Opfer ihres eigenen Erfolges« geworden zu sein. »Die Ultras haben aus ihren gescheiterten PR-Bemühungen während der Straßenkämpfe im November und Dezember gelernt, dass es nicht leicht ist, die öffentliche Unterstützung wiederzuerlangen«, so Dorsey. Damals waren am Rande des Tahrir-Platzes über 50 Menschen getötet worden. Und einen Monat vorher hatten die al-Ahly-Ultras entscheidenden Anteil an der Stürmung der israelischen Botschaft in Kairo.