Kritisiert den Begriff der Metrosexualität

Weicher werden

Der urbane Mann von heute labert jede Frau in Reichweite mit Queer Theory voll und bekennt sich zu seinen weiblichen Seiten. Ist er deshalb progressiv?

Im Berliner Bezirk Schöneberg gibt es eines der ältesten Schwulen- und Lesbencafés Deutschlands, das »Neue Ufer«. Früher hieß es, in Anspielung auf eine inzwischen fast verschüttete Bezeichnung für Homosexuelle, »Anderes Ufer«. Dort ist der Wein besser, die Bedienung freundlicher und die Atmosphäre entspannter als in Neuköllner und Kreuzberger Kiezlokalen. Obwohl viele, die hierherkommen, sich untereinander kennen, kann man stundenlang allein an einem Tisch sitzen und lesen, ohne sich fehl am Platz zu fühlen. Die Kneipe ist nämlich, auch darin ein Relikt der Vergangenheit, eher für Einzelne und Paare als für Horden eingerichtet. Ihre Klientel, die früher zur großstädtischen Subkultur gehörte, ist mittlerweile anachronistisch geworden und würde von zeitgenössischen Kreuzberger oder Neuköllner Queeren wohl halb abschätzig, halb mitleidig dem »Establishment« zugerechnet. Tatsächlich dürften die meisten von ihnen einem bürgerlichen Beruf nachgehen und sich in ihrem Alltag, wie eine andere freundlich-abschätzige Formulierung lautet, eingerichtet haben. Nur wenige machen irgendwas mit Medien, unter ihnen herrscht kein Zwang zur Buntheit, und Speisekarten, die den Gast in gegenderter Sprache anreden und die antisexistisch korrekten Verhaltensregeln im Anhang mitliefern, würden sie als Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit empfinden.
Gerade im bürgerlich erscheinenden Gestus dieses Publikums lebt jedoch das Bewusstsein um die Bedeutung der politischen Kämpfe fort, die man um des eigenen Glücks willen geführt hat und die erfolgreich genug waren, um Bewahrenswertes hervorzubringen. Die entspannte Ruhe und zufriedene Freundlichkeit des Ortes und seiner Besucher bezeugen, dass die Hoffnung auf ein besseres Leben hier nicht nur nie aufgegeben wurde, sondern sich, auf wie fragmentarische Weise auch immer, für viele von ihnen verwirklicht hat. Genau dagegen aber regt sich das größte Ressentiment bei denen, die nicht zugestehen wollen, dass es beim Kampf um die Anerkennung von der »heteronormativen Matrix« entschlüpfenden »Sexualitäten« in den vergangenen Jahrzehnten greifbare Fortschritte gegeben hat. Im bornierten Bestreben, immer neue Minoritäten zu entdecken, die noch keine »Stimme« haben und im multikulturellen Zwangsverband gleichberechtigt repräsentiert sein wollen, hat sich der politische Kampf längst von den gesellschaftlichen Interessen lesbischer, schwuler oder transsexueller Menschen losgelöst und in einen Kulturkampf verwandelt, der jeden Einzelnen in seine eigene bedrohte Minderheit verwandelt. Bezeichnen Trans- und Intersexualität noch konkrete Ausschlusserfahrungen empirischer Individuen, meint der Begriff des Queerseins mittlerweile gar keine sexuelle Identität mehr, sondern das Dazwischensein selbst, das in keiner Selbstidentität je zu sich kommende Shiften zwischen diffusen »Identitäten«, die zwar allesamt als »normativ« oder »identitär« abgelehnt werden, denen man aber auch durch keine in bestimmter Negation sich auf sie beziehende Selbstidentität, durch keine Ausbildung einer kritischen Ich-Instanz, glaubt entkommen zu können.
