Proteste vor den Wahlen im Senegal

Die Rechnung ist noch offen

Der senegalesische Präsident Abdoulaye Wade will bei den bevorstehenden Wahlen für eine dritte Amtszeit kandidieren. Gegen dieses verfassungswidrige Vorgehen und Wades schlechte Regierungsführung wird seit Tagen protestiert.

Zwei plus eins sind zwei. Das ist die politische Mathematik des 85jährigen senegalesischen Präsidenten Abdoulaye Wade. Bei der Präsidentschaftswahl, deren erster Wahlgang am 26. Februar stattfinden soll, möchte Wade, der das Amt bereits seit zwölf Jahren innehat, noch einmal antreten. Die Verfassung verbietet seit einer Reform im Jahr 2001 jedoch eine dritte Amtszeit. Doch Wade zufolge zählt sein erstes Mandat nicht, das er am 1. April 2000 antrat. Denn schließlich habe es noch vor der von ihm selbst initiierten Verfassungsänderung begonnen. Also stehe ihm die rechtlich zulässige zweite Amtszeit erst noch bevor.
Am 27. Januar schlossen sich die fünf Richter am Verfassungsgericht, die alle von Wade ernannt wurden und deren Gehalt in jüngster Zeit enorm angestiegen war, der Auffassung des Präsidenten an. Sie erklärten seine Kandidatur für gültig. Ein großer Teil der senegalesischen Bevölkerung sieht das jedoch anders und demonstrierte in den vergangenen Tagen gegen dieses dreiste Vorgehen des Präsidenten, es kam auch zu Unruhen.

Zwar ist Wades Wahlerfolg nicht sicher, ebenso wenig jedoch, dass er sich mit einer Niederlage abfinden würde. Sein ehemaliger gabunischer Amtskollege Omar Bongo, ohne Unterbrechung Präsident von 1967 bis zu seinem Tod im Juni 2009, prägte einst das Bonmot: »In Afrika organisiert man nicht Wahlen, um sie zu verlieren.«
Dabei protestierte Wade in früheren Zeiten selbst energisch gegen solche Praktiken des Machterhalts. Jahrelang trat er vergeblich bei Präsidentschaftswahlen an, die er gegen Abdou Diouf, den Präsidenten von 1981 bis 2000, verlor. Daraufhin ließ er stets jugendliche Demonstranten gegen den angeblichen oder tatsächlichen Wahlbetrug protestieren.
Erst bei der Wahl im Februar und März 2000 und erst, nachdem die senegalesische Demokratiebewegung die Dinge in die Hand genommen hatte, war Wade erfolgreich. Mittels moderner Kommunikationstechnologie, insbesondere von Mobiltelefonen, umgingen die Menschen in den Dörfern und Städten die staatlichen Kommunikationskanäle und tauschten untereinander die jeweiligen lokalen Wahlergebnisse aus. Die damalige Opposition addierte die Resultate und konnte sofort den amtlichen Ergebnissen widersprechen. Nach einigen Tagen räumte die Sozialistische Partei Senegals, der auch Diouf angehörte und die das Land seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 ohne Unterbrechung regiert hatte, ihre Niederlage ein. Zur damaligen Opposition zählten die Senegalesische Demokratische Partei, die Wade 1974 gegründet hatte, und ein Bündnis, das von der radikalen Linken bis zu wirtschaftsliberalen Kräften reichte.

