Libyens internationale Beziehungen

Alte Liebe rostet nicht

Libyen unter Gaddafi galt den westlichen Regierungen einerseits als Schurkenstaat, andererseits als Geschäftspartner. Die ­Geschäfte, einschließlich der Flüchtlingsabwehr, sollen auch künftig florieren.

Seit nunmehr zwei Monaten unterliegt Libyen nicht mehr den Sanktionen des UN-Sicherheitsrats. Dieser und die Regierung der USA haben am 17. Dezember 2011 die zuvor gegen das Regime des langjährigen Diktators Muammar al-Gaddafi sowie gegen die libysche Zentralbank und andere Banken des Landes verhängten Strafmaßnahmen aufgehoben. Ein Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Jay Carney, sagte, dieser Schritt solle Libyen unter seinen neuen Machthabern, die aus dem Nationalen Übergangsrat hervorgingen, beim Wiederaufbau helfen.
Mit dem Votum wurden über 30 Milliarden Dollar libyschen Guthabens fregegeben, die zuvor allein in den USA eingefroren worden waren. Großbritannien folgte mit der Freigabe von libyschem Guthaben in Höhe von 10,1 Milliarden Dollar. Noch sind damit aber nicht alle wirtschaftlichen Probleme Libyens gelöst, denn vor der praktischen Verwendung der Gelder sind noch zahlreiche bürokratische Hürden zu nehmen. Die neuen libyschen Behörden müssen erst genaue Kenntnis von den eingelagerten Guthaben erlangen und diese konkret reklamieren.

Die Nato hatte Libyen unter Gaddafi als »Schurkenstaat« eingestuft. Nato-Streitkräfte und die Infrastruktur der Allianz waren an den militärischen Maßnahmen unter französisch-britischer Führung gegen das Regime ab März 2011 beteiligt. Allerdings mischten nicht alle Mitgliedsstaaten gleichermaßen mit. Aus unterschiedlichen Gründen verweigerten etwa Norwegen, Deutschland und die Türkei eine direkte Beteiligung an den Operationen. Am 31. Oktober vergangenen Jahres, elf Tage nachdem Gaddafi von Aufständischen getötet worden war, zog die Nato vollständig aus Libyen ab. Motiviert war der relativ schnelle Rückzug vor allem dadurch, dass die Entscheidungsträger es vermeiden wollten, in innere Konflikte verwickelt zu werden.
Am 26. Januar sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen auf einer Pressekonferenz, seine Organisation habe in Libyen »auf der Grundlage eines UN-Mandats interveniert, das nicht länger in Kraft ist«. Und er fügte hinzu: »Wir haben nicht die Absicht, nach Libyen zurückzukehren.«
Mindestens ein wichtiger Mitgliedsstaat der Allianz wird in absehbarer Zeit jedoch durch Uniformierte in dem nordafrikanischen Staat vertreten sein. Am 15. Januar vereinbarten Libyen und die Türkei eine intensive Zusammenarbeit bei der Ausbildung neuer Sicherheitskräfte. So sollen 1 000 bisherige Rebellen mit türkischer Hilfe in Polizeiberufen ausgebildet werden, während 700 Absolventen der Polizeiakademie der Türkei ihr Studium in Libyen beenden sollen.