Eben weil das Minoritärsein nicht mehr nur eine Erfahrung von gesellschaftlich ausgeschlossenen Gruppen ist, sondern zum als ebenso unentrinnbar wie befreiend begriffenen Alltagsexistential des »Patchworks der Minderheiten« wurde, fungiert das Irgendwie-Queere inzwischen als Ticket einer postmodern aufgemöbelten Heterosexualität, die sich gerade auch für »Neue Männer« als realitätsgerechtes Sozialverhalten anbietet. Eine der seltsamsten Blüten, die diese Entwicklung hervorgebracht hat, ist die sogenannte Metrosexualität, als deren authentische Verkörperung Gestalten wie Justin Bieber, der Schauspieler Colin Farrell und vor allem David Beckham gelten, die offen zugeben, sich die Brusthaare zu rasieren, Gesichtscreme zu benutzen und trotzdem auf Frauen zu stehen. Beckham nennt mittlerweile ein Unterwäsche-Label sein Eigen, für das er selbst in eher unqueeren Posen Modell steht. Er fasst seine »metrosexuelle« Identität mit den Worten zusammen, er wolle »schwul leben, aber nicht schwul sein«. Der Galerist Clint Roenisch, ein weiterer erklärter Metrosexueller, sekundiert, dass dies auch den Frauen viel besser gefalle: »Die Mädels wollen ihre Freunde gerade so ein bisschen schwul haben. Sie wollen mit dir in ein Restaurant gehen, und du musst eine Pfeffermühle von einem Bierhahn unterscheiden können.«
Geprägt wurde der Terminus »Metrosexualität« in den neunziger Jahren von dem britischen Publizisten Mark Simpson als zunächst relativ neutrale Bezeichnung für postmoderne Formen urbaner männlicher Heterosexualität. Ursprünglich zielte er auf die als neu und überraschend wahrgenommene Tatsache, dass großstädtische Männer massenhaft Mode, Kosmetik, Körperpflege, aber auch »unmännliche« Kulturtechniken wie gute Tischsitten und geschmeidige Umgangsformen für sich zu entdecken begannen und immer mehr Geld für »weibliche« Accessoires wie Parfums oder Eyeliner ausgaben. Im Grunde beschreibt der Begriff also nichts anderes als den nachholenden Zivilisationsprozess einer viel zu lange auf die eigene Stumpfheit, Brutalität, Uneleganz und offensive Ungepflegtheit stolzen Bevölkerungsgruppe. Statt jedoch die Tatsache, dass selbst Männer heute öfter als einmal in der Woche die Unterwäsche wechseln, das Badezimmer nicht nur zum Stehpinkeln betreten, neben Bier auch Wein und das Bier statt aus der Flasche aus dem Glas trinken, ganz einfach als begrüßenswerten Fortschritt im Alltagsleben abzunicken, wurde solchen Selbstverständlichkeiten bald ein subversiver Gehalt attestiert. Das lag auch daran, dass die als »Metrosexualität« zusammengefassten Verhaltensweisen vom harten Kern der maskulistischen Identitätsbewahrer als »Verschwulung« des Mannseins wahrgenommen oder gar als Symptom einer allgemeinen »Verweichlichung« der Gesellschaft denunziert wurden, was im Gegenzug Anlass für entsprechend »kritische« Vereinnahmungen bot.
Inzwischen jedoch sind die sympathischen Verhaltensweisen, die der Terminus »Metrosexualität« umfasst, in sich genderprogressiv dünkenden Kreisen zur omnipräsenten Belästigung geworden. So wird das gänzlich unpassend als »Gendersensibilität« bezeichnete Sprachverhunzungsprogramm in entsprechenden Debatten oder Publikationen von Männern mittlerweile autoritätshöriger als von Frauen reproduziert, das Bekenntnis zu den »weiblichen« Aspekten des eigenen Selbst und das bei jeder Gelegenheit diensteifrig zur Schau gestellte geschlechterkritische Bewusstsein fungieren faktisch längst als Formen der Selbstlegitimation, mit denen die kritischen, progressiven, neuen, irgendwie queeren Männer ihren modernisierten maskulinen Sozialcharakter auf politisch korrekte Weise abzusichern suchen. Der fortbestehende Antagonismus der Geschlechter, von der Konsum- und Arbeitssphäre bis in die intimsten Erfahrungen hinein, wird so im Bewusstsein der Individuen drastischer als je neutralisiert. Wo es keine antagonistisch verfassten Gegensätze mehr zu geben scheint, verfließen die multiplen »Sexualitäten« und »Identitäten« in einer verlogen-kuscheligen, unspezifischen Solidarität. Vor allem dafür steht heute der Begriff der Metrosexualität: Die echtesten Männer sind die ein bisschen Schwulen, nichts ist so sexy wie Androgynität, und wer sich nicht vorstellen kann, jederzeit auch jeder beliebige andere zu sein, ist hoffnungslos abgeschrieben.