Nach der Ankündigung, dass Wades Bewerbung zur diesjährigen Wahl von den Verfassungsrichtern abgesegnet worden sei, brachen in mehreren senegalesischen Städten Unruhen aus. Fünf Menschen starben am Rande von Protestmärschen und Kundgebungen in der Hauptstadt Dakar sowie in der Stadt Podor im Nordwesten des Landes. In der Großstadt Saint-Louis wurden Polizisten von protestierenden Oberschülern verletzt, auch auf dem Campus der Universität von Dakar kam es zu Unruhen. Zu einer Demonstration am Dienstag vergangener Woche in Dakar versammelten sich etwa 1 000 Menschen, bevor sie von der Polizei zerstreut wurden.
Eine Oppositionskundgebung am vergangenen Wochenende auf dem Obeliskenplatz in Dakar konnte hingegen wie angekündigt stattfinden, doch dieses Mal blieben nach Angaben vieler Augenzeugen die Anhängerinnen und Anhänger der etablierten Oppositionskräfte eher unter sich. Acht der insgesamt 13 anderen Präsidentschaftskandidaten neben Wade verpflichteten sich dabei vor ungefähr 5 000 Menschen, »geeint« zu bleiben. Symbolisch unterzeichneten sie einen gemeinsamen »Vertrag« für den Rücktritt des amtierenden Präsidenten. Doch auch von diesen Präsidentschaftskandidaten dürften nicht alle das Vertrauen des Großteils der Bevölkerung genießen. Macky Sall, Idrissa Seck und Moustapha Niasse waren alle schon Premierminister unter Wade. Niasse amtierte in der Übergangsperiode in den Jahren 2000 und 2001, obwohl er Jahre zuvor noch hohe Funktionärsposten in der regierenden und damals diskreditierten Sozialistischen Partei bekleidet hatte. Die beiden anderen folgten ihm nach 2002, zu einer Zeit, als Wade seine Macht konsolidiert hatte und die anfängliche Euphorie des »demokratischen Wandels« bereits Korruption und Klientelpolitik gewichen war. Niasse wird durch das Oppositionsbündnis Bennoo unterstützt. Der vierte bedeutende Kandidat, Ousmane Tanor Dieng, tritt für die Sozialistische Partei an. Nach einer Pause in der Opposition strebt die frühere Staatspartei zurück an die Macht. Die übrigen Bewerber, die auf dem Obeliskenplatz sprachen, sind oft eher regional bedeutend.

Das »Bündnis des 23. Juni« hatte die Oppositionskundgebung organisiert. Am 23. Juni 2011 musste Wade innerhalb weniger Stunden eine von ihm ins Parlament eingebrachte Verfassungsänderung zurückziehen. Diese hätte es ihm erlaubt, mit einer relativen Mehrheit von nur 25 Prozent im ersten Durchgang als Wahlsieger ausgerufen zu werden. Er hatte eine Auffächerung der Stimmen auf seine Gegenkandidaten erwartet, außerdem wollte er durch eine Sonderregelung mit seinem Sohn Karim Wade antreten. Der als inkompetent und korrupt geltende Karim ist im Senegal besonders verhasst. Die Sonderregelung hätte es Wade senior erlaubt, die Macht ohne Neuwahlen während der Amtszeit an seinen Sohn und Stellvertreter zu übergeben. Doch heftige Unruhen direkt vor den Toren des Parlaments verhinderten damals die Verfassungsänderung.
In der vergangenen Woche haben die Regierungen Frankreichs und der USA den senegalesischen Behörden klar signalisiert, dass sie Wades Zulassung zur Wahl nicht gutheißen. Die französische Regierung hatte schon kurz vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts öffentlich gefordert, dass der Pluralismus und die Transparenz der Wahlen garantiert werden müssten. Außenminister Alain Juppé forderte Ende voriger Woche in Paris gar einen »Generationenwechsel« im Senegal. Das Vertrauen in den früheren engen Verbündeten Frankreichs und seine »Fähigkeit zur Wahrung politischer Stabilität« ist inzwischen dahin.
Die Kandidatur des im Senegal ebenso wie in Frankreich prominenten Sängers Youssou N’dour, war vom Verfassungsgericht abgelehnt worden. Angeblich war ein Drittel seiner 12 000 Unterstützungsunterschriften »nicht überprüfbar«, er konnte so die erforderlichen 10 000 Unterschriften nicht vorweisen. N’dour appellierte vorige Woche seinerseits an die »internationale Gemeinschaft«. Diese solle Druck auf Präsident Wade ausüben und die Opposition unterstützen. Am Montag stellte sich Wade daher als Opfer der Großmächte dar. Er erklärte, »das Interesse des Westens« sei nicht ausschlaggebend für seine Kandidatur.
Die antiimperialistische Rhetorik sollte noch einmal Wades Anhängerinnen und Anhänger mobilisieren. Davon gibt es noch einige, obwohl seine Amtsführung in den vergangenen Jahren nach Meinung vieler senegalesischer und internationaler Beobachterinnen und Beobachter desaströs war. Ob die Wählerinnen und Wähler Wades politische Mathematik akzeptieren oder die Opposition es schafft, ihn vereint zu schlagen, werden die nächsten Wochen erweisen müssen.