Die europäischen Staaten haben zumindest die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Libyen wieder wieder aufgenommen. Der französische Transportminister Thierry Mariani reiste am 29. Januar nach Tripolis, begleitet von Vertretern der großen Unternehmen des Transportsektors wie Air France, Aigle Azur, Bolloré und des Pariser Flughafenbetreibers ADPI. Diese sind an Investitionen in den libyschen Häfen und Flughäfen sowie an der Aufnahme neuer Flugverbindungen interessiert, aber auch an der Zahlung von Altschulden aus der Zeit des Gaddafi-Regimes. ADPI reklamiert etwa 100 Millionen Euro an unbeglichenen Rechnungen aus dem Bau eines neuen Flughafens in Tripolis, der insgesamt eine halbe Milliarde Euro kostete.
Auf der Ebene zwischenstaatlicher Beziehungen herrscht bei den Europäern jedoch große Skepsis. Die anhaltende Unsicherheit, Kämpfe zwischen verfeindeten Milizen, der Granatenangriff auf das Hauptquartier des Übergangsrates am dritten Januarwochenende: All dies trägt nicht unbedingt zur Imageförderung des »neuen Libyen« bei. Ebenso wenig wie die Nachricht, die sich Anfang Februar in Frankreich verbreitete und die das Schicksal des früheren libyschen Botschafters in Paris betrifft: Omar Brebesch hatte das Gaddafi-Regime in den Jahren von 2004 bis 2008 diplomatisch in Paris vertreten, also auch während des mit einigem Pomp durchgeführten Staatsbesuchs des damaligen »Revolutionsführers« bei Nicolas Sarkozy im Dezember 2007. Danach war Brebesch nach Tripolis zurückgekehrt und juristischer Berater im Außenministerium geworden. Wie die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch am 3. Februar bekanntgab, wurde der 62jährige jedoch im Januar in der libyschen Stadt Zentan mutmaßlich von Milizionären und früheren Rebellen zu Tode gefoltert.

Ein wichtiges Thema für die zukünftige Zusammenarbeit europäischer Staaten mit Libyen wird aber in jedem Falle wie schon früher unter Gaddafi die Migrationspolitik sein. Ende 2009 hatte die Initiative »Global Detention Project« insgesamt 27 Haft- und Inhaftierungslager für Migranten – oft in Europa unerwünschte und von dort wieder nach Nordafrika abgeschobene Menschen – in Libyen ausfindig gemacht. Die neuen Machthaber möchten nunmehr 19 von ihnen renovieren. Mitte Januar bat der libysche Innenminister Fawzi Abd al-Ali bei der Europäischen Union offiziell um Hilfe für dieses Vorhaben.
Am 19. Januar forderte General Abd al-Monem al-Tunsi, ein hochrangiger Vertreter des libyschen Innenministers, ferner europäische Unterstützung bei der Bekämpfung »illegaler Migration«: Die »illegale Einwanderung« habe, nachdem sie während der Bürgerkriegskämpfe zum Erliegen gekommen sei, »wieder zugenommen und die EU muss eingreifen«. Er verwies besonders auf wachsende Flüchtlingsströme aus Syrien. Kurz darauf drohte Fawzi Abd al-Ali bei einer Pressekonferenz am 24. Januar den EU-Staaten. Falls Libyen – das nach seinen Worten »erhebliche Mittel benötigt, um die Einwanderung zu kontrollieren« – nicht ausreichend Unterstützung erhalte, werde es mit seinen Anstrengungen bei der Migrationskontrolle nachlassen. »Libyen wird nicht der Grenzwächter Europas sein«, da es »enorme Probleme habe«, fügte er hinzu.

Vor allem mit Italien gab es in der Vergangenheit auf diesem Gebiet eine intensive Kooperation. Im Jahr 2008 hatten Silvio Berlusconi und Gaddafi ein allgemeines »Freundschaftsabkommen« unterzeichnet, das insbesondere auch zur Intensivierung der bereits zuvor bestehenden Zusammenarbeit beitrug. Erste bilaterale Verträge waren bereits 2000 und 2004 geschlossen worden. Am 21. Januar dieses Jahres nun reiste Italiens neuer Ministerpräsident, Mario Monti, nach Tripolis, wo er mit seinem dortigen Amtskollegen Abd al-Rahim al-Keib die »Erklärung von Tripolis« unterzeichnete. Diese sieht eine »Zusammenarbeit auf vielen Gebieten zum beiderseitigen Nutzen« vor. Es wurde nicht präzisiert, ob sie das Abkommen von 2008 ersetzt, bekräftigt oder ergänzt.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International stellte deshalb in einem Brief konkrete Forderungen an Monti. So fordert die Organisation besonders, von »Rückschiebungen« nach Libyen abzusehen und auch die am 17. Juni 2011 von italienischer Seite mit dem Übergangsrat geschlossene Vereinbarung zur Fortführung der Migrationskontrolle auszusetzen. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass die EU-Staaten beim Thema Flüchtlingsabwehr am liebsten die Politik Gaddafis fortgesetzt sähen.